Musik, Literatur und die Gebete zu Devla: Roma brachten Leben in den Dom
Eine große Feier des «Romavolkes» im Stephansdom erinnerte an den 8. April 1971, an dem Roma aus 35 Ländern in London die Plattform «Internationale Romani Union» gründeten, um mehr Rechte zu erreichen. «Die Jugendlichen können auch an Gott glauben, aber nur wer will, freiwillig», sagt Rabie Peri-Jasar.Es macht schon einen großen Unterschied im Erscheinungsbild: Während im Stephansdom normalerweise alte Leute ruhig in den Sitzen verharren, in Gebete versunken, wogen diesmal Gruppen von Jugendlichen hin und her. « denken über die katastrophalen Zustände in dieser Welt, in Japan sind die Menschen so schnell gestorben, dass sie nicht einmal Zeit hatten, sich zu verabschieden», hält Djurica Nikoli vom Verein «U.Inostranstvo / Im.Ausland» vorne eine Rede. Zum interreligiösen Gottesdienst anlässlich des Internationalen Roma-Tages am achten April sind Hunderte Jugendliche gekommen. Dunkle Lederjacken, enge Jeans, die Turnschuhe eines Jungen blinken auf dem rot-weißen Kachelboden. «Seit 2008 gibt es immer wieder Übergriffe auf Roma, Menschen wurden getötet » Ein Baby schreit und wird von der Mutter rausgetragen, der Vater läuft hinterher. «In Wirklichkeit sind wir die ältesten Europäer. Ich möchte alle darauf hinweisen, dass sie sich ihre Rechte nehmen. Wir arbeiten hier, und sie wollen uns unsere Rechte nehmen.»
Das ist das wirkliche Leben, das heute und hier in dieser riesigen Kirche stattfindet. «Ich bin froh, dass es autochthone Roma und eingewanderte Sinti und Roma gibt.» Applaus. Goldener Luster, steinerne Figuren, hohe Kerzen in Kerzenständer, Kinder sitzen links und rechts auf der Bühne. Rabie Peri-Jasar, Muttersprachen-Lehrerin und stellvertretende Vorsitzende des Vereins Romano Centro, berichtet vom Internationalen Roma-Frauen-Kongress in Barcelona: «350 Roma-Frauen waren da. Ich war so glücklich zu erleben, wie lebensfroh, freudig, mutig und stark die Roma-Frauen trotz all ihrer Schwierigkeiten geblieben sind.»
Das Programm enthält viele Punkte, die schnell aufeinanderfolgen. Eine Frau mit Goldschleier singt «Marov, Marov Brauchst nicht zu weinen.» Handy-Kameras leuchten über den Köpfen auf. Ein Mädchen erinnert an den vor kurzem verstorbenen, berühmten Roma-Dichter Ilija Jovanovi. «Schlaf, Kleines, schlaf, unser Leben dauert nur einen Sommer lang.» Dann liest sie: «Auf dem Friedhof versteckte sich mein Vater in einer Gruft. Um halb vier Uhr in der Früh kamen die SS-Leute. Tagsüber schlich er sich auf den Hof, in der Nacht versteckte er sich in der Gruft. Drei Monate ging das so.» Alle klatschen. Jemand pfeift, eine Frau wischt sich die Tränen ab. Eine neue Gruppe Jugendlicher kommt herein, Leben und Sterben gehören eben zusammen.
Noch nie und nirgends bin ich so aufgefallen, weil ich schreibe. Die Jugendlichen in der Kirchenbank hinter mir tippen mir auf die Schulter. «Was schreibst du da?» Dragan meint, der achte April wäre Internationaler Roma-Tag «wegen da Hitla». «Wir kriegen immer zu hören, dass wir den Mund halten sollen, das verletzt sehr», sagt Nataa neben ihm. Dann schreiben die beiden mir sorgfältig eine Liste von Schimpfwörtern in mein Heft, mit denen sie angeblich immer bedacht werden. Der Schalk blitzt ihnen aus den Augen.
Ob christlich oder muslimisch: Wir sagen «Devla»
«Das musst du schreiben», sagt Rabie Peri-Jasar, als sie mit der Hand auf dem Herzen ins Kaffeehaus gelaufen kommt. Sie vergaß ihre Tasche in der Straßenbahn, fuhr mit einem Taxi hinterher, stoppte die Straßenbahn und hat nun ihre Habseligkeiten wieder. «Schreib, dass wir froh sind, dass die Jugendlichen gekommen sind, wir haben uns Zeit genommen und bedanken uns alle, dass sich die Jugendlichen die Zeit genommen haben. Ohne Kinder und Jugendliche schaffma nicht!» Sie glaubt, dass die Jugendlichen so unruhig waren, weil sie als Zuschauer nicht mittanzen oder singen konnten auf der Bühne. «Alle Kinder sind bei Festen so!»
Die Idee für den interreligiösen Gottesdienst im Stephansdom hatte der ehemalige Caritas-Präsident, Generalvikar und Roma-Seelsorger Helmut Schüller in Maria Zell im August. Er lud alle Roma-Vereine ein. Drei Familien mit verschiedenen Religionen aus Rabies Haus machten beim interreligiösen Theaterstück «Glaubst du an Gott?» mit. Die Roma aus Polen vertraten den Katholizismus. «Meine mazedonischen Kinder», die ein arabisches Gebet auf Romanes sprachen», vertraten den Islam. Und vier Kinder eines blinden serbischen Vaters vertraten die orthodoxe Religion.
Sind die Jugendlichen gläubig? «Wir sagen Devla (Romanes-Wort fürt «Gott»), in jeder Religion. Viele Jugendliche tragen die orthodoxen Schutz-Armbänder mit den Heiligen und Maria sie glauben an Schutz, an Gott», erzählt Rabie, die auch den Vorwurf zu hören bekam, was sie als Muslimin im Stephansdom suche. «Jeder darf in die Kirche», antwortete sie.
In einer kleinen Roma-Demo, in einem langen Zug mit Hunderten Menschen, ging es nachher vom Stephansdom in den Arkadenhof, wo es weitere Aufführungen der Kinder aus der Volksschule Johnstraße, der kooperativen Mittelschule Selzergasse und dem SPZ Kröllgasse gab (Dank an Kollegin Anita Reiter von Rabie). Dicke Muskelprotze tanzen hüpfend, der Springbrunnen rauscht, der Wind bläst milde. Der Stephansdom schaut von oben herein in den Hof, die Menge wogt hin und her. «Dieses Suchen nach Einheit nennen wir Ökumene», hieß es vorher in der Kirche.
Info:
Spendenkonto für den blinden Mann, der sich die Augenoperation nicht leisten kann: Bank Austria, BLZ 12.000, Nr. 0067 1106 508, lautend auf Romano Centro.