Unkalkulierbare Wetterlagentun & lassen

Illustration: (c) Thomas Kriebaum

Klimazone (Oktober 2024)

Es war eine verheerende – mitunter sogar tödliche – Mischung: Ungewöhnlich warme Luft aus dem Mittelmeerraum traf auf sehr kalte Luft, die aus der Arktis nach Europa kam. Über Österreich, Polen, ­Tschechien und Rumänien kam es zu unwetterartigen Regen. Es ­schüttete tagelang. Mancherorts kam in wenigen Tagen sechs Mal so viel Wasser vom Himmel wie sonst in einem durchschnittlichen Septembermonat. Dass eine Großwetterlage, wie wir sie Mitte
September erlebt haben, viel Niederschlag und damit das Potenzial für Hochwasser mit sich bringt, liegt im extremen Gegensatz der Luftmassen, und ist als Phänomen eingehend bekannt. Die Klassifikation, das Kürzel Vb, stammt vom deutschen Meteorologen Wilhelm Jacob van Bebber, der 1891 Zugbahnen von Tiefdruckgebieten mit römischen Zahlen ­nummerierte. Was jedoch neu ist: Diese Wetterlagen werden intensiver, bringen also mehr Regen mit sich. Das liegt einerseits an der wärmeren Luft: Pro Grad Erwärmung kann gesättigte Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf halten. Andererseits werden auch die Meere immer wärmer. Das Mittelmeer
beispielsweise ist derzeit extrem warm und es kann daher mehr Feuchtigkeit verdunsten. Der Klimawandel lässt die ­Extreme häufiger werden –und bringt die Statistik durcheinander.
Laut einer ersten Zuordnungsstudie der Forschungsgruppe World Weather Attribution hat die Klimaerwärmung das Starkregenereignis doppelt so wahrscheinlich gemacht. 100- oder 1.000-­jährige Hochwässer könnte es zukünftig alle paar Jahrzehnte geben. Schon jetzt treten in Österreich Tage mit extremen Regen bis zu 40 Prozent häufiger auf als noch in den 1960er-Jahren.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner betonte nach der Hochwasserkatastrophe, Hochwasserschutz sei «die beste Investition, um die Menschen zu schützen». Und damit hat sie recht. Es braucht technische Maßnahmen wie Dämme, die uns vor den zunehmenden Extremwetterereignissen schützen. Aber es braucht vor allem auch natürlichen Schutz – und den erhalten wir nur, wenn wir Flüsse renaturieren und Boden entsiegeln. Das Wasser braucht Platz. Es braucht Boden, in dem es versickern, und Wiesen, die es überschwemmen kann. In den letzten Jahrzehnten wurden Flüsse begradigt, eingetieft und ihre Ufer befestigt. Dabei brauchen Flüsse Raum, um sich bewegen zu können. Sie brauchen naturnahe Auenlandschaften, die sie überfluten können. Das verlangsamt den Hochwasserabfluss und dämpft Abflussspitzen.
Man hat aus dem letzten Jahrhunderthochwasser 2002 gelernt und den Hochwasserschutz in den damals betroffenen Regionen verstärkt, weshalb man dieses Mal auch besser auf die Flut vorbereitet war. Dennoch hat das Ausmaß viele überrascht. Die Klimakatastrophe macht vieles unkalkulierbar. Unsere Normalität, das, was denkbar ist, hat sich verschoben. Wir können, nein, wir müssen uns daran anpassen. Was wir erlebt haben, war ein Naturereignis. Zur Katastrophe wurde es durch unseren Umgang mit der Natur, durch unsere Siedlungsweise und Kulturtechniken. Sie müssen wir überdenken. Und wir müssen über die Anpassung ­hinausgehen und endlich radikal werden. Wir müssen die Ursache angehen – die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre.

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