«Und morgen ein anderes Märchen»vorstadt

Wärmere Gefilde für den Kabarettisten Dietrich Kittner

Auf ärztlichen Rat hin hat Dietrich Kittner Hannover verlassen. Robert Sommer (Text) und Mario Lang (Fotos) besuchten das in dörfliche Umgebung eingebettete Kittner-Haus.

Wie ein Keil ragt das Gemeindegebiet von Radkersburg in den Nordosten Sloweniens hinein. Neben Kurtourist_innen lieben auch Radfahrer_innen dieses Städtchen mit der außergewöhnlichen Stadtmauer: Wo gäbe es sonst einen Punkt in Europa, auf dem du beim Frühstück die Wahl hast, in drei andere Länder zu radeln? Rund 40 Kilometer, und du bist im kroatischen Varaždin, rund 35 Kilometer, und du bist im ungarischen Szentgotthárd, rund 15 Kilometer, und du bist im slowenischen Murska Sobota. Und all das ohne besondere Anstrengungen, weil du dich im westlichsten Zipfelchen der ungarischen Tiefebene bewegst.

«Sie müssen raus aus den Rheuma-Löchern. Wenn Sie nicht im Rollstuhl landen wollen, wandern Sie in wärmere Gefilde aus!» Weil Dietrich Kittner, der linke Kabarettist aus Hannover, den Rat seines Arztes beherzigt hat, kann Radkersburgs dörfliche Umgebung neben dem Pavelhaus in Laafeld, dem kulturellen Zentrum der slowenischen Minderheit der Steiermark, mit einem zweiten Fixpunkt kultureller Ausstrahlung aufwarten: dem Kittner-Haus in Dedenitz.

Dietrich Kittner starb 2012, seine Lebensgefährtin Christel im darauffolgenden Jahr. In Kittners letzten 21 Lebensjahren war Dedenitz, das ruhige Dörfchen an der Mur, der Ausgangspunkt für die Tourneen des Künstlers. Es ist die Ruhe der Peripherie, und diese ist, wie immer, ambivalent. Es ist eine Ruhe, die perspektivlose junge Einwohner_innen nach Graz und Wien treibt. «Als ich jung war, hat hier noch jedes Haus Kühe gehabt», sagt Margarethe Milak, die freundliche Nachbarin der deutschen Neo-Dedenitzer. Die Gesamtgemeinde Radkersburg hatte 1910 noch 5000 Einwohner_innen, heute leben nur noch 3000 Menschen hier. «Heute kann niemand mehr in Dedenitz nur von der Landwirtschaft leben», sagt Frau Milak. Dedenitz ist kühefrei wie die anderen Dörfer dieses Landstrichs.

Der Radtourismus kann das ökonomische Abgehängtsein nicht kompensieren. Aber immerhin wird es in Dedenitz in Bälde drei schöne und großzügige Ferienwohnungen geben. Sie befinden sich in einem Nebengebäude des «Hollerhofs», wie Christel Kittner das fast 6000 Quadratmeter große Anwesen genannt hat. Die Bevölkerung wählt hier traditionellerweise «schwarz», aber dass der Hollerhof quasi zum Ort eines kommunistischen Gipfeltreffens wurde, scheint sie nicht sehr gestört zu haben. Dietrich Kittner zählte zur Crème de la Crème der Kulturschaffenden der Deutschen Kommunistischen Partei, neben den Liedermachern Franz Joseph Degenhardt, Hannes Wader und Dieter Süverkrüp sowie der Rockband Floh de Cologne.

Der pensionierte Wohnbaustadtrat von Graz, Ernest Kaltenegger, gründete die «Stiftung kultureller Förderung und Bewahrung des Lebenswerks von Dietrich und Christel Kittner», die den Hollerhof betreibt und sich zur Hauptaufgabe gestellt hat, junges politisches Kabarett in Österreich zu fördern.

 

Systematischer Ausschluss

Kaltenegger glaubt, erstens müsse – trotz des ununterbrochenen Erfolges seines Kleintheaters in Hannover und obwohl es danach Perioden gab, in denen er mehr als 200 Mal pro Jahr als Soloperformer auf der Bühne stand – der systematische Ausschluss aus den Fernsehsendungen irgendwie deprimierend gewirkt haben. Zwar ist Kritik am Neoliberalismus inzwischen Mainstream in der neuen deutschen Kabarettszene, aber Dietrich Kittners leidenschaftlich bis pathetisch parteipolitisches Engagement für die DKP galt dann doch als inkompatibel mit einer TV-Wirklichkeit, die den Rahmen einer Spaßgesellschaft nicht verletzen durfte.

Zweitens würdigte er die österreichische Neutralität, die ihm als riesige Gnade vorkam, ganz im Gegensatz zur Lage in Deutschland, das ausgerechnet unter aktiver Beteiligung der Grünen einen Krieg gegen Jugoslawien führte. In einem «Kriegstagebuch» hat Kittner die kriegsbegeisterte deutsche Medienlandschaft so ausreichend entlarvt, dass er selbst für deren liberalere Teile, nämlich für die Kulturredaktionen, zur Unperson wurde.

Ein Beispiel aus dem Kriegstagebuch: Fast ausnahmslos alle deutschen Medien hatten berichtet, dass die unvergleichlich schöne, dem Weltkulturerbe zugerechnete Altstadt von Dubrovnik «von den Serben durch Artilleriebeschuss vollständig zerstört worden» sei. Nicht in den politischen, aber immerhin in den Reiseteil der Zeitschrift «stern» sickerte dann die Realität ein. Nämlich in Form einer Klage des kroatischen Tourismusmanagers der Adriastadt. Die Stadt litt bitter unter dem Fernbleiben der deutschen Touristen. Diese hatten wirklich geglaubt, die Altstadt sei zur Trümmerstadt mutiert.

 

Fuck the cola, fuck the pizza …

Schließlich muss auch die transethnische Situation dieses zwischen Österreich, Ungarn, Slowenien und Kroatien eingebetteten Landstrichs für die Kittners faszinierend gewesen sein. In einer Gemeinde zu wohnen, deren Menschen zweisprachig sind und die drei Namen hat (neben dem deutschen Radkersburg auch das ungarische Regede und das slowenisch-kroatische Radgona), ist für einen vaterlandslosen Gesellen, für den Kittner sich zweifellos hielt, schon ein Wert. Dass Dietrich Kittner in Deutschland immer noch seine Fans hat, erkennt Stiftungs-Vorsitzender Kaltenegger am Interesse für Buchungen der Hollerhof-Ferienwohnungen, das ihm von Deutschland aus ins Internet strömt. In Österreich blieb Kittner relativ unbekannt.

Das gilt freilich nicht für Volksstimmefest-Besucher_innen – und für kulturinteressierte österreichische KPÖler_innen, zu denen ich mich einst zu zählen beliebte. Auf Anhieb fallen mir zwei Gründe ein, weswegen Kittner für mich geradezu DER Klassiker des politischen Kabaretts ist. Erstens war er Schöpfer gängiger Sprüche, die Tausenden zu geläufig sind, als dass sich die Frage der Autorenschaft stellte. Dazu gehört Kittners kürzestes Märchen der Welt: «Es war einmal ein Mann / der hatte es allein / durch seiner Hände redliche Arbeit / in unserer Leistungsgesellschaft / zu großem Reichtum gebracht // Und morgen, liebe Kinder / erzähle ich euch / ein anderes Märchen.»

Und zweitens wusste der Kittner längst, was ich für meine alleinige Entdeckung hielt. Während meines Urlaubs auf der kroatischen Insel Korčula fotografierte ich einen vermeintlich höchst originellen Sponti-Spruch auf einer Hausmauer. Das erste, worauf ich im ehemaligen Wohnzimmer der Familie Kittner stieß, war ein Plakat mit diesem offensichtlich doch weit verbreiteten Spruch: Fuck the cola / fuck the pizza / all we need / is shlivovitza.

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