Über unser aller DemenzDichter Innenteil

Wenn ein Mensch etwas für ein paar Euro stiehlt, dann passiert es sofort, dass ihn die Polizei jagt, und die Zeitungen und das Fernsehen berichten davon. Er wird sofort bestraft, es folgen Gefängnis, Familientragödien; Alkoholprobleme und Obdachlosigkeit sind dann in diesem Fall auch nicht selten. Wenn aber mächtige Funktionäre Millionen veruntreuen, wird das mit Handschuh behandelt, damit gottbewahre sich diese Sauhunde mit der Wahrheit nicht belästigt werden, schimpft Rudi, weil dieses Thema momentan die breite Masse beschäftigt und unser Stammtisch zugegeben Teil der breiten Masse ist.Emmi, ebenfalls zum Gipfel aller Themen: Ich habe gehört, dass in einem Supermarkt eine Ausländerin vom Personal misshandelt wurde, weil einer von denen dachte, sie wolle was klauen. Obwohl sie ihre Unschuld beweisen konnte, entschuldigte sich niemand bei ihr. Aber wenn Millionen verschwinden, dauert es Jahre, bis sich jemand traut, das sehr vorsichtig ans Tageslicht zu bringen! Meine Großeltern haben durch Kriegserfahrung seit jeher kein Vertrauen in die Banken gehabt, sie versteckten das Geld im alten Strumpf – so sicher, dass sie es ab und zu alleine nicht finden konnten. Und ein Kollege von mir wollte sein Gehalt von der Firma grundsätzlich nur auf die Hand haben, es war ein jahrelanges Theater, ihn zu einem Bankkonto zu überreden:

Ich bin eine BAWAG Kundin und ich bin es trotz allem auch geblieben, wirft Linda ein: In der Filiale, wo ich hingehe, bin ich immer korrekt behandelt worden, die anständigen Angestellten, die jetzt ihren Kopf hinhalten müssen, können nichts dafür, dass ein paar Supergangster so was machen. Überall wird gespart, Arbeitsnehmer haben nichts davon aber die Bosse kassieren Millionen und das nicht nur bei BAWAG oder beim ÖGB. Es gibt eine Gruppe Menschen, die bekommen für nicht existierende Arbeit real existierendes Geld. Als ich in die Pension ging, meldete sich der ÖGB sofort, dass ich weiter die Mitgliedschafts- Beiträge zahlen solle, das tue ich auch. Und jetzt das.

Was mich auch interessieren würde, sind die ÖGB-Ferienheime, meint Pepi. Als unsere Kinder klein und ich und meine Frau Gewerkschaftsmitglieder waren, wollten wir es auch mal ausnutzen. Ich holte Informationsmaterial dazu und meine Frau rief in ein paar von uns ausgesuchten Heimen an. Es war nirgends möglich für uns, einen Platz zu bekommen – auch in Zukunft nicht, weil sie, wie sie im Telefon sagten, schon drei Jahre im Voraus besetzt waren. Meine Frau war auf den ganzen ÖGB so heiß, dass sie sofort ausgetreten ist.

Wie schwer ist es , ausgeschlagene Zähne mit zwei gebrochenen Händen zu sammeln

Während die größte Bedrohung für Afrika AIDS ist, ist die Demenz die größte Gefahr für Europa, das las ich unlängst im ORF-Teletext, diese vom Thema ablenkende Schreckensnachricht verbreitet Rudi. Wie erkennt man überhaupt, dass man schon schwachsinnig ist? will er wissen. Emmi weiß fast eine Antwort: Bei der Demenz bin ich mir nicht ganz sicher. Aber ich weiß, wie man Schizophrenie feststellen kann. Wenn du mit Gott sprichst, bedeutet das, dass du betest, wenn du aber sagst, dass Gott mit dir redet, ist es so weit, dass du einen Psychiater aufsuchen solltest. Ein bisschen dement sind wir irgendwie alle, meint Linda und teilt uns ihr Erlebnis mit: Beim Klassentreffen nach fünfundvierzig Jahren sah ich einen Mitschüler, in den ich als Dreizehnjährige heimlich sehr verliebt war. Als ich ihm das beichten wollte, stellte ich fest, dass ich seinen Namen vergessen hatte. Als ich ihn dann sehr höflich fragte, schaute er mich an und fragte mich nachdenklich: Und bis wann brauchst du es zu wissen?

Solche Krankheitsbilder stellte ich bei mir auch fest, gibt Rudi zu. Ja, er brüstet sich geradezu mit seiner Offenheit: Wenn ich zu Fuß gehe, denke ich: was für Trottel die Autofahrer sind, und wenn ich hinterm Lenkrad sitze, sind die Fußgänger die Wappler. Man muss es gelassen sehen. Als ich gestern mit der Tram fuhr, war ich sehr schlecht aufgelegt, schuldig war das Wetter. Die Stimmung kippte, als eine ältere Frau im vollbesetzten Waggon in einer Kurve umfiel. Ein Teenager half ihr aufzustehen und fragte die Dame liebevoll: Na, Oma, hat sich dein Fallschirm nicht rechtzeitig geöffnet? Und alle Fahrgäste bekamen sofort freundliche Gesichter und es ging sichtlich allen besser.

Ein interessantes Erlebnis hat auch Poldi zu berichten: Ich bin nicht neugierig, aber durch Zufall hörte ich ein spannendes Gespräch auf der Straße, wo ein Mann zu einem anderen sagte: Und richte das dem Harald aus, sonst kommt er drauf, wie schwer es ist, ausgeschlagene Zähne mit zwei gebrochenen Händen zu sammeln. Da bemerkte der Mann, dass ich gelauscht hatte, und gab mir einen Rat, den ich auf Anhieb verstand: Na was, Alte, geh weiter oder soll ich dir helfen…

Am Nebentisch sitzt ein Mann mit seinem Bier ganz allein. Rudi kennt ihn vom Sehen. Er versucht, ihn zu unserem Tisch einzuladen. Nichts für ungut, aber mit den Viechern spreche ich lieber als mit Menschen, Lehnt der Einsame unsere Einladung ab. Die Viecher sind dir treu, sie lieben dich und man kann ihnen sorglos alles anvertrauen, ohne das man ein deppertes Echo bekommt…

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