Unerwünschtes WeihnachtsgeschenkDichter Innenteil

(c) Hanna Holler

An alle Leserinnen und Leser, bitte suchen Sie sorgsam aus, wem Sie Weihnachtsgeschenke geben! Sie könnten in ein Fettnäpfchen treten, so wie ich im Dezember des vorigen Jahres …

Seit ein paar Tagen schwimme ich im Einkaufsstrom, es heißt Weihnachtsgeschenke besorgen trotz des Lockdowns, zwar nicht auf der Mariahilfer Straße und am Graben, aber in der Fasangasse im Secondhandshop und der Herzgasse. Berauscht durch meine christlichen Praktiken oder besser gesagt «Zwangsneurosen», jeden und jede mit dem Glück eines kleinen Geschenks zu segnen, packte ich eine kleine Bonbonniere und eine Tafel Schokolade in meinen schwarzen Rucksack sowie alle Medikamente, Ergebnisse von Ultraschall-Untersuchungen und eine dicke, durchsichtige Mappe mit einem Attest und allen meinen Beschwerden aufgelistet.

Stieg in die 71er-Straßenbahn bis zum Burgring, beschäftigt in Gedanken mit Weihnachtsbesorgungszetteln und ja auf niemanden vergessen. So ging ich den kurzen Weg zur Arztpraxis. Endlich, dachte ich, wird man mich verschonen mit dem Schikanieren, den bedrohlichen E-Mails vom AMS, wo mir Jobs angeboten wurden, bei denen ich schwerere körperliche Arbeit verrichten sollte, jetzt, wo ich mich als Invalide fühle. Nicht zu vergessen die vielen Jahre, die unzähligen weißen Blätter in meiner transparenten Mappe mit den Krankheitsgeschichten, die sich seit einer Ewigkeit in meinen Körper geschlichen haben. Aber die wären keinesfalls so schlimm wie die Tatsache, dass die Ärzte letzten Sommer viel verpfuscht haben bei meiner Knieoperation, zum zweiten Mal. Und das nur, weil ich einen Sehnenriss hatte und eine Jägerhut-Kniescheibe …

Zuerst schraubten sie mir riesige Titanschrauben rein, statt kleiner Plastiknägel, die mit der Zeit schmelzen und man sie gar nicht aus den Knien rausnehmen müsste, weil sie harmlos sind. Das hatte mir mein Orthopäde verordnet, der unglücklicherweise nur in privaten Kliniken operiert. Zwei Minuten vor der OP teilte mir ein gutaussehender Arzt, den ich vorher noch nie gesehen hatte, mit einem Lächeln seine spontane Entscheidung mit: «Es ist besser, wenn wir Ihnen die Titanschrauben reingeben, sonst kommen Sie wieder nächstes Jahr», rief er, von seiner spontanen kreativen Idee überzeugt. So was geschieht, um die Warteliste und die Krankenkasse zu entlasten.

Ich dachte nie, dass man sich mit 52 fühlen könnte wie 82, nach so einem Eingriff. Die Hoffnung, dass es nach fast zwei Jahren besser wird, verbleicht langsam. Diese Erkenntnis stimmt mich traurig, vor allem, dass ich niemals mehr mit meiner Tochter Jovana eislaufen kann, oder im Sommer bergsteigen, nicht einmal in Wien eine Stunde spazieren gehen, ohne dass es schmerzt oder blockiert. Beim längeren Stehen oder Gehen fühlt sich mein Knie an, als würde jemand es auf einer mittelalterlichen Streckbank ziehen, und immer diese Präsenz eines Fremdkörpers, als würden die riesigen, unsichtbaren Titanschrauben in meinem Knie mir jede Leichtigkeit des Lebens erschweren.

Jemand sagte zu mir: «Du solltest diesen Arzt anzeigen.» Leichter gesagt als getan. Ich mit meinen 900 Euro im Monat und ein guter Anwalt? Und meine christlichen Ohren, die hören, wie Jesus sagt, dass wir niemals zu Gericht gehen sollen, sondern uns versöhnen sollen, bevor wir zur Justiz kommen, denn letztendlich sind Gottes Wege unergründlich. Ich verdamme die Ärzte nicht, sie leisten oft gute Dinge, es war mein Schicksal … Um über die Sache im Nachhinein zu grübeln, ist es zu spät. «Friss oder stirb», sagen die freundlichen Wiener. So kam ich, vom Schicksal oder Missgeschick geführt, durch die Glastüre an den Anmeldungsschalter. Es war eine andere junge Dame als bei meinem vorigen Besuch. Ich sagte ihr, dass ich heute einen Termin habe. Sie erwiderte: «Fahren Sie mit dem Aufzug in den 2. Stock!» Ich zog meine Tafel Schokolade aus der Tasche und rief festlich: »Merry Christmas!» Sie blickte kurz überrascht, nahm die Schoko aber mit einem Lachen entgegen.

Der endlose Gang hatte etwas Merkwürdiges. Ich assoziierte ihn mit einem Gericht und einer Entlausungsstation und hatte ein mulmiges Gefühl. Ich warf das Anmeldeformular durch den Schlitz und ging ins Wartezimmer. Nach kurzer Zeit wurde ich aufgerufen. Ich klopfte und ging hinein. Eine Ärztin, Anfang 50, mit Brille, dunkles Haar, im weißen Mantel, kleiner Statur saß da. Eine veraltetes, weißes Metallbett, ein grauer Stuhl in der Mitte des Zimmers, ein brauner Schreibtisch, darauf ein Laptop. Das Einzige, was dem Zeitalter entsprach, war der Computer.

Ohne lange zu überlegen, nahm ich die Bonbonniere, um der Ärztin Frohe Weihnachten zu wünschen. Bevor ich ihr die Nascherei überreichte, schaute sie mich entsetzt an und rief laut: «Packen Sie sofort ihre Sachen und verlassen Sie das Zimmer, die Untersuchung wird nicht durchgeführt! Sie wollen mich bestechen.»

Erstarrt stand ich da, ich war wie aus allen Wolken gefallen, so viel Unmenschlichkeit kannte ich nur aus Filmen. Tränen stiegen in mir auf. «Ich weiß, Sie wollten mich bestechen, gehen Sie bitte!»

Verzweifelt rief ich: «Ich wollte Sie nicht bestechen Frau Doktor, wirklich nicht, es ist nur Weihnachten, und ich wollte Ihnen das geben, ohne Hintergedanken. Mein Hausarzt freut sich auch, wenn ich ihm etwas zu Weihnachten schenke. Die Dame unten hat auch ein kleines Geschenk genommen. Für eine Bestechung reicht die kleine Bonbonniere nicht aus, wenn dann müsste ich Ihnen unter dem Tisch ein dickes Kuvert geben, aber das tue ich nicht. Es ist nur eine kleine Bonbonniere, außerdem können Sie nur das schreiben, was mein Körper sagt, nicht mehr, nicht weniger …»

Sie musterte mich mit abwertenden Blicken und wiederholte: «Sie wollten mich bestechen.» Ihre Augen wurden klein und ihr Gesicht verzog sich, «Aber ich mache eine Ausnahme, setzen Sie sich auf den Stuhl.» Ich setzte mich, versteckte meine kleine Bonbonniere schnell in dem rosa Sackerl. «Haben Sie eine Medikamentenliste da?» «Nein», rief ich verdutzt. «Haben Sie die amtliche Einladung mit?» «Nein», auch die hatte ich leider vergessen. «Ich habe hier ein Attest, das habe ich Ihnen in Kopie beigelegt.» Ich zog aus der Mappe den A4-Zettel und reichte ihn ihr. Dann nahm ich aus meinem Rucksack ein durchsichtiges Sackerl mit meinen Medikamenten. «Haben Sie Allergien?» «Ja», sagte ich «Histaminunverträglichkeit und andere Medikamente.» «Sie haben Asthma?» «Ja.»

Die Stimmung war wie am Gerichtshof, und um die Atmosphäre zu durchbrechen, rief ich jetzt ein wenig froher: «Frau Doktor wissen Sie, bei uns in Serbien schenkt man sehr viel zu Weihnachten, vor allem Ärzten.» «Wir sind aber nicht in Serbien», brummte sie.

Jetzt forderte sie mich auf, mich auszuziehen und mich auf das hohe schmale Bett zu legen. Die Untersuchungen spielten sich in ein paar Minuten ab, sie waren routinemäßig, wie auf einem Fließband. Sie blickte kühl und rief: «Geben Sie die Maske über die Nase!» Ich tat das, bekam kaum Luft, atmete schwer und kurz, sie öffnete das Fenster, während ich im BH auf dem Bett saß. Ich fühlte mich beobachtet … «Die Nachbarn schauen zu», rief ich leicht verlegen. Sie zog jetzt den Fensterflügel ein wenig zur Seite. «Wissen Sie, wenn Sie die Maske nicht ganz über die Nase geben, muss ich das Fenster aufmachen.» Ich nickte verständnisvoll und atmete wie ein Fisch auf dem Trockenen.

«Sie haben Tinnitus.» «Ja», antwortete ich verzweifelt «Ich kann oft deswegen nicht gut schlafen.» Ich war kurz vor einem Heulausbruch. «Ich hatte zwei Knieoperationen, jetzt geht es mir schlechter als vorher», fügte ich noch hinzu. Sie saß neben ihrem Schreibtisch und blickte interessiert zu mir. «Es tut mir leid für Sie.» Kurz klang ihre Stimme wärmer.

Dann nahm sie wieder ihre gewöhnliche Gangart auf. «Sie können sich anziehen.» Mit ein paar Bewegungen desinfizierte sie das Bett, während ich mich anzog. Dann ging sie zu ihrem Schreibtisch und schrieb. Ich ahnte, dass ich wieder einmal auf eine dieser Ärzt:innen gestoßen war, die sich nicht für meinen Gesundheitszustand interessierten, im Gegenteil, sie hatte einen siegessicheren Ausdruck mit einem komischen Lächeln im Gesicht, der im Verborgenen sagte: «Ich sitze auf dem höheren Ast.»

Ich ging hinaus, aufgewühlt, gedemütigt, abgelehnt, ein seltsames Gefühl, wie müssen sich Verfolgte gefühlt haben und meine Landsleute damals vor 80 Jahren. Tränen flossen mir über die Wangen, während ich in der Straßenbahn saß. In meinem Herzen war ich ergriffen von unmenschlicher Kälte. Ich ging in die Kirche, zündete für diese Ärztin eine Kerze an und betete für alle Herzen, die aus Stein sind.

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