Gottfrieds Tagebuch
11. 1.
Es ist sehr interessant, was ich alles interessant finde. Oder besser gesagt, ich ängstige mich immer wieder vor meinen seltsamen Gedankengängen.
Dahin sollte man sich ohne ausreichende Beleuchtung und adäquate Bewaffnung erst gar nicht begeben. Ich höre also irgendeine Dokumentation über UFOs. So weit, so unbekannt. Aber man muss doch nicht sofort und zwangsläufig an außerirdische, grüne Männchen denken dabei. UFO = unbekanntes Flugobjekt. Ich schreite also umgehend zur Suche nach anderen möglichen Erklärungen für dieses Rätsel. Könnte es sein, dass es sich um das Sportgerät eines mit diversen aufputschenden Mitteln vollgestopften Hammerwerfers handelt? Oder vielleicht doch eher um den Techniker der Gaswerke, der sich bei der Eruierung eines Lecks in der Gasleitung in Gedanken versunken eine Zigarette entfachte und damit einen Freiflug in die Stratosphäre gewann? Oder last but not least kann es sich auch um eine dieser inzwischen scheinbar unverzichtbaren Drohnen handeln, die einem überall beinahe nachgeworfen werden. Kauf eine Großpackung vom Produkt XY und erhalte eine Drohne gratis dazu. Obwohl Drohnen haben doch eigentlich etwas mit Bienen zu tun, wenn ich mich nicht irre. Das ist ja zum Irrewerden hier!
13. 1.
Schnee entwickelt sich zum echten Problem. Wenn er nicht vom Himmel fällt, ist es schlecht, und wenn zu viel vom Himmel fällt, ist es ebenso. Während in Wien zum Glück außer in diversen Nobelclubs wenig Schnee vorzufinden ist, erstickt der Rest des Landes offenbar vollständig in der weißen Pracht. Die Bezeichnung «weiße Pracht» fiel in letzter Zeit allerdings eher weniger in der Berichterstattung. In der Bundeshauptstadt genügt bekanntermaßen schon eine kleine Menge Staubzucker auf dem Gehsteig, oder der Fahrbahn, um Katastrophenalarm auszulösen. Aber bei dem ganzen Chaos, oder besser gesagt, der angespannten Schneelage, die derzeit in weiten Teilen des Landes herrscht, gibt es auch etwas Gutes zu berichten. Nämlich, dass die Menschen nicht gestorben sind, obwohl so manche mobile Buschtrommel ohne Akku und der PC ohne Strom waren. Darüber könnte man durchaus intensiver nachdenken …
15. 1.
Ich sehe, dass ich nichts sehe. Ich sehe nicht, also bin ich nicht. Genug des philosophischen Herumirrens! Hilfe dringend erforderlich! Da ich bereits seit meinem 8. Lebensjahr Inhaber eines Nasenfahrrades bin, weiß ich natürlich, was in der vorliegenden Causa zu geschehen hat. Ein Brillenputztuch, das meine 22,08 qm mit mir teilt, gilt derzeit noch als unauffindbar verschollen. First Lady kann nur gelangweilt auf meinen Versuch reagieren, sie der eventuellen Entführung des von mir begehrten Stückes Stoff zu zeihen. Früher, als ich nur ein Brillenetui mein Eigen nannte, war die Suche und Auffindung wesentlich einfacher. Aber der Trend zur Zweitbrille und dem dazugehörigen Futteral hat vor geraumer Zeit auch mich erreicht und jetzt sitze ich hier ich armer Tor und sinniere vor mich hin. Wo waren die Sachen zuletzt aufhältig? Wann wurden sie zuletzt gesehen? Warum nehme ich kein schnelles Papiertaschentuch? Eine Antwort taucht am Horizont zwischen den Fragezeichen auf. Ich besitze keine Taschentücher. Wenig hilfreich im Moment. Während der alte Mann die erste Katze des Hauses liebkost, fällt sein Blick auf die Umgebung des PC-Bildschirmes und dort liegt hämisch kichernd das Brillenputztuch. Wenn ich das erwische! Dann sorge ich aber sofort für klare Sicht! First Lady scheint ebenfalls zu kichern, aber die darf das. Das Ganze könnte man jetzt noch musikalisch abrunden mit Jimmy Cliff: I can see clearly now.
18. 1.
Wie bereits mehrmals erwähnt, bin ich neben meinem Dasein als Frühpensionist im Nebenerwerb als mobile Klagemauer tätig. Es passiert zwar nicht täglich, aber wenn es doch geschieht, dann richtig heftig. Also, es ist bitte Folgendes. Ich bin Baujahr 1960, gebaut und geliefert sozusagen. Das Ganze in liebevoller Heimarbeit. Als Hausgeburt bin ich aber auch eine Ausgeburt an seltsamen Erlebnissen. Warum auch immer. Aber wenn der alte Mann einer Dame in den drittbesten Jahren hilfreich zur Hand gehen kann, dann tut er das natürlich gerne. Wir sind beim Stand eines Bauern in ein Gespräch geraten. Ich völlig schuldlos, sie unter dem Anflug einer gewissen Verzweiflung. Früher, sprach das holde Wesen, früher sei sie des Öfteren mit der mit ihr befreundeten Fauna spontan in die Flora gegangen. Praterhauptallee zum Beispiel. Jetzt, klagt sie mir, müsse da zuerst eine Whats-App-Gruppe gegründet werden. Da wird dann getippt, bis die Finger verglühen, obwohl man ja auch fernmündlich miteinander kommunizieren könnte. Aber das sei nicht mehr cool. Apropos cool. Ich mache mich auf den Heimweg mit folgendem Hinweis: «Je ausgeklügelter unsere Kommunikationsmethoden, desto weniger kommunizieren wir.» John Boynton Priestley