Lokalmatadorin Nr. 365:
Jakub Kavin kämpft als Theatermacher in der Kulturhauptstadt Wien: ums pure Überleben. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).Wie ein Dompteur dreht der Regisseur seine Runden um die kreisrunde Bühne. Mit der Fotokamera in der Hand und einer Liste an Verbesserungsideen im Kopf. Hoch konzentriert beobachtet er die Generalprobe in der ehemaligen Ankerbrotfabrik. Aktuell das Thema, originell das Szenario: 14 Akteur_innen sollen im Inneren des Kreises Außenseiter darstellen, Gefangene in einem U-Bahn-Waggon der U3. Aufgrund einer Betriebsstörung müssen sie auf unbestimmte Zeit miteinander auskommen.
Morgen schon Premiere. Manchmal nickt er, restlos zufrieden wirkt er noch nicht. Auch kein Wunder: Jakub Kavin hat genaue Vorstellungen vom Theater abseits der großen Vermarktungsmaschinen. Sein Schauspiel soll die Kluft zwischen jenen, die das Wissen und das Geld haben, und jenen, denen der Zugang zu Bildung verstellt ist, kleiner anstatt noch größer machen.
Als Sinnbild einer offenen Gesellschaft treffen im Stück «Outsiders» Theaterprofis auf ambitionierte Laien, Menschen aus der Mitte auf Menschen vom Rand der Gesellschaft. Eine perfekte Bühne, auf der auch genügend Gestaltungsraum für die Rollstuhl-Performerin, den Schauspieler aus Syrien, den Haftentlassenen aus Somalia, die ehemalige Sexarbeiterin ist.
«Dass die Outsiders morgen uraufgeführt werden können, dafür habe ich monatelang gekämpft», erklärt Jakub Kavin nach der Probe. Er, der seit mehr als zwanzig Jahren auf und hinter der Bühne steht, ist ebenso ein Outsider – im Wiener Kulturbetrieb. Mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne hat er das fehlende Geld aufgetrieben.
Die Rolle des Außenseiters ist ihm nicht fremd. Er hat sie von seinen Eltern übernommen. Vater und Mutter führen seit mehr als dreißig Jahren durchgehend das «Theater Brett» in der Münzwardeingasse. Für ihre Arbeit und ihre Leidenschaft wurden die beiden oft prämiert, während sie die Förderungen aus dem städtischen Kulturbudget mehr beschämt als unterstützt haben.
Man hat seine Eltern schon in ihrer Heimat, in der Tschechoslowakei, zu Außenseitern gestempelt: «Weil sie aus Protest gegen das Regime die Charta 77 unterschrieben haben.» Seine Mutter, eine talentierte Schauspielerin in Brünn, durfte nicht mehr auftreten. Sein Vater, Historiker und Philosoph, wurde als Assistent an der Universität abgesetzt und musste sich als Kellner und Holzfäller durchbringen. Bis Bruno Kreisky den Regimegegner_innen der ČSSR eine Tür nach Wien öffnete.
Seine Kindheitserinnerungen an Wien gleichen den Erinnerungen von Gleichaltrigen: Eine graue Stadt mit grauen Gehsteigen, grauen Wintermänteln, grauen Tauben. Die wurden mehr verehrt als jene Kinder, die Tschechisch sprachen: «Uns hat man angebrüllt.»
Auch seine Begeisterung fürs Theater hat er von den Eltern. Sie haben ihn schon als Kind auf ihre Tourneen mitgenommen. In die Schweiz, nach Frankreich, Italien, Deutschland, Portugal, wo ihnen die Pantomime über Sprachbarrieren hinweghalf. «Mit vier durfte ich zum erste Mal in einem Stück mitspielen», erinnert sich der Junior. «Also ich saß halt auf der Bühne. Damit ich nach der Vorstellung schneller einschlafen konnte.»
Die Matura sollte er im Lycée Francais machen: «Meine Eltern wollten mir damit etwas Gutes tun. Doch das war von Anfang an eine Qual. Ich hatte Probleme mit der fremden Sprache, oft fehlten mir die Worte.» Mit zwölf durfte er erstmals aus seinem Schatten treten. Für die Hauptrolle in Antoine de Saint Exupérys «Der kleine Prinz» gab es viel Applaus und Aufmerksamkeit.
Es folgten die Jahre der Desillusionierung: Die Idee, Wirtschaft zu studieren, verwarf er bald. Die Euphorie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verlosch ebenso schnell. Auch die vier Semester am Konservatorium der Stadt Wien zerstörten in ihm mehr, als sie aufbauten: «Ich bin dann zurück ins Theater meiner Eltern, um in der Administration und als Techniker auszuhelfen. Nach gut einem Jahr habe ich den Schritt zurück auf die Bühne gewagt.»
Nach etlichen Engagements in der Wiener Theaterszene startete er 2001 sein eigenes Projekt: Mit dem «Kinder- und Jugendtheater Wien» tingelte er durch die Bundesländer, um bis zu 100 Vorstellungen pro Jahr zu spielen: «Die Requisite im Kofferraum, die Schauspieler mit mir im Auto. Mit 40 Grad Fieber bin ich einmal gefahren, völlig erschöpft habe ich die Bühne aufgebaut und auch gespielt.» Die Rechnung dafür musste er 2010 bezahlen: Burn-out und Trennung von der Mutter seines Sohns.
Danach sein Neustart: mit seiner leitenden Mitarbeit im Ersten Wiener Lesetheater und dem Aufbau des Theaterprojekts «urban cube». Gerne würde er das Stück «Outsiders» öfters zeigen und die Idee eines offenen Theaters mit dem Projekt «Theater Arche» (als Spielfläche und Zufluchtsort) weiter ausbauen.
Doch wie so oft ist nicht der Himmel, sondern das Girokonto die Grenze. Kavin: «Es gibt in Wien mehrere Theaterdynastien. Um einige bemüht man sich sehr, um andere weniger.» Wer das kritisiert («Ich habe mir nie ein Blatt vor den Mund genommen»), den lässt die Stadt nicht nach oben kommen. Der muss ständig ums Überleben kämpfen. Als Außenseiter. Dazu passt auch der Titel seines nächsten Stücks: «Wir Hungerkünstler_innen».