Seit Jahren trifft man in den Großstädten auf eine humanitäre Notlage. Die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, nimmt zu. Durch die Corona-Pandemie hat sich die prekäre Lage der Wohnungslosen verschärft. In München macht eine Ausstellung darauf aufmerksam.
TEXT: CORDULA RAU
Obdachlosigkeit ist ein globales Phänomen, das Menschenrechte untergräbt. Es greift nicht nur die Würde des Menschen und seine Gesundheit an, sondern das Leben selbst. Um diese Krise zu bewältigen, bedarf es kreativer Ansätze. Genau an der Stelle setzt die Ausstellung Who’s Next? – Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt im Architekturmuseum der TU München an. Für den Kurator Daniel Talesnik ist es bereits die zweite Ausstellung vor Ort. 2019 stellte er in Zugang für Alle São Paulos soziale Infrastrukturen dar und erläuterte, wie Architektur zur Stadtentwicklung beitragen kann.
Schon eingangs wird man von der gekonnten Gestaltung in der Pinakothek der Moderne, wo das Architekturmuseum untergebracht ist, überrascht. Sie stammt aus der Feder der Münchner Architektin Carmen Wolf. Was auf den ersten Blick angenehm übersichtlich erscheint, zeigt sich beim genaueren Hinsehen präzise und detailliert. Dreizehn aus Pappe gefertigte Litfaßsäulen dienen als Informationsträger. Eine davon weist am Eingang auf die Ausstellung hin, eine steht im Bereich der Kirche Sankt Bonifaz, einem bekannten Münchner Obdachlosentreff, eine nahe des NS-Dokumentationszentrums, der Rest in der Pinakothek der Moderne. «Diese Objekte passen gut in unseren Museumsraum und spiegeln die Art von Informationsvermittlung auf europäischen Straßen wider», beschreibt es Daniel Talesnik.
Die pinkfarbenen auf den Boden gezeichneten Umrisse der Schlafstellen von Obdachlosen in der Notunterkunft der Bayernkaserne München wirken mit ihrem abgezirkelten Abstand als Metapher. Ein Bett misst 90 x 200 cm, dazwischen liegen jeweils 90 cm Zwischenraum, das bedeutet 3,6 m2 pro Person. «Die Materialien für die ausstellungsbegleitenden Elemente stammen aus den Vorgängerausstellungen. Steg- und Wabenplatten wurden aufgenommen und neu kombiniert. In einer Ausstellung über Obdachlosigkeit schien es mir selbstverständlich, soweit möglich mit bereits vorhandenen Materialien zu gestalten», erläutert die Architektin ihr Konzept.
Ein Team aus jeder City.
Die Schau teilt sich in drei Bereiche. Im ersten Raum wird die Krise der Wohnungslosigkeit anhand von globalen Statistiken und sozialpolitischen Hintergründen in Städten wie Tokyo, Mumbai, New York und Los Angeles betrachtet. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Obdachlosen, aber auch die ambivalenten Reaktionen der Gesellschaft werden analysiert.
«Wir wurden bei den Vorbereitungen der Ausstellung von der Corona-Krise überrascht», schildert Daniel Talesnik. «Mit dem Reisen war es vorbei. Glücklicherweise kannte ich alle Städte bis auf eine persönlich. Das half mir beim Verständnis ihrer Besonderheiten. In jeder City stellte ich ein kleines Team zusammen, das mich bei der Recherche unterstützte.»
Im zweiten Raum sieht man historische und zeitgenössische Architekturprojekte zum Thema. Auch das Wiener Projekt VinziRast-mittendrin von gaupenraub+/- ist hier erfolgreich präsentiert. Die Modelle unterhalb der erläuternden Tafeln wurden von Bachelor-Student_innen der TU München angefertigt und bestechen durch ihre liebevolle Gestaltung. Mehrere Videofilme führen noch tiefer in das humanitäre Anliegen ein.
Der dritte Raum widmet sich zehn deutschen Städten von Ost bis West mit einer Auswahl spezifischer Kriterien. Auch das Angebot einer Bibliothek – ein beliebter Aufenthaltsort der Wohnungslosen – fehlt am Ende nicht. Eine Sammlung verschiedener Publikationen wird durch die gängigen Straßenzeitungen ergänzt – angefangen mit dem Münchner Biss über das Hamburger Hinz&Kunzt bis hin zum Augustin.
«Sie sind keine Opfer. Sie sind Verteidiger*innen der Menschenrechte», schreibt Leilani Farha, ehemals UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, im Ausstellungskatalog: «Jedes errichtete Zelt, jeder ausgerollte Schlafsack, jede gebaute Toilette ist eine Forderung: ein konkreter Menschenrechtsanspruch auf Überleben und Würde.»
Bis 6. Februar
www.architekturmuseum.de