Und immer geht’s den Bach hinuntervorstadt

Die Ränder von Wien zu Rad

Liesing, Favoriten und Simmering gelten gemeinhin nicht als Topdestinationen der Wienerstadt. Neben der Randexistenz im Süden Wiens verbindet zwei der drei Bezirke die Liesing (= Liesingbach). Mario Lang ist die Liesing stromabwärts entlanggeradelt.

Dreiundzwanzig plus zehn ist elf. Mathematisch würde diese Gleichung nicht durchgehen, auch ist Liesing nicht gleich Simmering, dazwischen liegen Welten, nämlich Favoriten. Addiert man die durch Liesing und Favoriten gefahrenen Kilometer, landet man jedenfalls sanft in Simmering. Drei Bezirke ohne romantische Note – auf den ersten Blick. In nur 20 Kilometern, bei einer Fahrzeit von rund eineinhalb Stunden auf Asphalt- und Schotterwegen ist das Bild sehr zu Gunsten der drei Bezirke korrigiert. Aufsteigen, mitfahren!

Gleich zu Beginn: Der Headliner dieser Tour ist der Liesingbach. Der Null-Kilometer ist die Schnellbahnstation Liesing, nehmen Sie den Ausgang Karl-Sarg-Gasse und schon plätschert der Liesingbach gemütlich unter den Gleisen der Schnellbahnstation hindurch zu ihrer Rechten. Überspannt von mehreren Brücken befindet sich die Liesing, sanft eingebettet zwischen Steinufern, auf ihren Weg Richtung Schwechat. Tafeln weisen den Weg, zunächst geht es in Richtung Alterlaa (sic!). Der Radweg bewegt sich meist auf dem Damm erhoben nebenher, nur manchmal lässt sich der Bach fast in Augenhöhe erleben. Der Romantik-Faktor beginnt gleich mit dem ersten Kilometer, und die Radfahrdichte ist angenehmerweise kaum erwähnenswert.

Nach wenigen Kilometern verschwindet der Bach bei Atzgersdorf unter der Erde, und die Radwegweiser spielen Verstecken. Stur Richtung Alterlaa halten! Nur einen Kilometer später taucht die Liesing unvermittelt wieder auf, diesmal zur Linken. Der Weg führt auf zartem Schotter durch Grünanlagen, und schon bald erscheinen die Block-Bau-Riesen von Alt-Erlaa im Blickfeld.

Unter der U-Bahn-Linie 6 hindurch, an der Steinsee-Siedlung vorbei führt der Weg weiter Richtung Inzersdorf. Beim Namen Inzersdorf erscheinen die Bilder Dosenfutter (Inzersdorfer-Aufstriche sind allen Bundesheerabgängern ein unauslöschlicher Begriff), Industriegebiet, Groß-Grün-Markt und der Autobahnknoten vor dem geistigen Auge. Der Liesingbach bleibt von alledem weitgehend unbeeindruckt und lässt die Betonfüße samt Autobahn, die über ihn ragen, hinter sich. Sogar in diesem Streckenabschnitt lässt sich eine gewisse Romantik nicht leugnen. Bei der Pfarrgasse (Kirchenplatz) werden wieder die Seiten gewechselt. Über die Brücke und nach rechts geht es die Hochwassergasse entlang. Aktuell verleitet das Wort Hochwasser in Kombination mit der Liesing zum Schmunzeln, nicht einmal Vierbeiner bekommen beim Wasserspaziergang einen nassen Bauch. Das war nicht immer so, in den 1980er-Jahren wurden auf Grund von Überschwemmungen drei Hochwasserrückhalteanlagen errichtet.

An der Grenze zwischen Inzersdorf und Oberlaa lädt das «Industrie Buffet» (1230, Großmarktstraße 1, Mo.–Fr.: 6–20 Uhr) zu einem Einkehrschwung. Inhaber Manfred Brunner betreibt bereits seit dreizehn Jahren sein «Nachbarschaftszentrum» und serviert täglich frische Speisen zu kleinen Preisen.

Mit dem Eintritt der Liesing in Favoriten wird der Bach ursprünglicher, verwunschener, verwachsener. Immer wieder locken lauschige kleine Plätzchen zum Kühlen der Zehen. An den Rändern wird Favoriten ganz zahm, und der wunderbare Sigi-Maron-Song «S’Lebm is hoat in Favoriten» wirkt plötzlich unwirklich. Oberlaa ist gleich erreicht, und gegenüber der Kaistraße laden die Heurigen der Liesingbachstraße (Öffnungszeiten ab 15 Uhr) zu einer weiteren Rast.

Zur rechten Seite breiten sich weite Felder aus. In den Morgenstunden sind die Radspur kreuzende Hasen keine Seltenheit. Auch Vogelvieh wie Reiher und Wildenten werden immer wieder zu Wegbegleitern.

Abbiegen zum Gallischen Dorf


Nach rund zehn Kilometern wird es Zeit, sich vom Liesingbach zu verabschieden, der fließt gemächlich weiter in Richtung Schwechat. Der Radweg will uns nach rechts über eine Brücke in Richtung Kledering führen, wir bleiben auf der linken Seite und biegen nach wenigen Metern links ab. Das Bild zur linken Seite bleibt unverändert – Felder –, zur Rechten zeigt sich bald der Wiener Zentralverschiebebahnhof in seinen gigantischen Ausmaßen, dahinter glänzt vom Zentralfriedhof die Kuppel der Friedhofskirche.

Nehmen Sie die Überfahrt über den Verschiebebahnhof, und halten Sie sich Richtung Hasenleitengasse. Der Zielbezirk Simmering ist somit erreicht. Auf eine weitere Einkehr lädt das «Imbiss zur Ostbahnfini» (11, Schemmerlstraße 72, Mo.–Fr.: 7–19 Uhr).

Gleich nach dem Ostbahn-XI-Sportplatz, wo ein gewisser «Schneckerl» Prohaska seine Karriere startete, beginnt die berühmt-berüchtigte Hasenleiten, inzwischen traurigerweise auch umgangssprachlich H.C.-Playground genannt. Die Hasenleitengasse führt mitten ins Herz von Simmering (Endstation U3). Weiter geht es links die Simmeringer Hauptstraße stadteinwärts entlang bis zur U-Bahn-Station Zipperergasse. Biegen Sie in die Zippererstraße ein, immer gerade den Zieleinlauf bergab, bis Sie anstoßen, und es bietet sich ein unwirklicher Blick: das gallische Dorf von Simmering. Mitten in einer Betonbaustellenwüste liegt das idyllische (eben-)erdige, seit 1882 bestehende, «Gasthaus Barbanek» (Fuchsröhrenstraße 13, Do.–Mo.: 9–22 Uhr, Küche 11.30–14 und 17–21 Uhr).

So romantisch der Straßenname – Fuchsröhrenstraße –, so unromantisch die aktuelle Situation. Früher war das Gasthaus eingebettet zwischen Gärten und Gärtnereien, jetzt müssen Schlafstätten her für die ständig wachsende Großstadt. «Seit September 2014 ist hier rundherum Baustelle, wir könnten mit der Sahara konkurrieren», bringt Kellner Manfred das Sandstaub-Problem auf den Punkt. Bis 2016 soll der Spuk noch dauern – bitte durchhalten!

Und gerade deswegen sollte das Tour-Abschlussfest hier steigen, im gallischen Dorf von Simmering.