Lokalmatador Werner Neuwirth
Werner Neuwirth sammelt historische Fotos und erfreut damit etliche Menschen in Wien. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).An der Wand im renovierten und wiedereröffneten Café Ritter hängt ein altes Foto vom «Aschyl». Der Aschyl hieß mit bürgerlichem Namen Ernst Happel und war zu seiner Zeit eine Legende. In Erinnerung blieb er als erfolgreicher Fußballer, Trainer, Raucher, Kauz, Grantler, Wortkreateur und nicht zuletzt als Tarockspieler im Ritter an der Ottakringer Straße.
Willkommen in der Wiener Vergangenheit! Es wäre wohl nicht Werner Neuwirth, wüsste er nicht auch zum «Aschyl» eine Anekdote: «An dem Tisch rechts neben dem Eingang ist er gesessen», deutet er. «Der Chauffeur hat ihn vor der Tür aussteigen lassen und hat ihn nach dem Kartenspielen wieder abgeholt.»
Der 50-Jährige kennt noch das Ritter, wie es einmal war. Er ist ein Ottakringer durch und durch. Sein Großvater, auch Teil dieser Vergangenheit, hat außerhalb des Gürtels ein kleines Schuhimperium aufgebaut. «In seiner besten Zeit mit 150 Arbeitern und zwölf Angestellten.»
Der Industrielle muss auch eine Art «Schindler von Ottakring» gewesen sein. Neuwirth zitiert aus Erzählungen und Briefen: «Unter den Augen der Gestapo hat er sogenannte Arier aus seinem Wohnhaus rausgeworfen, um jüdische Arbeiterfamilien mit schützender Hand einzuquartieren. Nachweislich hat er dann im Jahr 1942 zwölf jüdischen Familien die Flucht in die Schweiz ermöglicht.»
Hinreißend kann der Fabrikantenenkelsohn große und kleine Geschichten erzählen. Die Zeitgeschichte wurde im Laufe von fünf Jahrzehnten zu seiner Berufung: Heute sammelt, archiviert, veröffentlicht er historische Ansichten von Ottakring, von allen Wiener Bezirken, Österreich, der Welt.
Der Sammler und Archivar hat Tausende Fotografien vor dem Wegschmeißen und damit Vergessen gerettet. Nicht nur das. Er hat sie penibel beschriftet, digitalisiert und der Öffentlichkeit ohne finanzielle Hintergedanken zugänglich gemacht.
Auf seiner Homepage sowie auf Facebook stellt Werner Neuwirth einzigartige alte Ansichten aus allen 23 Wiener Bezirken vor. Den Menschen, die ihm im Internet und bei seinen Vorträgen folgen, bereitet er damit «unendlich viel Freude». Das lässt sich aus den netten Reaktionen im Internet ablesen, und aus der Tatsache, dass seine Veranstaltungen immer schon Wochen im Voraus ausgebucht sind.
Ältere Semester kommen aus dem Staunen nicht heraus: hier ein Straßenzug mit einer offenen Tramway, so wie sie das Szenario aus ihrer Kindheit kennen. Dort eine grüne Wiese, die inzwischen lange zubetoniert oder völlig verbaut ist.
Und seine eigene Geschichte? Ist auch nicht in fünf Minuten erzählt. Noch gut erinnern kann sich Werner Neuwirth an die Schuhproduktion seiner Familie: «Fasziniert hat mich die mechanische Stechuhr, die so schön ratterte. Und auch das Riesenrad, in dem der Schuh mit der Sohle verheiratet wurde.»
Er war zwölf Jahre alt, als sein Großvater die Firma verkauft hat. Das Zeitalter der reinen Mechanik und der Qualität des Handschlags neigte sich 1978 dem Ende zu. Wer die neuen Standards nicht nachvollziehen konnte oder wollte, war gut beraten, zu verkaufen.
Der Sohn aus gutem Ottakringer Haus, in dem Geld lange ein Thema, aber kein Problem darstellte, war wiederum gut beraten, die Handelsakademie und dazu eine Lehre als Koch und Kellner zu Ende zu bringen. Er hat dann nach seiner Zeit als UN-Blauhelm auf dem Golan fast ein Jahrzehnt lang für Hotelbetriebe gearbeitet. In der Schweiz, in Israel, Bahrain, Ecuador, im Jemen und im Kaukasus. «Um mir die Welt und Wien von außen anzusehen.»
Nach seiner Rückkehr hat der Weltenbummler seine Erfahrung und sein fachliches Wissen Traditionsbetrieben wie Ankerbrot in Favoriten oder Meinl in Hernals zur Verfügung gestellt und zwischendurch eine Almhütte in den Radstätter Tauern geführt. Mehr als ein Mal einem Burn-out nahe, aber «immer auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben».
Gesucht, gesammelt hat er immer schon. Als Chauffeur historischer Fahrzeuge kannte man ihn im 16. Bezirk und auch außerhalb des 16. Bezirks: «Am liebsten fuhr ich mit alten amerikanischen Schlitten aus meiner Lieblingsfernsehserie ‹Die Straßen von San Francisco› durch die Stadt.»
Womit wir direkt auf eine Enttäuschung in seinem Leben zusteuern: Für seine Idee, in Laa an der Thaya ein Verkehrsmuseum mit all seinen Schmuckstücken zu eröffnen, konnte er viele Menschen gewinnen. «Doch leider hat mir die Finanz kurz vor der geplanten Eröffnung einen Strich durch meine Rechnung gemacht.»
Kein Lieblingsthema von Werner Neuwirth, reden wir daher von Erfreulicherem! Ins Café Ritter hat er einige besonders schöne Exponate aus seiner historischen Foto-Sammlung mitgebracht. Er hütet sie wie einen Schatz. Hat aber weiterhin das Problem, dass er sich keinen leistungsstarken Scanner und somit nicht die Digitalisierung all seiner Kostbarkeiten leisten kann.
Von Vorteil für alle wäre wohl, wenn das eine oder andere Museum in dieser reichen Stadt dem Privatmann eine Plattform bieten könnte. Neuwirth hat viel historisches Wissen angesammelt, und er ist nicht unbedingt der Mensch, der es für sich behalten und ins Grab mitnehmen muss. Mehr unter: www.vintage-fotos.at.