Urban nisten: die Stadttaubenvorstadt

Sie streifen durch die Straßen, werden mehr gehasst als geliebt. Ab und zu markieren sie Objekte und Menschen mit einem Gackerl: die Wiener Stadttauben. Stefan Pscheider (Text) und Nina Strasser (Fotos) hefteten sich an ihre «Fersen».

Morgens an der Technischen Universität Wien.

Unzählige Studierende begeben sich in die Lernräume, um sich auf die bevorstehenden Prüfungen vorzubereiten. Auch Stadttaube Frieda macht es sich auf ihrem geliebten Fensterbrettchen bequem und wirft einen Blick auf ihre Namensgeberin: Architekturstudentin Emine, welche sich wie Frieda immer denselben Platz zum Lernen aussucht. Es entstand eine ungewöhnliche Freundschaft unter den «Sitznachbarinnen». «Wenn mein Kopf vor lauter Lernen anfängt zu glühen, dann beobachte ich Frieda einfach gerne. Sie ist oft da, kommt circa um zehn Uhr zugeflogen und bleibt meistens ein paar Stunden an der Fensterbank. Es gibt aber auch Tage, an denen sie vor mir da ist», so Emine.
So wie Frieda ist auch jede andere Taube in Wien standorttreu – und verlässt das ihr bekannte Revier dementsprechend nicht. Stadttauben stammen ursprünglich von der Felsentaube ab und haben sich als geflüchtete Haustiere in den Großstädten verbreitet. Hier fühlen sie sich wohl, und durch die Präsenz des Menschen finden sie unter anderem Schutz vor Greifvögeln. Die Gebäude-Fassaden etlicher Wohnhäuser und Kirchen erinnern die Taube an Felswände und werden als Nist- und Brutplätze genutzt. Das liegt unter anderem daran, dass Tauben, laut Tierärztin Caroline Häbich, Kulturfolger sind und sich ihrer Umgebung anpassen. Im Laufe der Zeit haben sich Tauben an so einiges angepasst – für sie selbst oft nicht von Vorteil.

Zuerst essen, dann scheißen.

Bei einem Spaziergang durch die Stadt kann es vorkommen, dass man einer Stadttaube während ihres routinemäßigen Stuhlgangs in die Quere kommt. Der Kot kann dann schon mal die Kleidung treffen. Ein ärgerliches Erlebnis. Ist der Betroffene jedoch positiv gestimmt und trägt ein Fünkchen Aberglaube in sich, verheißt diese Begegnung bekanntlich Glück für die Zukunft. Bei der Taube, deren «Segen» den einen oder die andere getroffen hat, kann der Dank allerdings nicht mehr ausgesprochen werden. Dieser Vogel wird bei einer Anzahl von über 150.000 Stadttauben nicht mehr wiederzufinden sein. Es gibt aber andere Wege, um Dankbarkeit auszudrücken. Vielleicht Tauben füttern im Park? Personen, deren Begeisterung für Tauben gedämpft ist, würden Georg Kreisler gerne zu wörtlich nehmen und die Semmel voller Eifer mit Arsen beträufeln. Aber auch ohne Gift wird der Taube laut Häbich mit der Fütterung kein Gefallen getan. «Das ist zwar lieb gemeint, und es muss auch wertgeschätzt werden, dass der Wunsch da ist, den Tieren zu helfen, aber es sollte gerichtet sein. Auf lange Sicht gesehen, wird ein Vermehrungszyklus in Gang gesetzt. Denn Tauben sind genetisch so programmiert: viel Futter, viel Reproduktion. Wir haben genug Tauben, wir brauchen nicht mehr», so die Expertin. Die Anpassung der Taube an die Großstadt macht sich auch an der Ernährung sichtbar. Auf dem Speiseplan der Stadttaube sind Körner und Getreide selten vorzufinden, dafür Pommes und Zigarettenstummel umso mehr. Hauptsache, der Magen füllt sich. Häbich weist auf eine klare Unterversorgung der Taube hin, was Calcium und Vitamin A betrifft. «Aber dies in der Stadt, also in einem offenen System zu beeinflussen, ist schwierig», erläutert die Tierärztin weiter. Auch Christian Fellner, Mitarbeiter der Tierschutz-Ombudsstelle in Wien, sieht in der Fütterung von Tauben ein großes Problem: «Tauben wären in der Lage, Futter für sich selbst zu finden. Es sind genügend Grünflächen in Wien vorhanden. Weil die Tauben gefüttert werden, gehen sie nicht auf Nahrungssuche. Jungtiere lernen den Vorgang der Futtersuche dementsprechend nicht und sind auf die Fütterer angewiesen», berichtet Fellner.

«Falsche» Eier.

Ein Lösungsansatz ist der Taubenschlag, welcher in Meidling seit 2010 vorzufinden ist. An diesem Platz werden Tauben gezielt gefüttert und ihre Eier mit Attrappen ausgetauscht. So konnten laut Fellner in den letzten Jahren 2500 Eier ausgetauscht werden. Bei diesem Vorgang werden die bereits befruchteten Eier durch Gips-Eier ersetzt. Dies erfolgt im ersten Drittel des Brutvorganges. Die Tauben brüten an den «falschen» Eiern oft ein paar Tage länger, bis sie sich die nächste Nische zum Eierlegen aussuchen. Durch das regelmäßige Abtasten der Gips-Eier können die Pfleger_innen anhand der Wärme der Eier erkennen, an welchen Brutplätzen noch genistet wird oder welche Brutplätze entfernt werden können, um Platz zu schaffen für neue Brutplätze. Taubenschläge sind aber keine Lösung für die gesamte Stadt Wien. Dafür würde man 1000 Taubenschläge benötigen, und dies funktioniert ohnehin nicht, solange Tauben weiterhin gefüttert werden. Fellner gelangte zu der Erkenntnis, dass Taubenschläge bei Massenbrutplätzen zur Lösung beitragen. Durch die hohe Population der Tauben verringert sich die Anzahl der Nistmöglichkeiten, und an vereinzelten Orten Wiens, wo das Futterangebot durch Fütterung besonders hoch ist, entstehen sogenannte Massenbrutplätze. An diesen Orten sind Brutplätze derart aneinandergereiht, dass einige Jungtiere eingequetscht werden und elendig zugrunde gehen. Auch die hygienischen Umstände sind an diesen Plätzen katastrophal. Die Schließung dieser Massenbrutplätze schafft demnach die Möglichkeit für die Entstehung eines Taubenschlags, da die Tauben den Platz nicht verlassen. So wird die Brut gerichtet und die Neugeborenen müssen nicht unnötig leiden.

Weg mit dem Dreck.

Die Verschmutzung durch den Kot der Taube stellt in Wien ein Problem dar, welches den Hass auf das Tier schürt. Gefährlich für den Menschen ist der Taubenkot laut Universitätsprofessorin und Tierärztin Alexandra Scope aber kaum. «Tauben werden immer verteufelt, dass sie so viele Krankheiten hätten, aber in Wahrheit haben sie nicht mehr Krankheiten als andere Lebewesen. Menschenkot wäre zum Beispiel gefährlicher», so die Expertin. Häuft sich der Taubenkot, ist eine Beseitigung aus gesundheitlichen Gründen und auf professionellem Wege allerdings notwendig.
Jährlich produziert eine Taube laut Reinigungsfirma Blitz Blank circa 13 Kilo an Exkrementen. Verantwortlich für die Beseitigung von Taubenkot sind die Hausbesitzer_innen. Die Kosten fallen in die «Unratsabfuhr» und werden in den Betriebskosten der Mietenden aufgelistet. Die MA 48 ist lediglich für die Beseitigung des Taubenkots auf Fahrbahnen zuständig.
Laut Hermann Heindl, Mitglied des Pfarrgemeinderats Muthmannsdorf-Maiersdorf, variiert der Preis für das Entfernen von Taubenkot je nach Menge, Behaftung und der Dauer der Beseitigung. In Wiener Neustadt kostete die Beseitigung von zwölf Tonnen Taubenkot einer Kirche vor mehreren Jahren circa 35.000 Euro. Die Reinigungskräfte waren zwei Wochen lang beschäftigt. «Das muss auch nicht so oft gemacht werden. Man sträubt sich auch sehr gerne davor, weil die Kosten ja ziemlich hoch sind», berichtet Heindl. Er erinnert sich zusätzlich an die Reinigung einer Kirche im 15. Bezirk vor fünf Jahren. Die Kosten betrugen circa 6.000 Euro.
Die Hausverwaltung Wiener Wohnen spricht von Glück, weil es für sie bisher noch nicht notwendig war, eine Putzfirma für die Reinigung von Taubenkot zu beauftragen. «Das machen die Hausbesorger selbst. Denen ist es relativ wurscht, ob sie jetzt fünf Zigarettenstummel oder ein paar Haufen Taubenmist wegmachen», berichtet Pressesprecher Markus Leitgeb.
Blitz Blank ist unter anderem für die Beseitigung von Taubenkot in Gebäuden zuständig und hat für die Säuberung folgenden Tipp parat: «Um eine Stelle von einem einzelnen Stück Taubenkot zu befreien, kann man diese, wenn es das Material des Untergrunds verträgt, mit heißem Wasser, leichtem Abkratzen, etwas Essig als Hausmittel und Wasser zum Nachspülen selbst hygienisch reinigen. Sind Gebäude bereits aber stärker durch Taubenkot verschmutzt, ist eine gründliche Entwesung, Reinigung und Desinfektion essenziell – diese sollte keinesfalls selbst durchgeführt werden.»

Mission Flakturm.

Von einem weiteren Beispiel berichtet die Taubenabwehr und Schädlingsbekämpfung Ab die Taube. Diese bekam im Oktober 2017 den Auftrag, eine Etage eines in Wien stehenden Flakturmes vom Taubenkot zu befreien. Insgesamt waren fünf Personen zwei Tage lang mit der Beseitigung beschäftigt. «Zwei Tonnen Taubenmist wurden in mehreren Big Bags gesammelt und mit dem Kran runtergehoben. Anschließend wurden noch Spikes angebracht», erzählt der Geschäftsführer Alexander Mader. Spikes sind dünne Stahlstäbe, eine von vielen Methoden, die für die Taubenabwehr herangezogen werden. Andere wären Netze oder elektronische Abwehrmethoden, welche Mader auf Balkonen, Dächern oder anderen Oberflächen, an denen sich Tauben niederlassen, anbringt. Taubenabwehr soll die Taube verscheuchen, aber diese nicht verletzen. Szenarien, bei denen die Taube von den Spikes aufgespießt wird, sind laut Mader Unfälle oder Verschulden durch andere Vögel, wie zum Beispiel dem Neuntöter, der seine Beute für gewöhnlich auf Dornen aufspießt. Allerdings sind laut Fellner schon junge Tauben um einiges größer als Neuntöter und deshalb für diesen unmöglich zu transportieren.
Tauben sind keine seltenen Patienten in der Tierarztpraxis. Oft handelt es sich laut Scope um offene Wunden, die durch Spikes entstanden sind, aber auch andere Beschwerden wie Schnüre oder Drähte, die sich an den Füßchen der Taube verheddert haben. Die Tauben leiden dementsprechend sehr lange an Schmerzen, weil die Zehen langsam absterben. Scope erzählt von Ausflügen an Plätze, wo sich viele Tauben befinden. «Wir haben solche eingesammelt, an denen Schnüre von den Beinen weghingen und haben diese Tauben ärztlich versorgt.» Viele der Vögel, um die sich Scope kümmerte, wollten gar nicht mehr weg, weil sie sich rasch an den Ort gewöhnt hatten.

Wildtier-Hotline.

Wenn man eine verletzte Taube in Wien findet, muss man sich laut Tiermedizinerin Häbich der finanziellen Verantwortung bewusst sein. Man sollte das Tier so schnell wie möglich zum Arzt bringen, weil man selber nicht viel dazu beitragen kann, dem Tier zu helfen. «Es geht immer um das Beenden von Leid», erklärt sie. Da tierärztliche Hilfe mit hohen Kosten verbunden ist, kommt es öfters vor, dass Personen gefundene, verletzte Tauben vor die Praxis stellen, nett verpackt im Karton. Die Stadt Wien stellt deshalb seit Jahresbeginn eine Wildtier-Hotline zur Verfügung, bei der auch Tauben gemeldet werden können.
Tauben fühlen sich in der Stadt wohl und werden diese auch nicht verlassen. Der Mensch kann ihnen laut Expert_innenmeinung behilflich sein, indem er sie nicht füttert. Ein respektvolles Miteinander, wie Frieda und Emine es in der Bibliothek pflegen, ist ein Schritt in eine Richtung, von der alle Parteien profitieren können. Auch wenn der Taubenkot einmal die Schulter streift, meinen es die Tauben sicher nicht böse. 

Wildtier-Hotline
(01) 4000-49090 (täglich von 7.30 bis 22 Uhr)
Oder per E-Mail unter: wildtiere@ma49.wien.gv.at