Eva Brenner und Andreas Pamperl zu Problemen freier Theaterarbeit in Wien
Mit der Theaterreform des Jahres 2004, die das Gießkannenprinzip vergangener Jahre abschaffen sollte, im Wesentlichen aber der freien Theaterszene die finanzielle Existenzsicherung entzogen hat, stand auch für das Theater in der Kirchengasse eine Neupositionierung innerhalb der Theaterlandschaft Wiens an. Interkulturelle Projekte und die Einbeziehung aktueller gesellschaftspolitischer Fragen sollen die Bandbreite an Veranstaltungen und Finanzierungsmöglichkeiten erweitern. Art of Survival lautet das Motto des neu präsentierten Vier-Jahres-Konzepts ein vieldeutiger Slogan, der sich sowohl auf die schwierige Situation der Off-Theater-Szene als auch auf alltägliche prekäre Lebenssituationen bezieht. Im neuen Konzept von Eva Brenner, Andreas Pamperl und Alexander Emanuely sieht sich das Theater als Schnittstelle zwischen Alltag und Kunst. Derzeit läuft in der Fleischerei eine Serie von Diskussionsveranstaltungen, die sich mit den Themen Migration, Asyl und Prekariat beschäftigt.
Im AUGUSTIN-Gespräch stellen die beiden künstlerischen LeiterInnen, Theaterregisseurin Eva Brenner und Bühnenbildner Andreas Pamperl, gegenwärtige und zukünftige Projekte vor und loten Grenzen und Möglichkeiten freier Theaterarbeit in Wien aus.
Was ist die Fleischerei?
Andreas Pamperl: 2004 haben wir in Folge der Wiener Theaterreform und der damit verbundenen finanziellen Kürzungen begonnen ein neues Label zu gründen, die Fleischerei. Wir sind vom Hinterhof raus in ein Gassenlokal mit großen Schaufenstern, um damit ein Signal zu setzen, im Sinne eines neuen Theaters, das in Richtung eines Miteinanders mit dem Publikum geht.
Wie hat sich diese Projektidee im Vergleich zu vergangenen Theaterkonzepten des Projekttheaters verändert?
Eva Brenner: Es gibt eine sehr starke Wende, auch wenn man unsere Projekte der Jahre 1998 bis 2002 mit den heutigen vergleicht. In der Vergangenheit war eine experimentelle Ästhetik vorherrschend, wo versucht wurde, mit einer aus heutiger Sicht elitären Formensprache zu kommunizieren. Im Gegensatz dazu, wenn ich diesen Raum jetzt betrachte oder die Fotos aus den letzten Jahren seit 2004, haben sehr viele Menschen, sehr unterschiedliche, sehr interdisziplinäre und vor allem interkulturelle Menschen, hier zusammengearbeitet, und es steht nicht mehr nur eine einzige Regiehandschrift im Vordergrund. Ich sehe die Sache der Fleischerei, das Label, das der Andi beschreibt, als einen ziemlich radikalen Schwenk zurück zu einer Suche nach dem politischen Theater. Auch als direkte Reaktion auf die Theaterreform, die ja keine war, sondern eine relativ radikale und aus meiner Sicht eine destruktive Abwicklung der freien Theaterszene der letzten dreißig, vierzig Jahre ohne etwas an ihre Stelle zu setzen. Dabei war das ja der Angelpunkt, dass jetzt die Jungen kommen und dass jetzt die neuen Teams entstehen. Aber das ist ja nicht der Fall, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, und man könnte hinterfragen, ob die Arbeit, die sie machen, wirklich neu ist. Wir haben gesagt: Wenn das so ist, dann nützt es nichts, mit rein ästhetischen Mitteln darauf zu antworten, sondern wir wollen dieses gesamte Szenario in Frage stellen.
Das klingt nach einem Rückgriff auf theaterpädagogische Konzepte der 1970er Jahre?
EB: Es ist, glaube ich, kein Rückgriff, aber wir schauen schon, was gewesen ist. Wir treffen uns z. B. mit Leuten, die mit Augusto Boal gearbeitet haben. Soziokulturelle Ansätze sind ja in Verruf geraten und gelten als nicht mehr en vogue. Ich glaube, dass das nicht stimmt und wenn man außerhalb Europas schaut stimmt es ganz sicher nicht. Ich sehe unseren Raum hier als einen Angelpunkt in Wien, wo sich Leute treffen können und diskutieren. Deshalb veranstalten wir auch diese mittlerweile sehr erfolgreichen, von Okto ausgestrahlten Diskussionsserien, aufgehängt auf verschiedenen Themen. Wir wollen damit die Situation, in der wir uns befinden, reflektieren, als Künstler, als Intellektuelle und als Menschen, denen mehr zusteht und die auch mehr schaffen wollen als verkaufbare Produkte. Ich verstehe das als Widerstandsarbeit.
AP: Es geht auch um die Suche nach neuen Formaten von Theater im weitesten Sinn. Wir haben eben eine Serie gemacht, Kitchen Stories, wo wir MigrantInnen eingeladen haben, gemeinsam mit dem Publikum zu kochen und ihre Geschichte zu erzählen; weiters eine Serie mit dem Titel Help yourself, marry me!, wo es darum ging, Ehen mit migrantischen Ehepartnern zu thematisieren, die als inszenierte Hochzeitsrituale abgelaufen sind. Ziel dieser Projekte ist es, für die Menschen in der Umgebung einen Ort zu schaffen, wo sich jede(r) Einzelne was sagen traut, wo diese Offenheit erlebt werden kann. Da sind wir natürlich auch am Suchen, im Moment suchen wir in ganz verschiedenen Bereichen, wie sich zukünftiges Theater entwickeln kann.
Auf welche Bereiche und Einflüsse bezieht ihr euch da?
AP: Meine sind vor allem beeinflusst vom asiatischen Kulturraum.
EB: Meine sind amerikanische, und ich beschäftige mich jetzt wieder verstärkt mit der zapatistischen und neozapatistischen Bewegung in Mexiko. Ich denke, dass die Formel, die John Holloway bekannt gemacht hat Eine andere Welt ist möglich auf die Kunst umgelegt werden muss. Die neoliberale Entwicklung und jetzt auch die Verarmung großer Teile der Mittelschicht bedeutet, dass mehr und mehr Menschen sich ausgegrenzt fühlen, und das gilt natürlich auch für die Kunst- und Kulturszene. Ich bin auch durch die Bewegung der Zivilgesellschaft in Amerika in meinem Denken über Kunst geprägt. Ich habe die letzten 15 Jahre versucht, vieles davon umzusetzen, und wenn ich zurückblicke, muss ich sagen, es war nicht einfach. Ich spüre den Widerstand ganz stark in der Gesellschaft, auch bei offenen, bei linken, bei feministisch bewegten Menschen.
Ihr habt jetzt das Vier-Jahres-Konzept Art of Survival erstellt. Wo sind da die Schwerpunkte? Sind das vor allem soziale Theaterprojekte?
EB: Eigentlich beides, es geht darum, die beiden Pole Kunst und Leben zusammenzubringen. Der Titel sagt ja schon, worum es gehen soll: Art of Survival. Die Frage des Überlebens ist zur Hauptfrage geworden. Wir versuchen sowohl namhafte Künstler wie Radovan Grahovac oder Felix Mitterer als auch kleinere Projekte aus dem Ausland einzuladen, hier zu arbeiten. Und innerhalb dieser Projekte wollen wir dann soziotheatrale Interventionen einfügen, also eine Form des Interagierens verschiedener Formate, wo zum Beispiel ein Asyltheaterprojekt mitten in einen performativen Ablauf von zum Beispiel einem Nestroystück stattfinden soll.
Und wie soll das konkret ablaufen, arbeiten die Künstler mit den AsylwerberInnen zusammen?
EB: Nein, die machen ihre Kunstprojekte zum Thema Art of Survival, und wir wollen dann mit unseren soziotheatralen Schienen eingreifen, dadurch soll es zu einem Interagieren kommen.
Das Vier-Jahres-Konzept ist auch sehr räumlich gedacht.
AP: Es gibt jährlich eine Raumgestaltung, die sich auf bestimmte Grundbewegungsarten wie Sitzen, Liegen, Stehen beziehen. D. h. dass man in einem Raum nur sitzen, nur liegen oder nur stehen kann – und das von der Ausstattung des Raums her jeweils vorgegeben.
Hat sich durch den interkulturellen Ansatz in eurer Theaterarbeit auch das Verständnis von Performancekunst und Regiearbeit verändert?
EB: Vieles von dem, was ich noch vor 5 Jahren geglaubt habe und was ich als Essenz meins künstlerischen Egos hielt, interessiert mich überhaupt nicht mehr. Also die Vorstellung: Ich verwirkliche meine Ideen eines Regiekonzeptes, eines Bühnenkonzeptes, einer Rolle … Ich glaube sogar, dass so ein Konzept abträglich ist für die Arbeit, die wir machen. Es verhindert mich, hinauszuschauen, hinauszugehen, und setzt stattdessen eine relativ egozentrische Introspektion. Diese Form der europäischen Meisteridee, die Vorstellung des Künstlers als Meister, der ein Geheimnis hat, das er nur an ganz wenige weitergibt, ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß.
Info:
Do., 11. 12., 19 Uhr: POLITICAL ALLIANCES SURVIVING MEN-MADE-DISASTER. Gespräch mit Rudolf Gelbard und Filmvorführung seines Porträts Der Mann auf dem Balkon. Rudolf Gelbard. KZ-Überlebender Zeitzeuge Homo politicus