und dennoch schöner als ParisArtistin

Zwischen zwei Welten: das Leben der Elisabeth Markstein

Zweimal hat der US-Geheimdienst CIA versucht, die Wienerin Elisabeth Markstein anzuwerben. Weil sie als Kennerin sowjetischer Verhältnisse galt. Und weil sie sowjetische Dissident_innen kannte. Der CIA kriegte sie nicht. Das sollte ihn nicht gewundert haben. Wer, wie Markstein, «zwischen zwei Welten» lebt (was ihr im Milena Verlag erschienenes Buch schon am Cover vermerkt), kann sich nicht von einer der Welten kaufen lassen. Ein Augustin-Gespräch mit einer Frau, deren noble Unaufdringlichkeit seltsam kontrastiert zu einer Biografie, deren Abenteuerlichkeit von heute Lebenden nicht überboten werden kann.Sie waren bis zu Ihrem sechsten Lebensjahr bei wechselnden Pflegeeltern untergebracht, in Wien, Zürich, Reichenberg bei Prag, Moskau, während Ihre Eltern als engagierte Kommunist_innen in der Illegalität arbeiteten.

Ja, ich bemühte mich immer, das erwünschte tapfere Kind zu sein. Bei meiner Oma in der bürgerlichen Währinger Professorenwohnung bleiben zu können, das wäre das große Glück für mich gewesen. Bei all den Abschieden von meinen Eltern wollte ich nie weinen. Das tat ich nur im Geheimen bei den jeweiligen Pflegeeltern. Weinen kann ich bis heute nicht. Leider.

Wie weit konnten Sie als Kind die politische Tätigkeit Ihrer Eltern, deren Leben mit falschen Pässen und häufigen Ortswechsel begreifen?

Da war ich ungefähr 8 oder 9 Jahre alt. Ich wusste, sie kämpfen für das Gute, gegen das Böse. Ich erlebte das wie die Geschichten im Märchen. Und ich wollte als Kind ihnen dabei helfen. Deshalb musste ich mich stark zeigen.

Im Sommer 1936, da waren Sie 7 Jahre alt, kamen Sie diesmal für lange Jahre nach Moskau. Zunächst ins Hotel LUX. Erstmals wieder zu Pflegeeltern, dann ab 1939 in ein Zimmer gemeinsam mit Ihren Eltern.

Das Hotel LUX war ein alter, aristokratischer Bau an einer der Hauptstraßen Moskaus, mit größeren Suiten. Zwei Stockwerke wurden draufgebaut. Mit kleinen Zimmern, in denen nur zwei Betten, ein kleiner Tisch Platz fanden. Toilette am Gang, eine Gemeinschaftsküche mit vier bis fünf Gasherden. Dort war ich glücklich, hatte viele Freunde unter den Bewohnern. Da waren Deutsche, Österreicher, Spanier, auch der Sohn von Tito. Gegenüber von unserem Zimmer wohnte Ernst Fischer (Philosoph, Schriftsteller, Politiker, verließ 1934 die SPÖ, danach bis 1969 Mitglied der KPÖ, die Red.) mit seiner Frau Ruth. Eine LUX-Bewohnerin kochte wienerisch. Da gab es ab und zu Wiener Schnitzel. Die Sommer und auch manche Wochenenden im Winter verbrachten wir in Kunzewo, einem Erholungsgebiet der KOMINTERN (Verband der kommunistischen Parteien der Welt, gegründet von Lenin, 1943 aufgelöst, die Red). Dorthin fuhr man von Moskau aus eineinhalb Stunden mit dem Bus. Wir streunten durch riesige Himbeerplantagen.

Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion wurde die «Komintern-Familie» aus Moskau evakuiert. Da lebten Sie, wie ich las, für 19 Monate nördlich von Nischni Nowgord auf einem ehemaligen aristokratischen Landsitz.

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Ja, wir mussten täglich drei Kilometer zu Fuß zur Schule gehen. Die Winter waren bitterkalt, manchmal bis zu minus 30 Grad. Wir hatten uns angewöhnt, einander auf die weißen Nasenspitzen aufmerksam zu machen, damit die nicht abfroren. Im Dorf lebten Altgläubige, die keinen Alkohol trinken durften, in schönen, sauberen Holzhäusern. Bei ihnen holten wir Milch oder Karotten.

Sie verbrachten die entscheidenden Kindheits- und Jugendjahre in der Sowjetunion mit tiefen Bindungen an russische Menschen. Wie erlebten Sie dann Ihre Rückkehr nach Wien im Jahr 1945?

Als Schock. Schon als uns der Fahrer am Flughafen abholte und uns von den russischen Besatzungssoldaten erzählte. Von den Vergewaltigungen.

Sie wussten besser als andere was in der Sowjetunion aus der Utopie des Sozialismus wurde. Und blieben auch nach den Ereignissen von 1956 und 1968 in der Partei. Warum?

Man hoffte, dass sich die KPÖ ändern würde. Und solange mein Vater Hans (bis 1965 Vorsitzender der KPÖ) lebte, wollte ich ihm meinen Austritt aus der KPÖ nicht antun.

1971 wurden Sie aus der Partei ausgeschlossen. Was war der Grund dafür?

Meine Mutter Hilde und ich gehörten nach der «Normalisierung» der Partei in Zusammenhang mit der Niederschlagung des Prager Frühlings zu den Reformkommunisten. Diese sammelten sich um das «Wiener Tagebuch», für das auch ich zahlreiche Artikel schrieb. Das führte zu meinem Ausschluss wegen «parteischädigender Betätigung».

Sie kannte Bröll, Brodski und Solschenizyn

Zweimal hat der CIA Anfang der 70er Jahre versucht, Sie als Kennerin sowjetischer Verhältnisse und auch sowjetischer Dissidenten anzuwerben.

Ja, das waren jeweils zwei nicht unsympathische Männer. Die Treffen fanden einmal im «Griechenbeisel», das andere mal im Hotel Hilton statt. Aber wie naiv und dumm von denen, eine «geborene», wenn auch ausgeschlossene Kommunistin für den amerikanischen Geheimdienst anwerben zu wollen!

Von Ihrem eigenen Weg einer «gläubigen» Parteitreuen hin zu einer weit kritischeren Weltsicht zeugen auch Ihre Begegnungen mit sowjetischen Dissidenten.

Ja, ich traf nach deren Ausweisung mehrmals die Schriftsteller Jossif Brodski, Alexander Solschenizyn, Wassili Aksjonow oder Lew Kopelew. Und übersetzte z. T. unveröffentlichte Texte der Samizdat (Selbstverlag in der Sowjetunion zur Verbreitung verbotener Texte von Hand zu Hand, die Red.). Meist unter verschiedenen Pseudonymen.

Ihr 2010 im Milena-Verlag erschienenes Buch «Moskau ist viel schöner als Paris. Leben zwischen zwei Welten» heißt es im Vorwort: «Ich schreibe Erinnerungen. Ich schreibe nicht Geschichte und auch keine Autobiografie. Ich schreibe von Ereignissen, die mich bewegt haben, und von Menschen, die ich mochte.» So z. B. auch von Ihrer Freundschaft mit Heinrich Böll.

In Heinrich Böll begegnete ich einem Schriftsteller, der so schrieb, wie er war, oder so war, wie er schrieb. Er war ja der erste, der Alexander Solschenizyn Unterkunft gab, als dieser als exilierter Staatsfeind aus Moskau ausgeflogen wurde. Da saßen wir abends am 13. Februar 1974 in Bölls Haus beisammen und berieten, wohin mit ihm.

Sie waren auch eine engagierte Lehrerin für Slawistik. Eine bemerkenswerte akademische Laufbahn blieb Ihnen aber versagt.

Dafür sorgten schon u .a. überzeugte Antikommunisten an Österreichs Universitäten. Meine Lehrtätigkeit ich pendelte 9 Jahre lang an das Dolmetschinstitut nach Graz machte mich dennoch glücklich. Karriere war mir nicht wichtig. Ich wollte einfach Menschen um mich haben.

Und die heutige aktuelle politische Situation in Russland wie sehen Sie die?

Ich war erst letztes Neujahr für einige Tage in Moskau. Da gab es gerade eine große Demonstration gegen die Wiederverhaftung von Chodorkowski. Es ist scheußlich, was Putin mit diesem Menschen anstellt. Auf den Gehsteigen gab es dicke Eisschichten. Da hörte ich mehrmals «Ja, unter Stalin war es besser». Ja, unter Stalin gab es Hausmeister. Das waren aber tatarische Hausmeister. Heute gibt es die nicht mehr. Aus politischer Hetze gegen sie. Und an einem Kiosk sah ich einen Kalender mit einem großen Stalinbild vorne drauf. Als ich mich bei der Kioskfrau dazu äußerte, wunderte sie sich. Stalin wäre doch ein «großer Mann» gewesen. Es ist schlimm für mich zu sehen, was in Russland unter Putin geschieht. Scheußlich. Trotzdem will ich immer wieder dorthin fahren. Und nichts wird mich davon abhalten. Obwohl ich schon in mein 9. Lebensjahrzehnt gehe!

Mit Elisabeth Markstein sprach Barbara Huemer

Biografisches: geboren 1929 in Wien als Tochter von Hans und Hilde Koplenig, beide Kommunisten und Antifaschisten, seit 1933 auf der Flucht und im Exil.19361945 gemeinsam mit den Eltern in der Sowjetunion, 1945 Rückkehr nach Wien, Studium der Slawistik an den Universitäten in Moskau und Wien, ab 1966 Lehrtätigkeit an den Dolmetschinstituten und Instituten der Slawistik in Innsbruck, Graz und Wien.

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