Trotz Zuversicht zornigArtistin

Die Keramikkünstlerin Nali Kukelka bittet in ihr «Wunderbares Wohn-Büro»

Kann man für Hausfassaden liebliche Keramikreliefs produzieren, während die Fassaden der Demokratie einstürzen? Frau kann. Robert Sommer im Gespräch mit der Künstlerin Nali Kukelka – über experimentelle Archäologie, über das Verhältnis von Kunst und Kunsthandwerk, über jenes von Handwerk und Industrie.

Foto: Mehmet Emir

Nali Kukelka, geboren zwei Jahre vor der 68er-Revolte, ist Künstlerin, Keramikerin, Kunsthandwerkerin, Restaurateurin, experimentelle Archäologin, leitet VHS-Keramikkurse und schreibt literarische Texte – was sie aber nicht an die große Glocke hängt. Sie ist, inmitten einer Künstler_innenfamilie, im Weinviertel aufgewachsen. Der Vater restaurierte Tasteninstrumente, gelegentlich baute er gleich selber welche.  

Die Eltern verkehrten mit Mitgliedern der österreichischen Künstleravantgarde der 1950er- und 1960er-Jahre, insbesondere mit den Literaten der Wiener Gruppe. Sie teilten aber nicht die systemkritische Leidenschaft, die Gesellschaftsanalyse und die Radikalität der Avantgardist_innen, was für Nali (leitet sich von Natalia ab) bedeutete, dass ihre Sozialisierung nicht in einem Klima des Nonkonformismus verlief. «Im Gegenteil, ich hab nicht einmal Ö 3 hören dürfen», erinnert sich Nali Kukelka lachend an eine sehr fragwürdige, gottlob nicht sehr erfolgreiche Erziehungsnorm. Der musikalische Vater sah dann seine Tochter Natalia nicht in seine Welt der Töne nachfolgen, sondern in die Welt des Tons. Der historische Blick auf ihr archaisch-erdiges Grundmaterial und das Erlebnis, mit den eigenen Händen ziemlich genau das zu tun, was fremde Menschenhände vor 9000 Jahren machten, prädestinierten sie zur Mitarbeiterin des Österreichischen Archäologischen Instituts.  

Abertausende Scherben 

Für eine Keramikerin mag das scheinbar Immergleiche, die Inflation von Keramikscherben, die Ausgrabungen in Österreich und anderswo zu Tage fördern, nicht sehr spektakulär sein. Kukelkas Interesse gilt jedoch nicht so sehr den Fundstücken als vielmehr der Rekonstruktion von Handwerkstechniken und Arbeitsvorgängen, mit denen unsere Vorfahren die Dinge hergestellt haben. Genau das also, was die «experimentelle Archäologie» ergründen will. Ihre Kompetenz als Keramikkünstlerin kann in Ausgrabungsprojekten hilfreich sein: «Archäologen haben manchmal vielleicht wenig Ahnung, wie das Ding entstand. Ich geh her, schau mir die Scherben an und sag dem Archäologen, mit welcher Temperatur diese Schale vor einigen tausend Jahren gebrannt wurde.» 

Was sie selber in ihrem neuen Brennofen, den sie sich um 2000 Euro zulegte, erhärtet, wird in – sagen wir 2000 Jahren – einen Disput unter den zukünftigen experimentellen Archäologen auslösen: Gehörten diese Scherben der Kunst an – oder dem Kunsthandwerk. Das Rätsel wird nicht zu lösen sein. Die früheren Arbeiten Nali Kukelkas sind künstlerische Arbeiten. Die Keramikgegenstände wurden in Wien, Niederösterreich oder anderswo ausgestellt und, wenn es gut ging, verkauft.  

Was Kukelka heute herstellt, ist meistens bestellt. Die durchschnittlichen Auftraggeberinnen und -geber richten ihre neue Wohnung oder ihr neues Haus her – und es fehlt ihnen etwas Schönes; das kann ein Relief für die Außenwand sein, es können Fliesen, Figuren, Lampen, Pflanzgefäße, Teller oder Vasen sein. Sie alle können sich an das «Wunderbare Wohn-Büro» wenden, wie die Keramikerin ihr zu bestimmten Zeiten offenes Atelier nennt.  

Unsere fiktiven experimentellen Archäolog_innen aus dem Jahre 4016 haben möglicherweise ein weiteres Rätsel zu lösen. Die aus zusammengeleimten Scherben entstehenden Häferl einer unbekannten Herkunft (nur wir wissen: Sie kommen aus Kukelkas Werkstatt) schauen dermaßen ähnlich aus, dass die Vermutung auftaucht, es handle sich um Waren aus industrieller Serienproduktion. Die Archäolog_innen aus der fernen Zukunft unterliegen da demselben Irrtum wie die heutigen Liebhaber_innen des «authentischen Handwerks», meint Nali Kukelka. «Sie glauben, jedes durch handwerkliche Arbeit entstandene Stück sei ein absolut individuelles Stück; keines gleiche dem anderen. Wir Kunsthandwerker_innen machen uns da selbst runter, wenn wir diesen Mythos unterstützen. Es ist Zeichen unserer Kompetenz und unserer Erfahrung, dass wir Teller aus dem Ärmel schütteln, die sich voneinander nicht unterscheiden.» 

Keine Angst vor der Porzellanindustrie 

Die bei Kleingewerbetreibenden naturgemäß häufig auftretende Aversion gegen die Industrie scheint sich im «Wunderbaren Wohn-Büro» verflüchtigt zu haben. Kukelka stimmt nicht das Klagelied über die Verdrängung des Kleinen durch das Große an. Sicherlich hätten viele traditionelle Töpfer-Familienbetriebe, etwa bei den burgenländischen Tonvorkommen, die Konkurrenz mit der Massenproduktion nicht ausgehalten; es sei jedoch eine erfreuliche Lebendigkeit des keramikbezogenen Kunsthandwerks zu verzeichnen. 

Zu Beginn ihrer Auftrags-Töpferei fehlte Nali Kukelka noch die Souveränität, Aufträge auch abzulehnen. Inzwischen kann sie recht gut Nein sagen, zumal dann, wenn Kund_innen sich als Anhänger_innen des frühkapitalistischen Missverständnisses entpuppen, zu einem korrekten Deal gehöre das Über-den-Tisch-Ziehen des Kleinproduzenten. Aber nicht nur den notorischen Preisdrückern wird eine Abfuhr erteilt. Nali Kukelka will nicht mithelfen, eine Welt voller ästhetischer Fehltritte durch eigene Sünden zu bereichern. Als ein Kunde für sein eben erworbenes Haus am Land, ein tatsächliches Juwel an Bäuerlichkeit, ein Jugendstil-Relief neben dem Haustor bestellte, musste er eine kleine Zurechtweisung über sich ergehen lassen: Nichts gegen den Jugendstil, aber Ihre Fassade schreit nach einem Relief, das – gebrochen oder nicht – mit der traditionellen Architektur und Kultur der Region spielt.  

Abgelehnt hat Kukelka auch die Nachfrage nach der weltberühmten Figur des «Denkers» von Auguste Rodin. Die Keramik-Kopie dieser Figur sollte im Maßstab 1:1 verwirklicht werden; die Plastik hat eine Höhe von einem Dreiviertelmeter. Als Kukelka den Preis nannte, wollte die Kundin eine nur halb so große Plastik bestellen, zu einem nur halb so großen Preis. Sie hatte kein Verständnis dafür, ärgert sich die Künstlerin heute noch, dass die halbe Quantität nicht mit der halben Leistung oder mit der halben Arbeitszeit hergestellt werden könne. Nicht einmal die Schuster-Analogie schien die Auftraggeberin zu begreifen: als ob der Marktpreis von Kinderschuhen im Vergleich mit den Schuhen der Erwachsenen zum Niveau von Kindertaschengeld tendiere … 

Was heißt heute radikal sein? 

Im Grunde genommen ist Nali Kukelka ein zuversichtlicher Mensch. Sie glaubt zum Beispiel tatsächlich, dass es in 2000 Jahren noch experimentelle Archäolog_innen geben wird. Sie glaubt auch, dass sie mit einer pharmazeutisch-kaufmännischen Ausbildung, die sie anstrebt, Positionen erreichen wird, von wo aus sie die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medizin und den Skandal der Pharmaindustrie vermitteln kann. Und sie glaubt, die zivile Gesellschaft, selbst in Österreich, könne – auch gegen die Regierenden – Bedingungen schaffen, allen Menschen ein Bleiberecht zu gewähren, die nach ihrer tragischen Flucht hier bleiben wollen. Unmittelbar vor dem Augustingespräch hat Kukelka dem Innenministerium ein zorniges Mail geschrieben.  

Sie ist unzufrieden mit der bisherigen Intensität ihrer Solidaritätsarbeit – die jedoch auch ihrem langjährigen Zustand als alleinerziehende Mutter und ihrem konjunkturellen Ringen um die Sicherung der Existenz geschuldet war. Schalen formen kann nicht alles sein. Nali Kukelka wird weiterhin Keramikgegenstände aus dem Ofen zaubern, die das Prädikat «lieblich» verdienen. Der Planet sei aber nicht durch Lieblichkeit, sondern durch Liebe zu retten; den Planeten zu lieben, heiße radikal zu werden, so wie die subversiven Bekannten ihrer Eltern. Oder doch anders radikal, denn die Kunst, mit der die 68er-Aktionisten provozierten, provoziert heute niemanden mehr. Kukelka ist auf der Suche – «vielleicht in Richtung Happening und Performance», denkt sie laut nach. Zumindest ein Plakat in der Auslage ihres «Wunderbaren Wohn-Büros» zeigt die Richtung auf: «Flüchtlinge willkommen». Insgesamt macht die Auslage noch einen sehr lieblichen Eindruck. 

 

Info:

Keramik-Atelier «Das wunderbare Wohn-Büro»

1030 Wien, Eslarngasse 11/5

geöffnet Mi., Do., Fr., 16–19

natalia@kukelka-keramik.at

0 664 213 00 14