… und Anna lächelteDichter Innenteil

Was ich heute hier schreibe, hätte ich nicht gewagt, zu erfinden. Es hat sich wirklich so zugetragen. Nur manchmal ist das, was ich in dieser Geschichte ausgelassen habe, schlimmer als das, was ich geschrieben habe.

Ob Anna und ich eine glückliche Ehe geführt haben? Lassen Sie mich das so ausdrücken: Nach zwölf Jahren Ehe ist vieles nur noch Alltag mit einem Spritzer Monotonie.Als ich sie kennen lernte, war sie völlig Wärme und Frau. Da war sie geistreich, amüsant mit einem Hang zum Mondänen. Wir wurden älter und Annas jugendliche Schönheit wich einem reifen Charme. Doch das machte sie in meinen Augen nur bewunderns- und begehrenswerter. Ich dachte immer, sie zu kennen – ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihr Trachten. Aber ich hatte nicht bedacht, dass hinter jedem Menschen nur zu oft ein Dunkel ist, in das man nicht eindringen kann.

Von einem Tag auf den anderen war Anna plötzlich weg. Der Grund? Ich wusste keinen. Mir war auch nichts Besonderes an ihr aufgefallen. Ich wartete auf sie, suchte sie, war voll Sorge. Sogar bei der Polizei war ich gewesen. Peinlich! Wenn ein Mann seiner Frau davonläuft, findet niemand etwas dabei. Umgekehrt aber wird der Mann zum Gespött. Mein Hausnachbar sah mich misstrauisch, distanziert und neugierig an. Da kam ich mir zerknittert und schäbig vor. Mir blieb nichts anders über, als mir meinen Alltag neu einzurichten und zu versuchen, mit dem Unerklärlichen fertig zu werden. So verging die Zeit. Ich zerknüllte sie in den Händen und warf sie weg.

Eines Tages war Anna wieder da. Ganz einfach so. Als wäre sie nur auf einen Sprung in der Trafik gewesen. Wenn du willst, dass ich bleibe, dann frage nichts – sagte sie und schlief seither im Gästezimmer. Ich habe nichts gefragt. Kam mir vor wie ein Idiot. In mir wuchsen Schmerz, Eifersucht und Wut zu einem großen Klumpen. Anna sperrte mich aus ihrem Leben. War sie einmal im Wohnzimmer, war ich für sie nicht da. Mir war, als könnte ich nur ihren Schatten an der Wand betrachten. Einmal presste sie die Stirne an die Fensterscheibe und lächelte. Anna lächelte! Ich fragte sie nach dem Grund. Da sah sie mich an und in ihren Augen zeigte sich ein grausames Funkeln, eine raubtierartige Härte. Ohne Antwort ging sie aus dem Zimmer. Da begann ich, sie zu hassen. Wie man nur einen Menschen hassen kann, den man einmal geliebt hat. Wenn die Liebe kalt wird, verbrennt ein Stück von uns. Und ein ungeliebter Partner macht einsam.

Die Tage zerflossen ineinander, die Wochen verschmolzen. Anna war bei mir, ohne bei mir zu sein. So wie sie aus dem Nichts gekommen war, so verschwand sie plötzlich wieder in einem Nebel des Geheimnisvollen. Man sollte alle Ursachen erfassen und begründen können. Ich machte das nicht. War sogar froh über ihr Verschwinden. Es war eine Erleichterung für mich. Die Zeit der dauernden Demütigungen war vorbei. Ich befürchtete nur, sie würde wiederkommen. Doch ich habe nichts von ihr gehört. Das war gut so. Mit einem Menschen, mit dem man eine Vergangenheit hatte, hat man kaum mehr eine Zukunft. Eines Abends wurde ich von der Polizei abgeholt und mit den Aussagen meines Nachbarn konfrontiert.

Seit fast drei Monaten, Herr Inspektor. – Nur ihren Schmuck, sonst gar nichts. Nicht ein einziges Kleidungsstück. – Sorgen? Nein! Sie hat es ja schon einmal gemacht und ist wieder zurückgekommen. – Bestimmt nicht mehr. Hinauswerfen werde ich sie. Ich habe auch schon mit meinem Anwalt gesprochen. – In den vier Säcken, die ich ins Auto geschleppt habe, war ihre gesamte Kleidung. Ich habe sie einer karitativen Stiftung gebracht. Die können sich bestimmt an mich erinnern. – Wer sagt, dass es fünf Säcke waren? – Herr Schober, mein Nachbar? Das ist doch ein Alkoholiker. Im Suff kann der doch nicht einmal bis drei zählen. – Der letzte war auch nicht schwerer als die anderen. Sah vielleicht so aus, weil ich schon müde war. – Ausgetrocknete Erde auf der Schaufel in der Garage? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin sonst sehr reinlich. Das muss ich übersehen haben. – Aber ja, ich habe die Katze unter dem Fliederbusch vergraben. Sie ist vor einigen Tagen eingegangen. – Natürlich können Sie den ganzen Garten umgraben, wenn Sie ihn nachher wieder in Ordnung bringen lassen. – Die blonde Frau, die jetzt öfters zu mir kommt, ist eine gemeinsame Freundin von meiner Frau und mir. Sie kümmert sich um mich. – Darauf muss ich Ihnen keine Antwort geben. Das geht nur diese Frau und mich etwas an. Und wir sind alt genug, um zu wissen, was wir tun. – Was hat er noch gesagt? Wir hätten viel gestritten, meine Frau und ich? Lüge! Was er gehört haben kann, war höchstens ein Monolog von mir. Da bin ich vielleicht laut geworden. Anna hat nie geantwortet. Ist nur aus dem Zimmer gegangen. Das hat mich rasend gemacht. – Nein, so rasend wieder auch nicht. Ich habe ihr nichts getan. – Das ist ihr Problem wenn Sie glauben, dass ich mit dem Verschwinden meiner Frau etwas zu tun habe. – Natürlich werde ich Sie verständigen, wenn sie etwas Neues ergeben sollte. – Nein, ich will es eigentlich nicht, dass sie zurückkommt. – Es ist ihr gutes Recht, mich weiterhin im Auge zu behalten. Mein gutes Recht ist es, sie unsympathisch zu finden, Herr Inspektor.

Als ich das Büro des Inspektors verließ, lächelte ich vor mich hin, denn ich wusste, dass sich Anna nicht mit mir in Verbindung setzen würde. Konnte sie auch nicht.

Monate später, der Briefträger im Gespräch mit Herrn Schober: Gestern habe ich ihren ehemaligen Nachbarn gesehen. Ja, den mit der verschwundenen Frau. In Ruhsberg bewohnt er eine feudale Villa. Die Blonde, die immer da war, wohnt bei ihm. ER lächelte, als hätte er das schon wenig geahnt. Ich will ja nichts gesagt haben, meinte er zum Abschluss. Damit sagte er alles das, was sein Zuhörer mit wohligem Schauder hören wollte. Gerüchte sind gefährlicher als jede Wahrheit.

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