Und er warf ihn durch die LuftArtistin

Doris Uhlich & Michael Turinsky: Rave im Rollstuhl

«Eigentlich ist ein Rollstuhl eine Ravemaschine», befindet die Künstlerin, DJ und Tanzpädagogin Doris Uhlich. Gemeinsam mit dem Performer Michael Turinsky entwickelte sie das Stück «Ravemachine», das in ihrem Minifestival «All Machines Welcome!» zu sehen ist. Über die persönliche Energie beim Tanzen, Raver_innen im Rollstuhl und den Dialog, in den Technobeats mit Körpern treten können, spricht sie mit Michael Franz Woels.

Foto: Peter Empl

Wie kamst du dazu, mit dem Choreografen und Tänzer Michael Turinsky zusammenzuarbeiten?

Michael Turinsky hatte 2012 im Kabelwerk die Premiere seines Stückes «Heteronormous Male». Ich bin im Publikum gesessen und kann mich noch erinnern, dass eine innere Stimme zu mir gesagt hat: «Doris, wenn du einmal ein Duett tanzt, dann mit ihm!» Bei meinem ersten Technostück «Universal Dancer», einem Solo mit einer Rütteltisch-Maschine, waren immer wieder auch Menschen im Rollstuhl im Zuschauerraum. Vielleicht hatte das mit dem Maschinenthema zu tun. Mich hat danach auch ein Rollstuhlfahrer, der das Stück gesehen hat, angerufen, und wir haben uns getroffen. Er hat mir erzählt, dass er auch gerne mitgetanzt hätte, seinen Rollstuhl in die Gänge gebracht hätte, als er mich da auf dieser Rüttelmaschine gesehen hat. Er hat mich dann auch gefragt, ob ich nicht eine Idee für einen Workshop mit Menschen mit Behinderung oder ein spezielles Bewegungskonzept hätte. Ich hatte bis dahin nie darüber nachgedacht, aber mir wurde dann klar, dass Rollstuhlfahrer_innen ja eigentlich Techno-Expert_innen sind, weil sie in «Maschinen» sitzen. Ich hab ihm spontan geantwortet: «Ihr sitzt ja im Techno drinnen, denn Techno speist sich ja aus dem Maschinellen!» Eigentlich ist ein Rollstuhl eine Ravemaschine.

Nach dieser Erkenntnis habe ich dann Michael Turinsky angerufen, und ihm gesagt, dass ich mit ihm gerne etwas ausprobieren möchte: «Ich würde mit dir gerne zum Thema Ekstase arbeiten, mit Energieaufladung durch Techno-Musik, um deinen Körper damit zu fluten.»


Wie sieht so ein Probenablauf aus?

Anfangs haben wir uns bei den Proben gar nicht berührt. Da gab es so eine Hemmschwelle, wir wussten nicht genau, wie wir uns berühren könnten. Durch das nähere Kennenlernen während der Proben kommt man aber drauf. Ich funktioniere da manchmal wie ein Kind und probiere einfach aus. Wie fühlst du dich an? Habe ein Bein, einen Arm, den ganzen Menschen gehoben, um ihn in seiner «Materialität» zu erfassen. Man arrangiert sich, geht in Kommunikation. Ich habe dann meine Improvisations-Strukturen vorgeschlagen. Michael Turinsky begann vor allem alleine zu improvisieren, und ich habe ihn beobachtet und so immer besser seinen Körper kennengelernt, seine Möglichkeiten und Grenzen der Belastbarkeit. So haben wir dann einen Proberhythmus gefunden.

Ich finde es interessant, dass sein Körper so anders als meiner funktioniert. Ich hatte immer das Gefühl, er ist ein «Knochenmann» und ich bin eine «Fleischfrau». Sein Körper hat eine ganz andere Dynamik als meiner, andere Beats, andere Rhythmen. Und ich habe bei Michael Turinsky entdeckt, dass eine wahnsinnige Kraft da ist, die man mit ihm vielleicht nicht unmittelbar assoziieren würde. Durch seine Behinderung hat er einen erhöhten Muskeltonus und darum ist er eigentlich sehr muskulös. Und er ist auch sehr schwer.

Michael Turinsky hat ja auch Philosophie studiert, wie wichtig war das für dich?

Bei seinen bisherigen Arbeiten war oft Text dabei, sein Philosophiehintergrund schien sehr wichtig. Bei «Ravemachine» hat er die Möglichkeit, sehr physisch zu arbeiten, dabei Neuland zu entdecken. Und das steht ihm sehr, sehr gut. Ich habe auch immer wieder zu ihm gesagt: Zuerst bewegen wir uns und dann sprechen wir darüber, nicht umgekehrt. Das hat für diese Arbeit gut funktioniert. Auch nicht zu versuchen, irgendetwas darzustellen. Er spielt nicht die Rolle eines Behinderten. Er ist für mich jemand mit einem speziellen Körper, den wir erleben und, vor allem, der sich auf der zeitgenössischen Tanzbühne erlebt. Er ist ein großartiger Tanzpartner, um Ideen physisch zu teilen – mit der Leidenschaft, auch einmal zu explodieren oder eine bestimmte Stufe von Erschöpfung zu erreichen. Er geht an physische Grenzen und lässt uns daran teilhaben.


Wie wurde dann das Arbeiten mit der Musik bewerkstelligt?

Michael Turinsky war mit Techno nicht vertraut, aber er hat sich immer mehr darauf eingelassen. Diese bestimmte Ausdauer und Energie der Musik lernte er während der Proben zu schätzen, weil sie etwas in seinem Körper hervorruft; auch die Tatsache, dass sich der Sound aus der Verschaltung von Maschinen speist – und er ebenfalls in einer Maschine sitzt. Der Rollstuhl mutiert zu einer Rave-Maschine, die ihm Energie gibt, aber der er auch Energie gibt. Zentrales Thema ist: «We shape the dynamics of energy!» Welche Bewegungen funktionieren wie Batterien, die den Körper aufladen können? Wir haben immer von «energetic icons» gesprochen, die wir gesucht haben. «Energetic icons» sind persönliche Bewegungsmotive, Bewegungsmuster, wie «Energietanzschritte», die durch die Wiederholung immer mehr aufladen und zur Ekstase führen können.

Die Energie wird wichtiger als die Form; wir suchen die Form, in der die eigene Materialität sich energetisieren kann. Seinen eigenen Rhythmus in Verbindung bringen zu einem Beat. Michael Turinsky versucht «on beat» zu sein, aber das «verrutscht» immer wieder. Und dann hört man auf einmal auch die Beats komplett anders. So bringen wir Sound und Körper in einen wahnsinnig spannenden Dialog zueinander.

Wie kann ich mir vorstellen, zu meinem persönlichen «energetic icon» zu gelangen?

Mit «icon» meine ich ein sehr einprägsames körperliches und visuelles Erlebnis, ein sehr markantes Bild einer Energie. Ich mache ja jetzt auch das erste Mal diesen Workshop «Every Body Electric». Wie auch bei meinem Workshop «Ruhestandstanz» bietet sich darin die Möglichkeit, jeden Körper individuell zu erfassen. Jeder hat spezielle Grenzen, Möglichkeiten, Bedürfnisse. Ich lasse mich von meinem künstlerischen Interesse leiten, und die Teilnehmer_innen sagen von sich aus «stopp» und bremsen den Prozess. Das Bewegungsmuster von Michael Turinsky lässt sich auch nicht so leicht auf andere übertragen, es muss jeweils neu gefunden werden für jeden Körper.

Es gibt diese Idee, über das Lustprinzip zu Bewegungen zu finden. Um dann sagen zu können: Wow, das ist mein Tanzschritt, der mich aufladen kann und speziell von mir entwickelt wurde. Tanz wird zu einer Aufladestation, zur Suche nach Bewegungsbatterien, zum Empowerment – um andere, aber auch sich selber zu überraschen. Das Aufbrechen eigener Vorstellungen, was alles möglich ist. Ich bekomme durch das Arbeiten mit Michael Turinsky viele Impulse. Ich bin ja bei «Ravemachine» nicht nur Choreografin, sondern auch als Performerin auf der Bühne. Meine DJ-Position am Beginn wird immer mehr aufgelöst.

Wir haben voriges Jahr im WUK schon eine Skizze von «Ravemachine» gezeigt, und es gab Leute im Publikum, die Tränen in den Augen hatten, weil bei ihnen körperlich etwas «ins Rollen» gekommen ist. Der Inhalt von dem Stück wächst extrem aus dem praktischen Tun heraus, das ist für mich physisch eine neue Welt. Auch das «Dunkle» in dem Stück findet Michael Turinsky gut. Ich habe ihm einen alten Rollstuhl gegeben und ihn gebeten: Gib du einmal dieser Maschine deine Energie, die dich sonst immer transportiert. Und er warf ihn durch die Luft.

 

Mehr Infos zum Stück:

http://brut-wien.at

12. bis 24. Oktober 2016 im brut, 1010 Wien, Karlsplatz 5