Ungewöhnliches konkret ansingenArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Innsbruck, Hauptbahnhof, leichte Muse und Haltung

Eine spezielle Art des Musik-kabaretts machen Christoph & ­Lollo seit mehr als 20 Jahren. Das ­aktuelle ­Album Mitten ins Hirn ­vergnügt und … bildet. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)

Die Bewegungsprofile vierer Musikarbeiter kreuzen sich early 2019 geplant am Wiener Hauptbahnhof, in einem von dessen erstaunlichsten gastronomischen Angeboten. Christoph (Drexler) und Lollo (Pichler) kommen dabei retour von ihrem traditionellen Innsbrucker Fast-Neujahrskonzert. Für und mit dem verdienstvollen Kulturverein V. A. K. U. U. M. abgewickelt, seit jeher fixer Bestandteil des Konzert-/Auftrittskalenders des 1995 erstmals in Erscheinung getretenen Duos der Schulfreunde. Musikarbeiter? Wohl verzeichnen die Credits des im Oktober 2018 erschienenen achten Albums ­Mitten ins Hirn die beiden an diversen Instrumenten, sie singen auch, und gewiss nicht schlecht, aber das Alleinstellungsmerkmal von Christoph & Lollo bleibt die Kompatibilität ihres Tuns mit Musik- und Kleinkunstbühnen. Sie sind einer der wenigen hiesigen Acts, der, wie im Oktober geschehen, in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ebenso Anklang und Publikum findet wie etwa im Wiener Chelsea. Wobei ihre schon traditionellen Vorweihnachtskonzerte dortselbst bis zu vier Stunden dauern können, was halbbeamteten Ton- und Lichttechnikern ein attitude adjustment beschert, obwohl noch gar nicht der 24. Dezember ist.

Schau das niemals bei Google nach.

Trotz allen Fortschritts ist dabei die Tontechnik etwas, was bei Nichtfunktionieren selbst bei Jahrzehnten Auftrittserfahrung für Spannung und Dynamik sorgt. Christoph beschwert sich aber über den miserablen Sound auf der Bühne gestern gar nicht länger. Weiters vermeidet das Duo Routine dadurch, dass zwischen den Stücken keine fixen Texte und Moderationen festgeschrieben und auswendig gelernt sind, entgeht so dem zwangsläufigen Zynismus des sich wiederholenden Programm-Kabarettisten. Zusätzlich zu ihren pointierten Liedern schöpfen Christoph & Lollo aus dem Moment und dem Auftrittsort, das Publikum und dessen womöglich vorhandener Interaktionswille ist ein zusätzlicher Faktor, der Abende speziell macht. Wobei die beiden 1977 geborenen Künstler, beide Väter (der bei ­Giftige Pflanzen auf dem aktuellen Album zu hörende Quietschbär ist wohl dem Nachwuchs zuzuschreiben), feststellen, dass sich ihr Publikum mitunter (auch) verjüngt, und andererseits gerade in den Kabaretthäusern eine eigene Bewegung stattfindet, sich ältere Semester ihr ­Christoph-&-Lollo-Debüt gönnen: «Die Leute sind ja auch nicht immer die Gleichen.» Nach über zwei Jahrzehnten im Geschäft ein gutes Zeichen. Geschäft? 2005 verabschiedete sich das Duo nach drei Alben mit Trotzdemtrotz von der (vermeintlichen) Monothematik Schispringer, seit gut einem Jahrzehnt leben sie von ihrer Kunst. Tonträgerverkäufe oder Erträge aus Radioeinsätzen – «mittlerweile laufen wir am öftesten auf Ö1» – sind dabei den Auftrittsgagen nachgereiht, dank konstanter Buchungslage geht sich das aus.

Karl-Heinz und die Bettelmafia.

Ein Album hat dabei eine vergleichbare Funktion wie ein Programm bei den sortenreinen Kleinkünstler_innen. Als Lollo noch am ­Schreiben der Lieder war, die Mitten ins Hirn dann ausmachen würden, standen schon 50 Livetermine zu deren Präsentation. Da das Label in eigener Hand ist, hält sich dabei der Druck von außen in Grenzen. Dennoch, nicht zuletzt die Recherche zu Liedern mit komplexeren Themen ist schwere Arbeit. Dabei sind Christoph & Lollo zweifellos in allererster Linie – großartige – Unterhalter, aber Lollo ist es gegeben, (nicht nur) Zeitgeschehen auf eine Art zu kommentieren und zu reflektieren, die mensch gerne öfter hören würde. Das 2011er-Album Tschuldigung hob mit einem Lied über Theodor Graf Baillet de Latour an, konservativer Kriegsminister, der 1848 laternisiert (= gelyncht) wurde, am selben Werk fühlte der Song Karl-Heinz einem mittlerweile kaum mehr gelittenen ehemaligen Finanzminister explizit auf den moralisch morschen Zahn. 2017 entstand Bettelmafia, auf ­Mitten ins Hirn zu finden, ein akribisch recherchiertes Lied über die Untiefen heimischer Zeitungsfinanzierung. Erstaunlich sowohl, dass dazu einerseits Reaktionen wie «Das traut ihr euch?», «Darf mensch das?« oder «Habt ihr keine Angst?» kommen, andererseits ÖVP-Befürworter_innen sich das ungerührt anhören, wohl eine Art Beichterweiterung. Lollo: «Ich finde halt schon, wenn man schon Lieder singt, wenn die schon viel Text haben, dann kann es schon um etwas anderes gehen als um besoffene Liebesgeschichten oder ungefähre Befindlichkeitslyrik. Ich finde das oft erstaunlich, dass viele Musiker das überhaupt nicht machen, die Welt gar nicht konkret darstellen. Und wenn´s politisch wird, ist es so ungefähr, dass ich mich frage, ist das jetzt noch poetisch oder schon feig? Man darf ja auch was sagen.»

Christoph & Lollo: ­

Mitten ins Hirn (­Kazuyoshi Records/Hoanzl)

Live:

17. 1. Orpheum, 20. 1. Kabarett Niedermair

christophundlollo.com

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