«Und wos wü da Tschusch?»Dichter Innenteil

Eigentlich paradox, dass ein Wohlfühlen in der eigenen Haut so oft von deren Farbe abhängt

Grafik: Karl Berger

In der prallen Sonne liegend erwartete Meinrat unzählige Sommer lang von seiner weißen Haut, dass sie endlich Farbe bekennt. Vergeblich, auch Pillen und Selbstbräuner verhalfen ihm nicht zur heißersehnten Bräune. Er empfand es auch gar nicht als lustig, als er nach einem Sommerurlaub zu Hause am Bauernhof, mit viel Sonne beim Heuen, mit etwas Farbe in die Druckerei zurückkehrte und ein Kollege ihn mitleidslos betrachtete: «Jöh, warst du etwa in den Katakomben von Rom auf Urlaub?» Auch der Zuruf seines damaligen Trainers, bekannt für seine Schlagfertigkeit und witzigen Sticheleinen, im örtlichen Fußballklub beim Silvesterlauf, «Ah, der Miami-Vice (betont «weiß» ausgesprochen) läuft auch mit», spornte den sonnenbebrillten Meinrat so überhaupt nicht an. Ja, eh lustig, aber es tat auch etwas weh, mehr jedoch «kasweißer Topfenneger» und ähnliche sachdienliche Zuschreibungen, die durch die Haut in Mark und Bein gingen. Meinrat sah sich oft um Chancen gebracht, vor allem bezüglich Anbahnungen zum anderen Geschlecht. Und es war keineswegs tröstlich, so blass in der Stadt wenigstens nicht als Bauer erkannt zu werden. Dabei bedauerte Meinrat Menschen, die wegen ihrer dunklen Hautfarbe, die er so erstrebenswert fand, diskriminiert wurden. Also vice versa hätte er möglicherweise genauso gelitten; dieser Gedanke kam ihm aber nicht in den Sinn.

Eigentlich paradox, dass ein Wohlfühlen in der eigenen Haut so oft von deren Farbe abhängt, was den Herstellern sowohl von Bräunungs- als auch Bleichcremen ein krisensicheres Geschäft einbringt. In China gehen die einheimischen Touristen an den Tropenstränden im Süden des Landes nur nach Sonnenuntergang an den Strand bzw. ins Wasser, um ja nicht der Sonne ausgesetzt zu sein – man könnte ja ansonsten als elender Bauer, Dachdecker und dgl. angesehen werden. Und der mexikanische Technikstudent fühlte sich auch beleidigt, als ihn Meinrat nach dem Fußballspielen wegen seiner tiefschwarzen Haare und des dunkelbraunen Teints fragte, welcher indianischen Ethnie er angehöre. Ebenso staunte Meinrat über «hellere» Afrikaner_innen, die etwas «dunklere» ungeniert herabsetzten. Außerirdische würden sich wundern, wie sehr sich die Menschen wegen ihrer Hautfarbe Sorgen machen, ja sogar aufeinander losgehen, Mord und Totschlag begehen und dabei sonderbare Früchte erschaffen.1) Dabei stammen wir Europäer von zugewanderten Menschen aus Afrika ab, die wegen des Klimas hier immer heller wurden und nun so gerne «Das Dunkle» ächten. Wer will sich aber daran erinnern? Auch Jim Morrisons Spruch: «Dein kühles Gesicht erinnere dich, wir waren in Afrika» ist schon längst verschütt gegangen. Ist ja schon so lange her – mit dem Maßstab der Erdgeschichte wäre es allerdings eben erst passiert.

Ohne Sonnenbäder

Neidvoll blickte Meinrat oft auf den tiefbraunen Teint seines Schulkollegen Albert, mit dem er danach einige Jahre in der Hauptstadt zusammenwohnte. Albert kam gänzlich ohne Sonnenbäder aus, vielmehr suchte er den Schatten, wo immer es ging. Meinrat, blond, großgewachsen, nordischer, deutscher Typ, Albert mit tiefschwarzem Haar und Bräune der Südländer: optisch ein ungleiches Paar. Eine Generation früher hätte Meinrat wohl besondere Vorteile durch sein Aussehen genossen – Albert eher nicht. Denn er war mindestens so dunkel wie Aurelia, Tochter einer Österreicherin und eines Arztes aus der Karibik, dessen Vorfahren als Sklaven aus Afrika dorthin verschleppt wurden. Die Musikerin erzählte Meinrat von ihrer ersten Erfahrung gegen Ende des 20. Jahrhunderts mit der einheimischen Bevölkerung im südöstlichsten Bundesland Österreichs. Sie wurde auf Verdacht von einer einheimischen Frau angezeigt und die Polizei rückte dann mit deren Begründung heraus: «Die Zigeunerin ist mit einem Auto zum Einkaufen gefahren. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.»

Albert haftete als junger Mann, groß und wuchtig mit wirren langen Haaren, etwas Rebellisches an, landläufig: «a wüda Hund». Einmal, zu später Stunde, erhielt er von einer Dame des horizontalen Gewerbes spontan das Angebot, für sie den Beschützer zu geben, was er brüsk ablehnte. Ein anderes Mal erschien er am Bahnhof im Heimatort mit einem ziemlichen «Flieger», d. h. er hatte etwas über den Durst getrunken, wobei Meinrat bekennt, dass auch er einmal bei einer viereinhalbstündigen und 130 Kilometer langen Zugfahrt nach Wien zum Zeitvertreib an der laufend kreisenden Flasche mit Hochprozentigem nippte – nur um nach einem Totalabsturz vom Schnaps geheilt zu werden. Albert unterhielt die Runde prächtig, schwang sich zwischen den Gepäcksträgern hin und her, mit einer tiefer, sonoren Stimme «I was born under a wandering star», die Lee Marvin auch zur Ehre gereicht hätte, singend. Den Schaffner brachte er jedoch damit an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.

Unbewusste Feinjustierungen

Erst nach einigen Jahrzehnten Lebenserfahrung versuchte Meinrat seine Kindheit und Jugend besser zu verstehen und ging den bewussten und noch viel mehr den unbewussten Feinjustierungen auf den Grund. War da etwa die Klasse von einer unsichtbaren Energie schon vorprogrammiert, waren die Rollen verteilt, ohne Chance auf Korrektur? Später, als Grundwehrdiener, erlebte Meinrat dann noch eine rigidere Rangordnung, die mit «hinauf buckeln und beten, hinunter treten» so treffend beschrieben werden kann. Meinrat hatte damals darunter gelitten, ein Bauernkind zu sein. Warum aber hinterfragte er nicht, dass die Bauernkinder von den großen Höfen damit kein Problem hatten und viel selbstbewusster agierten als er, der Kleinhäuslerbub? Dabei gab es bei den «Marktlern», die grundsätzlich das Sagen hatten, auch welche, die herablassend behandelt wurden, und Meinrat sah kein Problem darin, da mitzumachen. «Von hundert Meter ko ma scho erkenna, da kimmt a Depp daher!», sang Haindling viele Jahre später; das hatten die Kinder schnell heraus, wer unter einem Manko litt, auch wenn das Wort Mobbing noch völlig unbekannt war. Die Diskriminierungsmechanismen funktionieren eben nicht nur über die Haut, sondern auch über ein Handicap oder die Herkunft, die durch die willkürliche Geburt bestimmt ist. Besonders drastisch und dramatisch wird dies in den Filmen «Der Verdingbub» und «Schwabenkinder» abgehandelt.

Nur einmal konnte sich der kaum wahrgenommene Albert, damals schmächtig und klein, Respekt verschaffen. Er, der häufig so nebenbei Prügel bezog, legte eines Tages auch die Klassenstärksten mit einem einfachen Trick aufs Kreuz – und erntete damit endlich Anerkennung, er, der Sohn einer Magd und eines Knechtes, die das Glück hatten, heiraten zu können, was so vielen vor ihnen verwehrt war. Über Jahrhunderte konnten diese Menschen keine Familie gründen und wechselseitige Gefühle nur selten und unter widrigen Umständen ausleben. Entstand dabei neues Leben, so vermehrte sich das Elend, denn Vertreter der Religion der Nächstenliebe hatten häufig nichts Besseres im Sinn als Mutter und Kind zu ächten und zu stigmatisieren. Die Väter brauchten öffentliche Ächtung – selbst bei einem «Schuld»-Bekenntnis im Beichtstuhl – nicht zu fürchten. Übrigens lagen die Lebensumstände von Mägden und Knechten oft nicht so weit weg von der Sklaverei – wobei sich Bauern/Bäuerinnen (im Gegensatz zu Sklavenhaltern) oft ebenso ein Lebtag lang abrackerten. Die Dienstboten verschwanden ziemlich zeitgleich mit Alberts und Meinrats Erscheinen auf diesem Planeten, weil deren Arbeitskraft so leicht durch den Einsatz von Maschinen ersetzt werden konnte. Neue Chancen bot für sie die Industrie.

Ein Schwank

Albert erzählte Meinrat lakonisch den Schwank, als er in den Ferien vor Beginn einer Lehre bei einer Holzfirma anheuerte. Nach einem harten Vormittag im «Schlag» gingen sie am Zellerpass – der wegen seines damals unglaublich steilen Anstiegs von der steirischen Seite im Winter wegen Unpassierbarkeit oder zumindest Schneekettenpflicht regelmäßig in den Nachrichten Erwähnung fand – Mittagessen zum Passwirt, wo sie mit ihren schmutzigen Arbeitsklamotten nicht gerade Begeisterung hervorriefen. Als die Kellnerin bei seinem knorrigen Kollegen die Bestellung aufnahm, ließ sie ihrer Geringschätzung für Albert freien Lauf, würdigte ihn keines Blickes und fragte den Kollegen: «Und wos wü da Tschusch?» Albert aber nahm ihr das gar nicht so übel, sondern konterte zu ihrer Verblüffung schlagfertig und akzentfrei im selben Dialekt.

Hinweis des Autors: Einige Namen von Personen und Orten sind vom Autor frei erfunden.

1)    Das Lied «Strange Fruit», komponiert von Abel Meeropol und gesungen von der unvergesslichen Billie Holiday, gilt als eine der stärksten künstlerischen Aussagen gegen rassistische Lynchmorde in den Südstaaten der USA. Die im Lied angesprochene sonderbare Frucht ist der Körper eines Schwarzen, der an einem Baum hängt. Ebenso verwunderlich ist wie sehr eine dunkle Hautfarbe auf Kunstwerke abfärben kann: Über Jahrhunderte wurden die Werke afro-amerikanischer Künstler_innen nur zu einem Bruchteil vergleichbarer «weißer» Bilder gehandelt.

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