Über den Kult des öffentlichen FrühstückensArtistin

Wem gehört die Stadt?

Im Volkskundemuseum ist eben eine Ausstellung über das „nichts tun“ angelaufen. Sie ist nach den verschiedenen Spielarten des Nichtstuns gegliedert: Spazieren, Promenieren, Flanieren, Herumfahren, „Drahn“, Blaumachen, Pausieren, Warten, Entspannen, „Entschleunigen“, Genießen, Ruhen, Sinnieren und Müßiggehen (mehr darüber übrigens im nächsten AUGUSTIN). Eine Erscheinungsweise des Nichtstuns ist noch zu jung, um in dieser Liste Platz zu finden: das öffentliche Frühstücken.

Theoretisch müssten die öffentlich Frühstückenden das Wiener Stadtbild bald mehr prägen wie es heute die zweihundertfünfzig AUGUSTIN-VerkäuferInnen tun. Theoretisch. Als Friedemann Derschmidt und seine Künstlergruppe vor vier Jahren das Projekt „Permanent Breakfast – Das immerwährende Frühstück“ starteten, hatten sie das Kettenbrief-Prinzip im Kopf. Eine Person, so die Grundidee, lädt zum Frühstück. Die geladenen Personen verpflichten sich, am nächsten Tag oder zum frühestmöglichen Zeitpunkt jeweils ein weiteres öffentliches Frühstück abzuhalten, dessen Gäste wiederum ehebaldigst frühstücken. Und so fort. Derschmidt: „Bei einem Grundsetting von fünf Personen und der angebrachten Beharrlichkeit käme man am zehnten Frühstückstag auf ca. 1,6 Millionen Frühstückende.“

„Natürlich nehmen wir dieses Schneeball-Prinzip nicht so tierisch ernst“, fügt er hinzu. Doch das ironische Spiel mit der Möglichkeit der Kettenreaktion trägt dazu bei, dass öffentliches Frühstücken mehr und mehr Kultstatus gewinnt. Schneeball hin, Kette her: Derschmidt staunt, wie sich die Idee dann doch herumsprach – „ich habe schon einen ganzen Sack voller Fotos“. Die FrühstücksaktivistInnen sind nämlich gebeten, ihr ungewohntes Tischleindeckdich im öffentlichen Raum zu dokumentieren; Derschmidt sammelt diese Dokumente für eine große Ausstellung, die im Rahmen eines bilanzziehenden „Break Festes“ gezeigt werden soll. Die Dunkelziffer ist, wie gehabt, im Dunklen: Manche Leute stellen einfach Tisch und Sesseln auf den Platz, ohne sich auf das künstlerische Konzept des „Permanent Breakfast“ zu beziehen.

Je prominenter der Platz, desto unbehelligter die Frühstückenden

Der Kern der demonstrativen FrühstückerInnen sind engagierte, aktive Leute: Für sie gibt’s einiges zu tun bei diesem „Nichtstun“ (dass beim Nichtstun nichts ungetan bleibt, wusste schon Laotse). Kaffee trinkend Politik machen, das wollten sie von Anfang an: denn die Idee, einen Platz buchstäblich zu besitzen und mit einem Anliegen zu besetzen, ist eine subversive Idee. Zunächst gilt es, einen passenden Ort zu finden, wobei das einzige Kriterium seine öffentliche Zugänglichkeit wäre. „Geradezu optimal finde ich den Platz vor der Karlskirche“, schwärmt Derschmidt. Hier gefiel die gedoppelte Inszenierung: Die Frühstückenden inszenierten sich vor den Passanten, und die Skateboard-Kids inszenierten sich vor den Frühstückenden. Außerdem: „Je prominenter der Platz und je präsenter die Frühstücksrunde auf ihm, desto unbehelligter sind die Frühstückenden: Kein Beobachter kann sich vorstellen, dass er eben etwas wahrnimmt, was nicht sein darf“.

Wenn der Platz feststeht, stellt sich die Frage: Wer wird eingeladen? Im eigenen Saft schmoren kann Spaß machen, aber spannender ist es oft, mit Fremden zu frühstücken. Es empfiehlt sich für die InitiatorInnen, auch leere Sesseln aufzustellen, um unverschreckte PassantInnen spontan einladen zu können. „Am besten gelingt das mitten auf dem Fußgängersteg über den Wienfluß hinterm Stadtpark“, weiß Derschmidt: Da müssen die FußgängerInnen hautnah an den Frühstückenden vorbei. Wenn man so will, kann man ein öffentliches Frühstück als Potlatch anlegen (indianisches Wort für ein Fest, bei dem die Einladenden ihre Gäste demonstrativ üppig beschenken). In diesem Fall könnten auch am Platz anwesende Clochards einbezogen werden: „Permanent Breakfast“ als soziale Umverteilung im Kleinen.

Wer das Frühstück als „Veranstaltung“ anmeldet, ist selber schuld

Und schließlich sollte so ein öffentliches Frühstück liebevoll vorbereitet werden. „Ein Frühstück ist ein Frühstück und kein Picknick“, sagt der Erfinder von „Permanent Breakfast“. Ein Frühstück braucht einen Tisch, der gedeckt sein muss. Spartanisch oder lukullisch – aber gedeckt. „Die ästhetische Inszenierung macht das Kraut fett“, betont Derschmidt.

Bleibt noch die Arbeit des Dokumentierens: Fotografieren, filmen, eventuell literarisch protokollieren und das ganze Material an Friedemann Derschmidt schicken. Entfallen kann die Arbeit des Bedienens der Bürokratie. Spielregel Nr. 7 aus dem acht Punkte umfassenden Regulativ: „Für eine (grundsätzlich nicht notwendige) Anmeldung des Frühstücks als Kundgebung trägt jede(r) individuell Sorge. Jede(r) ist für sein Frühstück selbst verantwortlich.“

Wer das öffentliche Frühstück als „Veranstaltung“ anmeldet, ist selber schuld – wem gehört schließlich die Stadt? Dem Amt Sowieso etwa? Oder den Geschäftsleuten? „Permanent Breakfast“ reiht sich, als Aktionskunst, bewusst in die vielfältigen Bemühungen der „Rückeroberung“ des öffentlichen Raumes ein – und gesellt sich so zu den Donnerstag-Wandertagen gegen die blauschwarze Regierung, die inzwischen die neue (aber von der Verfassung ohnehin gedeckte) Norm des Nichtanmeldens von Kundgebungen verfestigt haben, ebenso wie zu den AUGUSTIN-Aktionen gegen die Vertreibung von „Randgruppen“ aus dem öffentlichen Raum. Auch die vom AUGUSTIN initiierte „Neue Wiener Schule des Pflastemalens“ (Seite 3) hat diese „platzgreifende“ Bedeutung: In Wien spüren die beamteten und kommerziellen Reglementierer des Lebens auf Plätzen und Straßen Gegenwind.

Aus der nun vierjährigen Geschichte von „Permanent Breakfast“ sind, so Derschmidt, kaum verjagte Frühstücke bekannt. Einmal unterbrach die Polizei ein öffentliches Frühstück neben Hrdlickas „Straßenwaschenden Juden“ am Albertina-Platz. Ein Hrdlicka-Schüler wollte das Frühstück zu einer Diskussion zum Thema des Denkmals nutzen, doch die Beamten missverstanden die Aktion.

Auch ein öffentliches Frühstück in einer Wiener Parklücke wurde von der Polizei untersagt. Obwohl die Frühstückenden einen Parkschein ausgefüllt hatten.

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