Unsicherer Aufenthaltsstatus, leichte Ausbeutetun & lassen

Illustration: © Asuka Grün

Rechtlos auf der Arbeit, das darf eigentlich nicht sein. Und doch sind gerade Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, durch deren Arbeit die Bevölkerung mit wesentlichen Infrastrukturen versorgt werden kann, davon betroffen. Erneut kommt ein Skandal ans Licht.

 

98 Prozent aller Lohnabhängigen in Öster­reich sind laut Öster­reichischer Gewerkschaftsbund durch Kollektivverträge abgesichert. Doch ­diese Erzählung der ­funktionierenden ­Sozialpartnerschaft, die flächendeckend gute Arbeit für alle garantieren soll, hat längst Risse bekommen. Am 9. Mai ­wurde in den Räumlichkeiten der Wiener Arbeiterkammer das Ergebnis einer einjährigen Recherche vorgestellt. 200 Arbeiter:innen wurden demnach von einer inzwischen in die Insolvenz ­gegangenen Leiharbeitsfirma österreichweit massiv ausgebeutet. Betroffen sind großteils Asylsuchende mit irakischen Papieren.

Erpressbar, ausgebeutet

Anfang 2022 wandten sich rund 50 von ihnen an UNDOK, die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender. Die Leiterin ­eines Sprachkurses für Geflüchtete hatte den Kontakt hergestellt.
Asylsuchende sind am österreichischen Arbeitsmarkt besonders verwundbar. Sie sind sehr oft auf undokumentierte und formal selbstständige Arbeit angewiesen. «Doch damit landen sie oft in Arbeitsverhältnissen, in denen sie leicht erpressbar und einem höheren Risiko ausgesetzt sind, ausgebeutet zu werden», sagt Johanna Schlintl, juristische Beraterin bei UNDOK.
Im vorliegenden Fall war es die von einem Deutschen und einer Österreicherin betriebene Leiharbeitsfirma S.H.G. mit Sitz in Linz, die ­Asylsuchende dazu zwang, Gewerbeberechtigungen einzuholen und sich als selbstständig Erwerbstätige bei der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) zu versichern. Selbstständig ist in Österreich, wer sich seine Arbeitszeit frei einteilt, eigene Arbeits- und Betriebsmittel verwendet und sich in Form von Hono­raren bei seinen Auftraggeber:innen bezahlen lässt. Laut Darstellung von UNDOK, AK und Produktionsgewerkschaft PRO-GE, die in Zusammenarbeit die Betroffenen nun rechtlich unterstützen, war dies bei S.H.G. nicht der Fall. Den Betroffenen wurden fixe ­Arbeitszeiten vorgegeben, sie fuhren in Firmenwagen zu ihren ­Arbeitsplätzen und mussten an die S.H.G. Teile ihrer Löhne für Verpflegung und Unterbringung abgeben.

Viele Arbeiten, überall

Zu den Auftraggebern von S.H.G. zählen große Namen. Mit dabei sind Franchisenehmer:innen von Burger King, IQ Autohof, Betreibergesellschaften von Fußballstadien und Tankstellen sowie das Sicherheitsunternehmen Securitas. Ein anonymisierter Betroffener erzählt, wie der ­Arbeitsalltag im Auftrag von S.H.G. ablief. Die Tätigkeiten hätten immer wieder gewechselt: «Zum Beispiel als Koch, Kellner, in der Reinigung, Kasse, Tankstelle, Gartenarbeit.» Nicht nur die Tätigkeiten, sondern auch die Einsatzorte hätten immer wieder gewechselt: «Es gibt pro Woche einen Plan, und vielleicht hast du in der nächsten Woche einen anderen Plan, eine andere Zeit oder vielleicht eine andere Stadt, in Oberösterreich, in Niederösterreich, in der Steiermark, in Salzburg, überall in ganz Österreich.»
Die Liste der von UNDOK aufgezählten arbeitsrechtlichen Verstöße ist lang. Die Rede ist von überlangen ­Arbeitszeiten, nicht bezahlten Überstundenzuschlägen, Verletzung der Ruhe­zeiten und fehlenden Sonderzahlungen. «Bei einzelnen Arbeitnehmer:innen gibt es offene Lohnforderungen in Höhe von 25.000 Euro», sagt Schlintl. «Wurden Arbeitnehmer:innen krank oder wollten Urlaub, wurde sofort mit Kündigung ­gedroht.» Inzwischen hat die Österreichische Gesundheitskasse im Rahmen einer Überprüfung festgestellt, dass die 200 Betroffenen bei S.H.G. scheinselbstständig angestellt waren. Die Staatsanwaltschaft Linz ermittelt wegen zahlreicher Delikte, unter anderem wegen des Vorwurfs des Menschenhandels.

Haftung

S.H.G. habe inzwischen Insol­venz angemeldet, berichtet Ludwig Dvořák von der Rechtsschutzabteilung der AK Wien. 50 der Betroffenen hätten inzwischen mit Unterstützung von AK und PRO-GE Ansprüche beim ­Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) geltend gemacht. Dieser aus Arbeitgeber:innen-Beiträgen finanzierte Fonds springt ein, wenn ein Unternehmen Pleite geht, und begleicht die ausstehende ­Löhne. Dvořák sieht hier einen «unzumutbaren ­Zustand». S.H.G. habe mit Dumpinglöhnen operiert. Unternehmen wie Burger King oder Securitas hätten die ­Dienste von S.H.G. aufgrund dieser ­Dumpinglöhne in Anspruch genommen, um Profitmargen zu erweitern. Die Kosten dafür müsse nun über den IEF die Allgemeinheit tragen.
Fünf weitere Betroffene, deren ausstehende Löhne länger als sechs Monate vor der Firmeninsolvenz zurückliegen, werden derzeit auch von der AK unterstützt, so Dvořák. Bei ihnen sei ein Einspringen des IEF zweifelhaft. Deshalb nimmt die AK nun jene Unternehmen in die Pflicht, bei denen die Betroffenen eingesetzt worden seien. «Wir haben sie aufgefordert, eine Haftungserklärung für die ausstehenden Löhne abzugeben», sagt Dvořák. «Wir werden gegen alle Beschäftiger vorgehen, wo eine Haftungserklärung nicht abgegeben wird.» Einige Unternehmen seien dem inzwischen auch nachgekommen.
Insgesamt handelt es sich auch bei dem vorliegenden Skandal nur um eine Spitze des Eisberges. In den vergangenen Jahren kamen in Österreich immer wieder Berichte über die Ausbeutung undokumentiert und scheinselbstständig tätiger Lohnabhängiger in dubiosen Leiharbeitsfirmen ans Licht, die oft genau dann Insolvenz anmeldeten, wenn ausstehende Löhne beansprucht wurden. Deshalb brauche es eine Erstauftraggeber:innen-Haftung für Löhne, meint Dvořák: «Nur dann verlieren solche Ausbeutungsmethoden ihren wirtschaftlichen Reiz.»
Aus Sicht der Anlaufstelle UNDOK braucht es zusätzlich ein Recht auf Aufenthaltssicherheit für Betroffene von ausbeuterischen Praktiken, mindestens während arbeits- und sozialrechtlicher Verfahren. Nur so sei es für Betroffene möglich, sich auch wirklich zu wehren, sagt UNDOK-Sprecherin Vina Yun. «Andernfalls haben wir die Situation, dass der Staat durch fremdenrechtliche Regelungen ausbeuterische Arbeitgeber:innen ­indirekt ­bestärkt.»

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