Unser Gelächter wird euch begrabenArtistin

Dario Fo in der Provinz: viel Applaus im Stift für den Feind der Stifte

Emina Eppensteiner ist Hure, Totengräberin, Klosterschwester, Landvermesserin. Merten Gareiss ist Staatssekretär, Patient der geschlossenen Psychiatrie, Dieb, Minister, Arzt. Die jeweils letztgenannte Profession ist die reale. Alles andere sind Rollen. Auch die anderen Mitglieder der Theater-Spiel-Gruppe-Lilien-Feld, zusammen mehr als ein Dutzend, sind Laiinnen und Laien. Mit der mehrmaligen Aufführung des Dario-Fo-Stücks «Siebentens: Stiehl ein bisschen weniger» im Stift Lilienfeld ist so etwas wie ein Durchbruch gelungen, spürt das Ensemble, fiel auch Kritiker_innen auf.Ein Durchbruch vom Dilettantischen im umgangssprachlichen Sinn («Nichtskönner») zum Dilettantischen im eigentlichen Wortsinn: zur Freude am Rollenspiel, zur Theaterleidenschaft. Großen Anteil daran hat der in St. Pölten lebende italienische Regisseur Massimo Rizzo. Er ist der einzige Nicht-Amateur des Fo-Abends. «Wir konnten uns erstmals eine professionelle Unterstützung leisten», erklärt Merten Gareiss. «Von dem Geld, das uns im Vorjahr als Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich zufloss, konnten wir den Regisseur honorieren.»

Dario Fo ist Nobelpreisträger, also gewissermaßen eine Autorität, mit deren Namen sich auch ein Stift schmücken kann. Aber es gibt keine Nobelpreisträgerin, keinen Nobelpreisträger, die/der die kirchliche Elite so verlacht wie Dario Fo, der kein moralisches Gefälle zwischen den Kirchenverantwortlichen auf der einen, den Mafiabossen und den Eliten des «offiziellen» Politik- und Wirtschaftslebens auf der anderen Seite erkennen kann.

Weiß eigentlich der Abt des Zisterzienser-Stiftes, welches Stück da unterm Gewölbe des Dormitoriums gegeben wird? Hat er den Wunsch des Christenmenschen wahrgenommen, lieber in den sinnlicheren Himmel der Muslime als in den unattraktiven engelswolkenkalten Himmel der Katholiken einzukehren? Hat er den Damenstrich im Dormitorium gesehen? Jene Linie zwischen Publikum und Bühne, auf der zwei Prostituierte stöckeln (der Herr Nachbar in der ersten Reihe wagt aus Rücksicht auf seine Gattin nicht, auf die stöckelnden Beine der Sexarbeiterin zu starren, die im realen Leben als Arztassistentin in Gareiss Ordination jobt), um den Theatervorhang auf- und zuziehen? Fragen eines auswärtigen Theaterbesuchers …

Achtmal wurde das Fo-Stück aufgeführt, achtmal ohne politische Beanstandungen. Allerdings wurden an keinem der acht Abende Patres des Stiftes im Publikum gesichtet, erklärt Gareiss. Ein demonstratives Fernbleiben? «Ich denke nicht«, antwortet der Herr Doktor. «Es sind halt schon alte Herren, die gern früh schlafen gehen.» Im Übrigen habe auch die Stadtgemeinde Zugriffsrecht auf das Dormitorium des Stiftes; einen anderen Ort, der Theateraufführungen erlaubt, gäbe es in Lilienfeld nicht.

Auf den Fo sei die Gruppe gekommen, weil man dem Publikum einerseits eine volle Ladung Humor bieten wollte, andrerseits keinerlei Anlässe zum Schenkelklopfen. Dafür sei das Theaterexperiment nicht gegründet worden. Tatsächlich, es wurde viel gelacht im Stift Lilienfeld an diesen Juni-Abenden, obgleich es wohl kein sehr renitentes Lachen war. In einer entpolitisierten Gesellschaft wie der österreichischen kann Dario Fos Plan, die Schauspieler_innen wieder in die Rolle des mittelalterlichen «giullare» zu versetzen, nur schwer aufgehen.

«Ich bin KEIN Gemäßigter!»


Der «giullare» ist der Spielmann, dem die Funktion zukommt, durch Geschichtenerzählen ein revolutionäres Bewusstsein zu schaffen und dieses Bewusstsein in der direkten Diskussion mit seinem Publikum zu vertiefen. Wer stünde in Lilienfeld und Umgebung zur Verfügung, der zu vertiefen verstünde?

Wer könnte mit Leichtigkeit den Irrtum auflösen, die italienischen Zustände, die in «Stiehl ein bisschen weniger» auf die Schaufel genommen werden, seien auf Italien beschränkt? In einer Region, in der als höchster politischer Wert gilt, gemäßigt zu sein, muss ein Künstler missverstanden werden, der mit dem Wahlspruch «Ich bin kein Gemäßigter» Bürgermeister von Mailand werden wollte.

Das naive Mädchen Enea um die Erzählung des Stückes anzudeuten arbeitet auf einem großstädtischen Friedhof, der von einem skrupellosen, aber minderbegabten Direktor geleitet wird. Nicht nur Schikanen des Direktors muss sie aushalten, sondern auch Gemeinheiten ihrer Kollegen. Als diese einmal mehr versuchen, ihr mit einer Geschichte über die bevorstehende Schließung des Friedhofs einen Bären aufzubinden, entpuppt sich dieser Totengräberschmäh als wahr und eingebettet in einen viel größeren Skandal um Bauspekulation und Bestechungsgelder, in den auch höchste politische Kreise verwickelt sind. Einer der Schauplätze der Erzählung ist das von katholischen Nonnen geleitete Irrenhaus; das erlaubt dem ironischsten aller italienischen Linksintellektuellen, die Demontage der Institution der Kirche mit der Infragestellung der Institution der Psychiatrie zu verbinden. «Unsere Empörung müssen wir hinausschreien», sagte Dario Fo kürzlich in einem Interview, und inzwischen findet er in Italien (wieder) eine Situation vor, in der dieser Schrei verstanden wird von einer breiten Bewegung, die sich selbst mit Vorliebe als Bewegung der Empörten bezeichnet; während zwischen Lilienfeld und Wien die Mehrheit der Bevölkerung eher über die kleinen Übertreter der Normen als über die großen Weltzerstörer empört zu sein scheint.

Viel gelacht in Stockholm


Als die «vielleicht höchste Gottesgabe» (hört, hört, Christ_innen aus dem Traisental!) bezeichnet Dario Fo «Ironie und die Selbstironie». Humor sei seine Waffe im politischen Kampf, den er (nicht nur) von der Theaterbühne aus führt. «Am meisten gefiel mir ein Satz, den man vor einigen Jahrzehnten auf vielen Mauern lesen konnte: Unser Gelächter wird euch begraben. Eine Einladung, die traurige Politikerklasse auszulachen und wegzufegen. Die religiöse und politische Macht lacht nie. Je absolutistischer und diktatorischer ein System ist, desto größer die Traurigkeit und Finsternis in seiner Umgebung. Wenn in einem solchen System ein Gelächter explodiert, entfaltet es die Kraft einer Bombe, die den ganzen Apparat des Terrors verreißt und die Menschen von ihrer Angst befreit.»

Auch als Dario Fo der Nobelpreis übergeben wurde, nahm er die Zeremonie nicht ganz ernst: «O ja, es war wirklich ein großer, schöner Spaß. Abgesehen von dem Vergnügen, dem Stolz und der Befriedigung danke ich den sympathischen schwedischen Akademiemitgliedern noch heute dafür, dass ich so wunderbar viel zu lachen hatte.»

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