Eine Stadt nach der anderen will den BettlerInnen zur Hölle werden. Teil 1
Nurten Yilmaz glaubt an das, was sie sagt. Die Wiener SPÖ-Gemeinderätin ist davon überzeugt, dass die neuen gesetzlichen Verschärfungen gegen «gewerbsmäßige» BettlerInnen ein Sieg im Kampf gegen den Menschenhandel und die Organisierte Kriminalität seien. Was für ein Signal ist die Novellierung des Landessicherheitsgesetzes wirklich? Vor allem die Behinderten unter den Bettelnden sollen in ihren südosteuropäischen Dörfern bleiben und dort schauen, wie sie mit ihrem Verhungern zurechtkommen.
Frau Yilmaz hat den Initiativantrag eingebracht, der den VP-Sicherheitssprecher Ulm zu einem Kompliment veranlasste: «Heute ist ein erfreulicher Tag für Wiens Sicherheit. Betteln in Wien wird sehr bald der Vergangeheit angehören. Durch die neue Begriffsbestimmung wird praktisch jede Form der Bettelei, die derzeit in Wien auftritt, unter Strafe gestellt.» Als Sozialdemokratin bietet uns Nurten Yilmaz eine sozialere Interpretation an: «Wir wollen den kriminellen Strukturen auf dem Rücken der Ärmsten nicht zuschauen. Die armen Menschen sind ein Bauernopfer in diesem Schachspiel», sagt Yilmaz, die in Ottakring Bezirksrätin für Kinder- und Jugendfragen war. Sie gibt zu, dass sie ihre Informationen hauptsächlich von Polizeivertretern bezieht und von diesen beeinflusst ist.
Dass dieses Gesetz gegen BettlerInnen kein taugliches Mittel gegen Armut ist, sondern nur die Armen ganz höchstpersönlich selber trifft, sei ihr klar. «Über Armut wird noch Geld verdient, das wollen wir wenigstens abstellen», betont sie mehrmals. «Wir wollen die Hintermänner mit den dicken Autos treffen.» Auf die Frage, wie das Gesetz durch die Polizisten umgesetzt werden wird, erklärt die eloquente, durchsetzungsstarke SPÖ-Politikerin etwas kleinlaut, dass die BettlerInnen abgemahnt und beim zweiten Vorfinden an der gleichen Stelle mit einer Verwaltungsstrafe belegt werden.
Hohe Strafen fürs Betteln sollen ein taugliches Mittel gegen Hintermänner, Menschenhandel und Organisierte Kriminalität sein? «Es geht nicht anders», ist die Antwort, und mit den bisherigen gesetzlichen Mittel gegen Menschenhandel hätte die Polizei nicht genug Handhabe gehabt, «denn die organisierte Kriminalität verfügt über sehr gute Rechtsvertreter». Dass ganz unterschiedliche BettlerInnen und auch Bettelgruppen unterwegs sind, wie mir viele persönliche Gespräche mit BettlerInnen im Laufe der Jahre zeigten, kann sie sich schwer vorstellen.
Nur sehr wenige Menschen der verarmten Dörfer und Städte Südosteuropas, die seit dem Ende des Kommunismus mit zugesperrten Fabriken, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen staatlichen Unterstützungen konfrontiert sind, erreichen Wien. Trotzdem: «Wien wird den Bettlern nicht Herr. Es kommen immer mehr Bettler», sagt Yilmaz mehrmals. «Was kann eine Stadt leisten?» Sie fordert, dass die Europäische Union nicht nur die Türkei in der Kurdenfrage unter Druck setzt, sondern dass auch Bulgarien, Rumänien oder Moldawien ihre Volksgruppen vor Mord, Totschlag und Armut schützen müssen. «Wo bleibt die Europäische Familie? Die EU pumpte Milliarden Euro in diese Länder.»
Taschendiebinnen, Prostituierte, Obdachlose
Die Stimmungsmache gegen die kleine südosteuropäische «Mafia» der Verarmten begann bereits vor ein paar Jahren. Aufgeschreckt durch eine Kurier-Reportage über Hunderte kleine Taschendiebinnen aus Bulgarien, die Wien unsicher machen würden, machten Fevzije Bahar, Sprecherin der Internationalen Romani Union, und meine Wenigkeit uns auf den Weg, den Leiter der «Kinderdrehscheibe», Norbert Ceipek zu interviewen. Der Sozialpädagoge aus der Burschenarbeit zeigte uns sein Fotoalbum diebischer Mädchen und erzählte von einer vorigen Welle von Jungen aus Rumänien, die auf der Mariahilfer Straße geklaut hätten. Durch Kooperation mit der rumänischen Regierung, Zusammenarbeit mit den Polizeidienststellen und Mitteln für Kinderheime hätte er in einer Art Einmann-Mission diesen Trend abstellen können. «Nun will ich Bulgarien in die Knie zwingen.»
Wir stellten fest, dass aus Mangel an DolmetscherInnen oder Sprachkenntnissen niemand mit den Mädchen redet, sie dem Amtsarzt vorgeführt und abgeschoben werden. Ceipek schreckte uns mit angeblichem Mädchenhandel von Roma-Mädchen in die Prostitution für türkische Kunden. Gespräche mit Einzelnen dieser jungen Frauen über einen längeren Zeitraum zeigten, dass sie alleine unterwegs sind bzw. Opfer eines gewalttätigen Mannes und keiner Mafia. Recherchen in Sofia mit Hilfe des Roma-TV-Senders und einer Vertreterin einer internationalen Menschenrechtsorganisation, die für die Stadt Sofia im Jugendschutz arbeitet, ergaben, dass die aus Österreich abgeschobenen Mädchen sehr schwer zu finden waren und in einem Heim an der Grenze steckten. Ceipek gab zu, wie er zu seinen hohen, in den Medien verbreiteten Zahlen kam: Mehrfach-Aufgriffe einzelner Mädchen wurden gezählt, als ob es sich um verschiedene Fälle handelte.
Nun geht es weiter mit der «gut organisierten Ost-Mafia» und ihrem «Menschenhandel»: Im Club 2 gab die ÖVP-Politikerin Ursula Stenzel an, dass sie der Leiter der Kinderdrehscheibe informiert hätte, dass körperlich beeinträchtigte Bettler organisiert nach Wien kämen, denn die wären ja schließlich alleine nicht mobil. Dass Menschen im Rollstuhl oft wen brauchen, um an einen Ort zu reisen, auch wenn sie das möchten, sagte Stenzel nicht. Sollen körperlich behinderte Menschen in ihren verarmten Dörfern verhungern? «Jeder will das Problem los werden», stellt Fevzije Bahar heute fest, «Jeder schiebt das Problem vor sich hin, keiner nimmt sich des Problems an, außer einige tatkräftige NGOs wie Frau Bock oder dieser Pfarrer Pucher in Graz. Und dass dieser Beamte vom Innenministerium im Club 2 meinte, dass wir hier einen Sozialstaat haben und niemand betteln muss, war ja wohl eine Verhöhnung aller Obdachlosen und Bettler.»