Über Schach hinausvorstadt

Die Wiener Schachgruppe Four Kings Vienna will weithin unbekanntes asiatisches Schach populär machen. Christian Kaserer (Text und Fotos) über Shogi, Xiangqi und Artverwandtes.

Um die Erfindung des Schachspiels ranken sich viele Legenden, und die älteste und wohl bekannteste unter ihnen ist eine alte Anekdote rund um den indischen Brahmanen Sissa. Er soll versucht haben, den tyrannischen König Indiens auf seine Fehler aufmerksam zu machen und ihn davon zu überzeugen, dass man sich nicht nur um den Hofstaat, sondern eben um das ganze Volk kümmern müsse. Direkt ausgesprochen war das unmöglich, zu sehr wäre Sissa von den Launen des Königs abhängig gewesen und hätte eventuell gar sein Leben mit dieser Kritik aufs Spiel gesetzt. Es bedurfte also einer List. So entwickelte er ein den Geist des Königs forderndes Spiel, welches nur mit Rücksicht auf sämtliche Figuren, Bauern wie auch Adel, zu gewinnen war. Die Sage will, dass die List aufging und es fortan nicht nur dem indischen Volk besser ging, sondern sich das Spiel im ganzen Land, hernach bekanntlich auf der ganzen Welt, ausbreiten sollte. Freilich mag die Erzählung Mumpitz sein, doch gilt das Indien des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts inzwischen tatsächlich als Ursprung aller heute noch bekannten Schachvarianten. Und davon gibt es so einige, denn Schach ist nicht gleich Schach, und viele Nationen haben ihre eigenen Varianten davon. Gerade in Asien entwickelten sich diverse Abwandlungen, die oft auf den ersten Blick zumindest äußerlich kaum Ähnlichkeiten mit der bekannten Denksportart aufweisen. Diese so verschiedenen Spiele auch bei uns bekannt zu machen hat sich die Wiener Schachgruppe Four Kings Vienna zur Aufgabe gemacht.

Eine Lücke gefüllt.

«Im Jahr 2017 habe ich die Gruppe ins Leben gerufen. Damals lagen bereits mehrere Jahre als Schachspieler in der Schule hinter mir», erzählt Andrej Trauner, Gründer von Four Kings, im Gespräch mit dem AUGUSTIN. «Als Schüler war ich vor allem vom westlichen Schach begeistert, und nach der Schule habe ich durch einen Freund das japanische Shogi für mich entdeckt. Spielen konnte man das in Wien allerdings kaum, und andere Varianten, die mich auch interessierten, sowieso nicht. Also habe ich mir gedacht, ich versuche den Schuss im Dunkeln und baue meine eigene Gruppe auf. Vielleicht wird’s was.» Und tatsächlich traf der Schuss sozusagen einen wunden Punkt. Mit seiner Four-Kings-Schachgruppe schloss Trauner eine große Lücke in der hiesigen Schachgemeinschaft, und so erfreut er sich über die immer größer werdende Zahl an Spieler_innen. «Anfangs waren wir, wie das halt so ist, eine kleine Gruppe von Freunden, die sich einmal die Woche zum Schachspielen getroffen hat. Wir waren damals schon froh, dass wir mit dem Café Schopenhauer überhaupt ein Lokal gefunden hatten, denn manche trinken am ganzen Abend vielleicht nur eine Tasse Kaffee. Gewinnbringend sind wir also nicht. Mit der Zeit kamen dann immer mehr Leute hinzu, und nach zwei Jahren sind wir, wenn alle da sind, etwa 20 Leute», so der 26-jährige Philosophiestudent, der hauptberuflich als Pflegefachkraft arbeitet. Seine Gruppe ist auch alles andere als ein homogener Haufen. Zu den Stammgästen sozusagen zählen sowohl der elfjährige Schüler Lukas wie auch die junge Elektronikerin Samira oder der TU-Student Li. Sie alle sind keine Profis und spielen auf unterschiedlichem Niveau, es eint sie aber die Leidenschaft für asiatisches Schach. «Bei uns sind alle willkommen, egal wie kurz oder lange sie schon spielen. Auch komplette Neueinsteiger sind gerne gesehen, und wir stehen immer unterstützend mit Hinweisen zur Seite, solange die Leute einfach Lust am Lernen, Spielen und Ausprobieren haben.»

Acht Schachvarianten.

Zum Probieren gibt es tatsächlich nicht gerade wenig. Neben dem bei uns bekannten Schach hat die Gruppe inzwischen acht Schachvarianten aus ganz Asien konstant in petto, und das japanische Shogi, das man bei uns noch vom Hörensagen her kennt, ist dabei die wohl am wenigsten exotische Form. «Das chinesische Xiangqi sieht auf den ersten Blick aus wie das japanische Shogi, aber es gibt da einige markante Unterschiede. Am auffälligsten ist wohl, dass die Figuren nicht in den Feldern sind, sondern sich an den Linien zwischen den Feldern entlang bewegen und dass der König sozusagen in einem Palast ist, den er nicht verlassen darf. Das schränkt ein, aber jede Figur hat eben ihren Platz und Wirkungsbereich – ziemlich konfuzianisch. Ähnlich ist das auch beim koreanischen Janggi, das sich aus der chinesischen Variante entwickelt hat. Janggi spielt man auch heute noch in ganz Korea, aber lustig ist, dass sich genau eine Regel zwischen Nord und Süd unterscheidet», erklärt Trauner, bei dem man schnell merkt, dass Schach nicht nur ein Hobby, sondern eine brennende Leidenschaft geworden ist. Nebst den nationalen Spielarten kennt die Gruppe allerdings auch historische Stufen und zeitgenössische Entwicklungen. «Das aus dem mittelalterlichen Japan stammende Chu Shogi ist ein wahres Monster. Das Spielbrett ist deutlich größer und es gibt auch viel mehr Figuren, wie zum Beispiel einen betrunkenen Elefanten, Drachenpferde oder zwei blinde Tiger. Eine Partie kann da schon mal Stunden dauern. Schneller und auch jünger ist dagegen das vietnamesische Commander Chess. Es wurde von einem Veteranen des Vietnamkriegs entwickelt und wird folglich mit Panzer, Artillerie, Flugzeugen und Schlachtschiffen gespielt. Es wird dort aktuell auch immer beliebter. Eine vom Grundgedanken her nicht ganz unähnliche Variante haben wir sozusagen als modernes Schach mit Drohnen und Co. übrigens auch selbst entwickelt.»

International vernetzt.

Die wöchentlichen Treffen jedoch sind Trauner und anderen aus der Gruppe nicht genug, und so verrichtet man auch regelmäßig Shogi-Turniere in Wien. In Japan freilich Usus, sind jene in Europa eine Seltenheit, und Besucher_innen aus allen Ecken des Kontinents kommen dafür angereist. «Für die Shogi-, Xiangqi- und Janggi-Turniere kommen die Leute echt von überall her. Dieses Jahr hatten wir Teilnehmer aus Russland, Italien, Polen, Deutschland und aus Skandinavien. Selbst aus Japan kam heuer ein Gast zu uns, als man dort vom Turnier gehört hat», schildert Trauner. Die Schachspieler_innen sind eine dank des Internets bestens vernetzte Gemeinde. Man tauscht sich aus, gibt sich Hinweise und ist solidarisch zur Unterstützung bereit, wenn sich neue Gruppen gründen. Davon profitiere man auch zwischenmenschlich, erzählt Trauner.
Doch nicht nur Wien etabliert sich nun als kleines Zentrum asiatischen Schachs, auch die deutsche Stadt Hamburg wendet sich dem koreanischen Janggi zu. Natürlich sind auch dort Trauner und seine Leute dabei. «Im Spätsommer findet in Hamburg ein Janggi-Turnier statt, zu dem auch einige aus unserer Gruppe reisen werden, um dort gegen die besten Spieler Europas anzutreten. Das wird dann für uns alle besonders spannend, denn es soll nicht nur ein Team aus Südkorea kommen, um mit uns zu spielen, auch eines aus Nordkorea hat sein Interesse bekundet. Das wäre dann schon eine tolle Sache, wenn die beiden Länder sich in Hamburg ein freundschaftliches Janggi-Match liefern würden», freut sich Trauner, der darauf verweist, dass der internationale Aspekt von Schach auch immer ein Mittel der kleinen Völkerverständigung gewesen ist. 

Four Kings Vienna trifft sich jeden Mittwoch von 16 bis 20 Uhr im Café Schopenhauer, 18., Staudgasse 1

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