Raiffeisenserie
In vielen Ländern sind Genossenschaften die erste Wahl bei der Suche nach nichtkapitalistischen Rechtsformen. In Österreich wird dies nicht zuletzt durch Raiffeisen effektiv verunmöglicht. Anmerkungen zur antidemokratischen Verfasstheit des hiesigen Genossenschaftsunwesens.Als ich im Sommer 2012 meinen Freund Salvi in Bern besuchte, staunte ich nicht schlecht. In einem alternativen Viertel der Stadt hingen bei vielen Häusern Transparente aus den Fenstern: Die Bewohner_innen feierten den «Tag der Genossenschaften». Als gelernter Österreicher vermeinte ich meinen Augen nicht zu trauen, assoziiert mensch doch hierzulande Genossenschaften entweder mit dem untergegangenen «Roten Riesen» Konsum, mit den allgegenwärtigen und streng rot-schwarz-paritätisch organisierten Wohnbaugenossenschaften oder aber mit jenem Quasi-Monopol, dem unsere Serie gewidmet ist. Salvi klärte mich darüber auf, dass die alternativen Wohnprojekte der Stadt genossenschaftlich organisiert seien und diese Rechtsform somit als eine wichtige Grundlage nicht-kapitalistischer Sozialbeziehungen angesehen, gepflegt und am «Internationalen Tag der Genossenschaften», dem ersten Samstag im Juli, auch gebührend gefeiert wird. Im Unterschied zu Österreich gilt die Genossenschaft in vielen Nachbarländern als wichtig(st)e Rechtsform für solidarökonomische Zusammenschlüsse: vom Mietshäusersyndikat in Deutschland bis zu italienischen nicht-gewinnorientierten Lebensmittelkooperativen.
Warum aber gibt es hierzulande keine Genossenschaften jenseits von Raiffeisen & Co? Die Antwort liegt nicht zuletzt bei den sogenannten «Revisionsverbänden». Sie sind die Dachorganisationen des österreichischen Genossenschaftsunwesens. Die Mitgliedschaft in einem Revisionsverband ist Voraussetzung für die ökonomische Tätigkeit einer Genossenschaft, es gibt allerdings nur vier derartige Verbände: Raiffeisen, Volksbanken, den Verband der gemeinnützigen Bauvereinigungen sowie den de facto inexistenten Verband der Konsumgenossenschaften. Wer sich die dazugehörigen parteipolitischen Verflechtungen vorstellen kann, ist dem Kern der Problematik bereits ziemlich nahe: Jenseits schwarzer und – seltener – roter Parteibuchwirtschaft ist genossenschaftliches Agieren in Österreich schlicht unmöglich. Viele ziehen deshalb die Gründung von Vereinen oder gemeinnützigen GesmbHs vor.
Ganz normaler Kapitalismus
Dabei wäre die Genossenschaft vom offiziellen Zweck her betrachtet der optimale Rahmen für nicht auf Profit ausgerichtetes Wirtschaften: Der Zusammenschluss dient der Förderung der einzelnen Genossenschaftsmitglieder, erwirtschaftete Gewinne sollen nicht akkumuliert, sondern an die Mitglieder ausgeschüttet werden. Durch die hierarchische und extrem komplexe Struktur von Raiffeisen wird dieser Grundgedanke des Genossenschaftswesens grundlegend unterlaufen. Einerseits wirkt die Monopolstellung im landwirtschaftlichen Bereich dem genossenschaftlichen Grundgedankens diametral entgegen: Nicht die Förderung und (Selbst-)Ermächtigung der Mitglieder steht im Zentrum, sondern die allumfassende Abhängigkeit von einer Institution, die de facto nicht mehr von den Mitgliedern kontrollierbar ist. Andererseits fungieren zum Beispiel im Bankensektor nur die lokalen Raiffeisenkassen als Genossenschaften, bereits die Landesbanken und erst recht die Zentralbank sowie die Raiffeisenbank International sind Aktiengesellschaften, und auch die wichtigen Beteiligungs- und Zwischenholdings sind allesamt Kapitalgesellschaften. So wird die breite lokale Verankerung mitsamt dem entsprechenden pseudodemokratischen Lokalkolorit sichergestellt, die durch ihr Alleinstellungsmerkmal vor allem im ländlichen Raum einen ständigen Kapitalzufluss nach oben garantiert. Die Aktiengesellschaften agieren dann mit dem so angesaugten Geld als «ganz normale» kapitalistische Player auf den Finanzmärkten.
Eine Redemokratisierung des österreichischen Genossenschaftswesens müsste zunächst das Oligopol der parteipolitisch besetzten Dachverbände überwinden. Erst der freie Zugang zur Gründung sowie die transparente und demokratische Ausgestaltung der Gremien könnten zu einer Wiederannäherung an den genossenschaftlichen Grundgedanken führen. Da die gegenwärtigen Inhaber_innen der Machtpositionen in Österreich diese nicht freiwillig aufgeben werden, könnte hier wohl einzig durch EU-Gesetze für Verbesserungen gesorgt werden. Wer darauf nicht warten möchte, ist gut beraten, sich anderwärtig zu organisieren, ist doch selbst die beste Rechtsform nur so viel wert wie die in ihrem Rahmen praktizierte Partizipation und Demokratie. Wie auch immer: Allein machen sie dich ein, das wusste schon Rio Reiser.
PS: Der Tag der Genossenschaften wird tatsächlich auch in Österreich begangen: entgegen internationaler Gepflogenheiten allerdings am 27. März. Ausgerufen von der «Vorarlberger Raiffeisen Funktionärs eGen» (sic!).