Jeden Dienstag können im Meidlinger Theresienbad Menschen mit Behinderung abtauchen.
TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTOS: CAROLINA FRANK
Wenn man sich vergnügen will, muss man nach Meidling fahren. Das war zumindest im 19. Jahrhundert der Fall, als mit dem Amüsieretablissement Tivoli, dem Meidlinger Theater und zwei Thermenbädern ein regelrechtes Entertainment- und Wellness-Cluster im Zwölften existierte. Übrig geblieben ist das Theresienbad, an dessen Standort in Untermeidling schon die Römer in schwefelhaltigen Quellen gechillt haben sollen. Heute ist es ein städtisches Kombi-Bad, mit Außen- und Hallen-, Sommer- bis Winterbetrieb. Am Dienstag nach Badeschluss kehrt meditative Ruhe rund um das Becken ein, das nun für zwei Stunden Wassersportler:innen mit besonderen Bedürfnissen gehört. Die eine Hälfte der Wasserfläche ist für Schwimmvereine für Blinde und Sehbehinderte reserviert, die zweite Hälfte des bis zu dreieinhalb Meter tiefen Bassins wird vom RRTC bespielt. Obwohl man den manchmal gar nicht sieht.
RRTC steht für Recreation Rehabilitation Tauchclub, und der Verein betreibt Handicap-Tauchen. Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung sporteln gemeinsam mit einem Tauchlehrer oder einem Begleittaucher im Wasser. Ja, das geht, und ja, das gibt es auch in Wien, im internationalen Vergleich sogar schon ziemlich lange. Der RRTC wurde 1988 gegründet, «von engagierten Tauchern, die Freunde hatten, die im Wagerl gesessen sind. Und die haben sie ins Wasser mitgenommen». So schildert Hans, mittlerweile Ex-Obmann des Vereins, die Anfänge. Er ist seit 1991 dabei und über die Klosterneuburger Rehaklinik Weißer Hof zum RRTC gekommen. «Eine Krankenschwester hat mir davon erzählt, dass da Leute mit Rollstuhlfahrern tauchen gehen. Ob das nichts für mich wäre? Da habe ich mir gleich gedacht: Das schaue ich mir an. Wasser war schon immer ein Element, das mir taugt.» Damals habe es aber noch keinen Lift im Theresienbad gegeben, er musste immer über die Stiege «raufgezaht» werden. Man sollte an dieser Stelle erwähnen, dass mit dem Tauchen ein gewisser Aufwand verbunden ist. Der Anzug, der individuell an die Körper angepasst werden muss, ist ein Kostenpunkt. Weiteres Equipment kann zwar teilweise ausgeborgt werden, ist aber mitunter schwer und umständlich anzulegen. Man muss den Tauchschein machen, eventuell noch Reisen zu Seen, zum Meer, auf ein Boot. Wieso nimmt man das alles auf sich? «Wenn du im Wagerl sitzt und kannst die Beine nicht bewegen und dann schwebst du auf einmal schwerelos im Wasser … das ist halt schon ein Punkt», stellt Hans klar.
Familiäre Atmosphäre.
Der aktuelle Obmann Walter ist ebenfalls über den Weißen Hof zum RRTC gekommen. Im Vergleich zu Hans ist er ein ruhiger Typ, er überlässt dem Ehemaligen meist das Wort. Sie sind alle ehrenamtlich dabei, Aufwandsentschädigungen gibt es keine. «Für so was hat der Verein nichts. Dann können wir am 2. Jänner zudrehen», lacht Hans. Walter macht sich für einen Tauchgang bereit und beschreibt den rehabilitativen Charakter des Tauchens. «Du musst dich schon fit halten, wenn du unterwasserschwimmen willst. Und das vielleicht auch noch im Meer.» Tauchlehrer Markus hilft Walter bei den Vorbereitungen, reicht Sauerstoffflasche und weiteres Equipment. Markus ist der Neffe von Hans und vielleicht ist das mit ein Grund, wieso fast familiäre Atmosphäre im Bad herrscht. So stelle er sich Inklusion vor, sagt Markus. «Die gehen mit uns mit, so als hätten sie keine Behinderung. Klar, wir unterstützen sie, wir helfen ihnen, aber im Prinzip sind wir alle Taucher, und wir machen alle das Gleiche.» Man sollte schwimmen können, man sollte Wasser mögen und über allem thront ein tauchärztliches Attest, das festlegt, wie tauchfit jemand ist. «Wenn es heißt: nur bis auf 5 Meter, dann machen wir den Schein für 5 Meter. Beim Handicap-Tauchen muss man den Unterricht ohnehin immer individuell anpassen», gibt sich Markus pragmatisch.
Wenn er sich etwas für den Verein wünschen würde, dann wäre das ein zweiter Tauchlehrer oder eine -lehrerin, «die sich bei uns melden, weil er oder sie sich das auch vorstellen kann. Dann würden wir mehr Kurse gleichzeitig anbieten können. Aber wir sind ein kleiner Verein, und wir müssen auch nicht größer werden.»
Tauch-Buddy Giorgios ist schon seit dreißig Jahren beim RRTC und war vor wenigen Wochen noch in Griechenland. Ist das jetzt nicht langweilig, statt im Meer in einem Hallenbad zu tauchen? «Wasser ist Wasser. Aber beim Handicap-Tauchen sammelt man jedes Mal neue Erfahrungen.» Auch nach all den Jahren kann er sich noch an den Reaktionen der Kursteilnehmer:innen erfreuen. «Was wir hier im Verein schon erleben durften, das war unbeschreiblich!» Giorgios strahlt beinahe missionarischen Eifer aus. Er findet, alle sollten wissen, dass es den RRTC gibt und egal ob man querschnittgelähmt, sehbehindert oder gehörlos ist, man sollte sich zum Schnuppern anmelden und schauen, ob es einem gefällt. «Leider habe ich die SMS nicht mehr, die du mir nach dem ersten Tauchgang geschickt hast», ruft Giorgios noch Martin zu, bevor er sich wieder ins Wasser verabschiedet.
Gemeinsam selbstständig.
Die Bandscheibe hält Martin derzeit vom Tauchen ab. Er sei nur zum Plaudern gekommen, obwohl er während unseres Gesprächs mehrmals mit dem Gedanken spielt, doch kurz reinzugehen. «Alleine das Gefühl unter Wasser, das Austariertsein, das veränderte Hören, das ist ein irrsinniges Erlebnis. Und ich habe ein Restsehvermögen, also es ist nicht so, dass ich gar nichts sehe. Vor ein paar Monaten bin ich mit meinem Tauch-Buddy den Fischen nachgeschwommen.» Er betreibe schon gern Sport, früher gern Alpinskifahren oder vor der Arbeit ein paar Runden Eislaufen. Die Atmosphäre beim RRTC ist aber etwas Besonderes. «Sämtliche Bedenken wurden mir gleich genommen, weil die Taucher so locker drauf sind. Für Giorgios und Markus scheint einfach nichts ein Problem zu sein.» Martin erzählt von den elementaren Übungen, die man auch im flachen Wasser trainieren kann, wie man sich im Wasser austarieren muss, die Handhabung von Tauchmaske und Lungenautomat, die man aus dem Effeff beherrschen sollte. Ebenso die grundlegenden Handzeichen für die Kommunikation unter Wasser. Bei ihm sieht das wieder etwas anders aus, denn er kann auf diese Weise lediglich antworten. Will man ihn unter Wasser «ansprechen», muss man mit leichten Drucksignalen arbeiten.
«Im Pool selbstständig zu sein und entscheiden zu können, wo es hingeht, das gefällt mir besonders. So gut es geht das Leben selbst in die Hand zu nehmen, das war mir im Leben immer schon wichtig.» Das sagt Martin, aber das ist vielleicht die eine Eigenschaft, die alle Taucher:innen gemeinsam haben. Webmaster Thomas, der die meiste Zeit im Wasser ist, kann sich außerdem noch für Schwimmen, Bogensport, Tischtennis und Modellbau begeistern. Dazu klagt er über die Fülle an Spam-Mails, mit denen man sich heutzutage auseinandersetzen muss.
Elisabeth, die von allen Elli genannt wird, taucht am liebsten in der Apnoe-Technik, also ohne Atemgerät. Sie ist gehörlos, ein Handicap, das sich im Wasser fast auflöst. «Es ist wunderschön, dass unter Wasser alle Menschen gleich sind. Und dass alle mit Handzeichen kommunizieren. Das fällt mir natürlich leicht, ich könnte mit den Händen sogar Geschichten erzählen.» Sie findet es angenehm, in Gegenwart der anderen, aber dennoch allein und selbstständig ihre Runden zu drehen, ohne den Trubel und die Unruhe während der normalen Öffnungszeiten. Wenngleich ihr die Kommunikation in einer größeren Runde nicht leichtfällt, lässt sie sich auch hin und wieder überreden, nach dem Bad auf ein «Dekompressions-Bier» mitzugehen, wie man in der Szene sagt. Ein runder Abschluss für diesen netten Abend. Auch ich lasse mich zu einem Deko-Bier hinreißen, bei dem noch ausgiebig gefachsimpelt und Taucher:innen-Latein ausgetauscht wird.