Die Geächteten des Pratersterns als meistgefilmte Menschen?
Der Justizsprecher des freiheitlichen Parlamentsklubs versuchte einmal, via parlamentarischer Anfrage an das Verkehrsministerium sich Informationen über Ausmaß und Erfolg der Videoüberwachung der «Problemzone» Praterstern zu verschaffen. Die Intention der FP: Argumente zu sammeln, um zu beweisen, dass die Überwachung verstärkt werden müsse. Aber der Justizsprecher blitzte ab. Die schnoddrige Antwort: «Die vorliegenden Fragen fallen nicht in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie.»Die Beantwortung der Fragen, die der Blaue stellte, wäre freilich auch für Gegner_innen des Überwachungsstaates interessant: Von wem wurde die Videoüberwachung am Praterstern veranlasst? Von wem bezahlt? Von wem betrieben? Wer hat Zugriff auf die Bilder? Wie viele Straftäter konnten identifiziert werden? Die letzte Frage ist heikel für die parteienübergreifende «Sicherheits»-Fraktion: Die Antwort kann nur eine Zahl sein, die jede Rechtfertigung des hohen Geldaufwandes für die Totalüberwachung in sich zusammenstürzen ließe.
Aber Menschenrechtsaktivist_innen bezweifelten ohnehin immer die Aussage, Videoüberwachung diene zur Identifizierung von Straftätern. Nein, die Kameras werden zur Kontrolle der sozial geächteten Gruppen verwendet, die am Praterstern ihre, voneinander abgegrenzten, Nischen der Zusammengehörigkeit und der Kommunikation und den Ersatz für ihre nicht vorhandenen privaten Wohnzimmer behaupten. Die Betroffenen sprechen viele Sprachen, viele sind obdachlos, alle sind erwerbsarbeitslos, viele sind alkohol- oder drogensüchtig, viele betteln, manche bieten ihren Körper an. Eines ist ihnen gemeinsam: sie haben ein verdammtes Recht, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen, aber nicht nur rechtspopulistische Politiker nehmen ihnen sukzessive dieses Grundrecht.
Menschenrechtsaktivist_innen sind mit dem weit verbreiteten Stammtischargument konfrontiert, wer sich nichts zu Schulden kommen lasse, brauche sich vor den Kameras nicht zu fürchten. Die Sänger_innen des Stimmgewitter Augustin drehen das Argument um: Wenn Leute sich nichts zu Schulden kommen lassen, warum werden sie trotzdem ständig überwacht? Sie vergleichen die Totalkontrolle des öffentlichen Raumes mit einem unangenehmen Zeitgenossen, der hinter einem Zeitungslesenden steht, um penetrant mitzulesen. Der Zeitungslesende begeht kein Delikt (noch gilt Zeitungslesen als anständig), dennoch wird er versuchen, sich von dem Mann hinter seiner Schulter zu befreien.
Am kommenden F13-Aktionstag, am Freitag, 13. Jänner, wird die «Werkskapelle» des Augustin vor etlichen Überwachungskameras am Praterstern ein Ständchen singen, um den Überwacher_innen ein anderes Bild in die Monitorkabinen zu liefern. Passant_innn werden ersucht, mitzusingen. Detaillierteres ist in der nächsten Ausgabe zu lesen; Auskunft geben auch gerne die Mitglieder des Vertriebs und der Redaktion.