Friedrich Zawrel, Spiegelgrund-Überlebender, als Theaterfigur
Vor einem halben Jahr kam es zu einem folgenreichen Aufeinandertreffen in einem Meidlinger Pflegeheim. Der 24-jährige Nikolaus Habjan machte dem 83-jährigen Friedrich Zawrel einen Vorschlag, der Letzterem zunächst nicht ganz geheuer war: «Was? Ein Puppentheater über mein Leben?»Wir wissen, worum es geht: um das Leben von Friedrich Zawrel, um dessen misshandeltes Leben, ein Leben, das in die tödlichen Mühlen der nationalsozialistischen Psychiatrie geraten war und das sich auf Grund medizinischer Gutachten aus dieser Zeit nicht mehr davon befreien konnte. Auch nicht Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges. Der Befund «erbbiologisch und sozial minderwertig» bestimmte auch nach seiner geglückten Flucht vor der Tötung aus der Anstalt am Steinhof «Am Spiegelgrund» hieß sie damals sein Leben bis 1981. Dieses Gutachten war u. a. direkte Folge für Zawrels Aufenthalte in geschlossenen Anstalten, 13 Jahre lang. Und diesem Leben gegenüber steht das andere Leben, das Leben eines überzeugten Nationalsozialisten mit einer glanzvollen Karriere als Psychiater am Steinhof, als viel beschäftigter Gerichtsgutachter, renommierter Hirnforscher, dem 1975 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen wurde und dem es gelang mit Hilfe eines gut funktionierenden Netzwerkes in politischen und wissenschaftlichen Kreisen nie für seine mörderische Vergangenheit verurteilt zu werden: Heinrich Gross.
Er starb 2005, war nicht zur Rechenschaft zu ziehen wegen angeblicher Demenz. Heinrich Gross und Friedrich Zawrel begegneten einander schicksalhaft mehrmals in ihrem Leben. Es geht also um zwei Leben, deren Verlauf nicht widersprüchlicher, nicht unterschiedlicher sein könnte.
An die Darstellung dieser beiden Biografien auf den Brettern eines kleinen Hinterhoftheaters wagt sich ein junges, engagiertes Team. Nein, es geht um viel mehr als um ein Wagnis. Ein moralisches Anliegen treibt die Gruppe an und motiviert sie, die Begegnungen zwischen diesen beiden Menschen in ihrer schrecklichen Verstricktheit uns noch einmal vor Augen zu führen.
Nikolaus Habjan, der Leiter dieses Projekts, ist heute 24 Jahre jung. Er hörte, als er dreizehn war, zum ersten Mal in der Schule von den Prozessen, die in den späten 70er und frühen 80er Jahren um Heinrich Gross stattfanden, wegen dessen Tätigkeit während des Krieges in der psychiatrischen Anstalt für Kinder «Am Spiegelgrund». Ab da ließ ihn das Thema, wie weit die Medizin in ihren wissenschaftlichen Forschungen gehen darf, nicht mehr los.
Nikolaus Habjan ist Puppenspieler, lernte in einem Workshop 2003 bei einem australischen Lehrer das künstlerische Handwerk, Puppen zu «bauen». Er schreibt Texte für sein Figurentheater auf kleinstem Raum. Jetzt steht die 7. Produktion bevor. Im «Schubert Theater» auf der Währinger Straße 46. Es ist tatsächlich ein Hinterhoftheater, ehemals Kino, in den 70er Jahren eines der meist besuchten Pornokinos von Wien. Hier trat auch Cissy Kraner als junge Soubrette auf.
Nur zwei Puppen tragen die Handlung: Zawrel und Gross
Im September vorigen Jahres war es dann so weit: Nikolaus Habjan suchte den Kontakt zu Friedrich Zawrel. Dieser wohnt seit längerer Zeit in einem Pflegeheim in Wien Meidling. «Ein Puppentheater über mein Leben?» Große Skepsis vorerst von dessen Seite. Nach vorsichtiger Annäherung zwischen dem 83j-ährigen Friedrich Zawrel und dem 24-jährigen Nikolaus Habjan fiel dann bald der entscheidende Satz: «Niki, ich geb mein Leben in deine Händ.»
Und ab da trafen die beiden einander über ein halbes Jahr einmal in der Woche. Im Pflegeheim, in Kaffeehäusern. «Es wurde eine Katharsis für mich. An diesen Begegnungen bin ich gewachsen», meint Nikolaus Habjan. Die Interviews montiert der Puppenspieler zu einem Text, den er gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Regisseur Simon Meusburger, auf die Bretter des kleinen Theaters mit bloß 72 Plätzen bringt. Nur zwei Puppen tragen die Handlung: Friedrich Zawrel und Heinrich Gross. Nikolaus Habjan spielt sie beide. Er lässt in Zeitsprüngen verschiedene Episoden aus Zawrels Leben vor uns Revue passieren. Meist ist Nikolaus Habjan mit seinen Puppen auf der Bühne deutlich zu sehen. Bei einigen Szenen verhüllt er sich. «Sie sind mir zu brutal, zu entsetzlich, gehen mir zu nahe. Da muss ich mich auch äußerlich davon distanzieren.»
Und wie ließe sich der heutige Friedrich Zawrel beschreiben? Die Antwort kommt spontan, ohne Zögern. «Er ist offen und freundlich, eigentlich rührend, auf jeden Fall sehr sympathisch, nicht verbittert, nicht rachsüchtig. Er ist kein gebrochener Mensch. Er ist einfach großartig.»
Oft wurde Friedrich Zawrel zu Vorträgen in Schulen eingeladen. Als einer der allerletzten Zeitzeugen für die Verbrechen der Tötung «unwerten Lebens» während der NS-Zeit. «Da hält er sich ganz streng an sein vorgefertigtes Konzept», sagt Habjan. Jetzt kommen die Schüler_innen zu ihm ins Pflegeheim. «Ich mag die jungen Menschen», sagt Zawrel.
Und wird er zur Premiere ins «Schubert Theater» kommen? Zwei Tage danach hat er einen Termin im Parlament. «Ja, das schaut guat aus. Da muss ich halt gsund bleibn.»
Was erhofft sich das kleine engagierte Team für seine beeindruckende Arbeit?
«Dass viele, viele Leute kommen! Und dass sich nach der Aufführung einige über diesen tragischen Fall genauer informieren und ihre Zweifel und ihr Nachdenken nicht aufgeben.»
INFO
Das Figurentheaterstück «F. Zawrel erbbiologisch und sozial minderwertig» ist noch viermal im April zu sehen: 14., 20., 21., 22. 4. 2012.
http://schuberttheater.at