Shalom Oida – das Jüdische Filmfestival läuft noch bis 1. Dezember
«Shalom Oida» – so heißt das Jüdische Filmfestival Wien (JFW) seit einiger Zeit seine Zuschauerinnen und Fans willkommen. Der Augustin bat seine in dieser Angelegenheit kompetenteste Mitarbeiterin, Doris Kittler (sie ist nämlich inzwischen die Kuratorin des Festivals), mittels eines Gesprächs mit Festival-Koordinatorin Rita Jelinek und Festival-Leiter Frédéric-Gerard Kaczek hinter die Kulissen zu blicken.
Foto: Doris Kittler
Der Kinofilm «Ils sont partout» («Sie sind überall») wurde international unterschiedlich aufgenommen. Warum hast du dir gerade diesen Film für die Eröffnung gewünscht?
Frédéric Gerard Kaczek: Der in Frankreich lebende junge Regisseur Yves Attal thematisiert das Aufsteigen des – nicht pauschal, aber insbesondere – rechten Antisemitismus. Viele Franzosen dachten, Attal macht wieder mal eine Komödie à la «Willkommen bei den Schtis», die ja so bekannt wurde. Aber es ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit komödiantischen Momenten geworden und hat viele Diskussionen ausgelöst. Der Regisseur des Kurzfilmes «Et puis, la violence» – zum selben Thema – kommt nach Wien: Dieser zeigt, wie es ist, als Jüdin in Frankreich zu leben. Das Wiedererblühen eines Antisemitismus, der wieder salonfähig wird. Aber man braucht da gar nicht so weit über die Grenzen Österreichs schauen, um zu spüren und zu sehen, was da passiert.
Es gibt beim JFW diesmal gleich mehrere Programmschwerpunkte.
FK: Eine thematische Ausrichtung gab’s von Anfang an. Zuerst nur ein Thema, wie etwa das Bild der jüdischen Frau im Film oder jüdischer Humor im Film. Später gab’s mehrere Themen gleichzeitig. Dabei ist es nicht wichtig, ob man Jude ist, ob vor oder hinter der Kamera, das ist kein Kriterium. Vielmehr geht es um die Thematik. Für alle Themen haben wir ein Beratungsteam, das die Filme ausgesucht hat und darüber sprechen wird.
Besonders liegt dir das Thema Wasser am Herzen. Es gibt Filme über den Nahen Osten, aber auch eine österreichische Produktion «Über Wasser» von Udo Maurer, die drei unterschiedliche Orte der Erde beobachtet, die existenzielle Bedeutung von Wasser und den alltäglichen Kampf ums Überleben, etwa wegen Wassermangel.
FK: Man hört in den Medien immer wieder über die Konflikte zwischen palästinensischen und israelischen Gebieten und deren Wasserversorgung. Wenn man über Konflikte redet, kann man Wasser kaum auslassen. Aber das ist ein universelles und wahrscheinlich das größte Problem für die Zukunft dieser Welt. Das wird viel zu wenig beachtet.
Rita Jelinek: Wir haben ein sehr interessantes Projekt einer Filmhochschule in Tel Aviv gefunden, wo Kurzfilme zum Thema Wasser gedreht wurden. Sie haben beschlossen, eine Zusammenarbeit zwischen palästinensischen und jüdischen jungen Filmeschaffenden anzuregen. Die Filme sind sehr unterschiedlich, manche eher künstlerisch, aber andere haben sehr wohl die politisch-soziale Problematik behandelt, die die gesamte Gesellschaft durchdringt. Es freut uns auch, dass die Betreuer_innen des Projektes zu uns kommen und darüber sprechen.
Was hat es mit dem Thema «Jewish Fiddler» auf sich? Das Konzert des russisch-jüdischen Immigranten Igudesman mit dem selbstironischen Titel: «Nicht schon wieder ein jüdischer Geiger!» könnte witzig werden.
FK: Berühmt gewordene Geiger im 20. Jahrhundert waren interessanterweise fast ausschließlich Juden. Wieso? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Geigenspiel und dem Judentum als Religion, als Kulturträger, als Tradition? Ähnlich wie bei Roma und Sinti, wo die Kinder von klein auf ihre Musik lernen. Bei den Juden ist es meist nichtjüdische Musik. Und das machen sie so gut, dass sie letztendlich zu den besten gezählt werden. Warum? Die Antwort gibt Historiker Lohrmann am 28. November im Gartenbaukino mit einem Vortrag und Filmbeispielen – vor Igudesmans Konzert. Der Kurzfilm «Joes Violine», gerade für den Oscar nominiert, ist sehr berührend. Er zeigt was typisch Amerikanisches, dieses persönliche Engagement für eine Sache. Es geht um einen Holocaust-Überlebenden, der seine Geige einem jungen Mädchen schenkt.
Das Filmarchiv Austria hat einen Schwerpunkt mit Nazi-Propaganda-Filmen. Das JFW setzt hier was entgegen und zeigt sozusagen eine andere Seite dieser Zeit: Filme über Shoah und Diaspora.
FK: Ich habe mich immer dagegen gewehrt, das JFW zum Shoah-Festival zu machen. Das ist es mit Sicherheit nicht, obwohl die Shoah ein sehr wichtiges Thema ist. Allerdings haben wir kein Patent auf Trauer und Erinnerung. Heute ist es sehr einfach und günstig geworden, Filme zu machen. Dementsprechend machen jetzt viele über die Geschichte ihrer Großeltern einen Film, und wir können gar nicht so viel zeigen, wie uns angeboten wird. Meistens geht es um Opfer, selten gibt es Filme über den Opa, der bei der Gestapo war. NS-Propagandafilme, sogenannte Vorbehaltsfilme, laufen derzeit im Filmarchiv. Dort geben sie den wissenschaftlichen Background mit Expert_innen, die vor den Filmen sprechen – das ist ja Pflicht. Es werden Fragen erörtert wie etwa: Wie kommt so ein Film zustande? Wurden die Schauspieler_innen genötigt, da mitzumachen? Weiters organisieren wir eine Podiumsdiskussion mit dem Titel «… denn sie wissen, was sie tun!» Das ist die Verwendung der Idee, die Goebbels in seinem Ministerium entwickelt hat, in der heutigen Politik bzw. Propaganda. Da geht es um Bildsprache, um Körpersprache, um Rhetorik. Welche Elemente werden wissend oder auch nicht wissend wieder aktiviert, um gewisse politische Strömungen zu propagieren. Da muss man nur in den Medien schauen, was beim Wahlkampf in den USA passiert ist. Und was in Frankreich, Holland, Österreich passiert.
Während des Festivals befindet sich Österreich in der heißesten Wahlkampfphase vor der Bundespräsidentenwahl. Wen werdet ihr wählen?
FK: Ich habe keine Wahl. Allerdings muss ich sagen: Als Austrowallone darf ich hier nicht wählen. Würde aber Herrn Van der Bellen empfehlen, weil ich glaube, es gibt keine andere Wahl.
RJ: Ich werde Van der Bellen wählen. Ich will nicht, dass die Gesellschaft gespalten wird, so wie die FPÖ das versucht. Wir hier setzen uns ja dafür ein, dass wir friedlich miteinander umgehen. Wir wollen mit unserem Festival unterstützen, dass ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft gestärkt wird.
In diesem Jahr wirft das JFW einen besonderen Blick auf Israel, nachdem es heuer 60 Jahre lang diplomatische Beziehungen gibt. Wie positioniert ihr euch?
FK: Erstens: Wir sind kein israelisches Festival. Es wird viel gedreht in Israel, politisch, komödiantisch, ein breites Spektrum. Für mich hat die jüdische Komponente, die Kultur und Tradition immer noch Priorität vor den politischen Auseinandersetzungen, die es ja leider immer noch gibt. Wir zeigen Filme aus Israel, aber die Thematiken sind sehr vielfältig. Es besteht eine Beziehung zwischen Österreich und Israel, bevor dieser Staat überhaupt entstanden ist. Nämlich gab es vor 120 Jahren einen Export: Da hat ein in Österreich lebender Autor, nämlich Herzl – ein Wiener – sein Buch namens «Der Judenstaat» präsentiert. 60 Jahre danach nahmen Österreich und Israel diplomatische Beziehungen zueinander auf. Ich hab einen Historiker, der mit Filmbeispielen diese 120 Jahre dokumentieren wird. Im Film «The Settlers» werden Siedler porträtiert. Sie kommen zu Wort, und das Publikum kann sich selbst eine Meinung bilden.
Wohin geht das Festival?
Wir wollen ein europäisches Filmfestival bleiben. Das ist uns ganz wichtig. Wir wollen nicht die Politik Israels besprechen. Vielmehr wollen wir den Leuten zeigen, was jüdische Kultur und Tradition ist und wie sie sich im heutigen Europa entwickelt.