Urlaubspost vom Hietzinger KaiDichter Innenteil

„Radio Stimme“, die Sendung der NGO Initiative Minderheiten auf Orange 94.0, brachte im Sommerprogramm eine Kurzserie mit dem Titel Urlaubspost“. Dort wurde Reisepost von RedakteurInnen zu unterschiedlichen Destinationen vorgelesen Berichte über ferne Länder, aber auch über ein befremdliches Amt mit der Anschrift Hietzinger Kai 139 aus der Feder eines arbeitslosen Wissenschafters.Nein, warten musste ich nicht lange. Die Nummer war aus einem Automaten zu ziehen, so wie früher in der Wurstabteilung vom Meindl oder als der Reisepass noch bei der Polizei abzuholen war. Und sie war überraschend schnell an der Reihe. Möglicherweise auch wegen eines ausgeklügelten Systems die Zuordnung zu einer bestimmten Sachbearbeiterin oder einem Sachbearbeiter erfolgt nicht etwa alphabetisch nach Familienname, sondern nach dem Geburtstag: meiner ist an einem 12., daher darf ich mit meiner Nummer vor der Tür zu Zimmer 208 warten. Man erkennt, hier hat man es mit Profis im Warten zu tun.

Aber auch ich bin ein solcher Profi im Warten und hab mich mit Zeitung, Buch und iPod ausgestattet Utensilien, die man beim Besuch der österreichischen Bürokratie eigentlich immer mit dabei haben sollte, wie ich meine. Aber wie gesagt, alles nicht notwendig gewesen. Ich war nicht einmal auf der Inlandsseite, als meine Nummer mit einem Summerton in Begleitung auf dem digitalen roten Display aufleuchtete.

Wird wohl am Bezirk liegen. Im schönen Hietzing, dem Nobelbezirk von Wien, wo angeblich die Hofratswitwen wohnen und das sonore Schönbrunnerdeutsch gepflegt wird, hat das Arbeitsmarktservice, wie das frühere Arbeitsamt euphemistisch und bürokratieentstaubt ja schon seit langem heißt, scheinbar nicht ganz so viel zu tun. Das Gros der 230.000 Arbeitslosen wartet diesen Sommer mit der Nummer in der Hand wahrscheinlich eher in Simmering, Favoriten oder Meidling.

Meine Urlaubspost kommt heuer also vom Hietzinger Kai 139. Denn der 13. und der 14. Bezirk, in dem ich wohne, teilen sich nicht nur den Wienfluß und das Bezirksamt, sondern auch das Arbeitsamt. Und dort werde ich heuer meinen Sommer verbringen.

Das erste Mal zum AMS ist wie der Weg in den Sex-Shop. Es ist unangenehm und peinlich. Man fühlt sich beobachtet, vorm Eingang will man besser nicht gesehen werden. Jeder weiß, warum man hierher kommt und was man hier will. Und man hat den Eindruck, das ist nicht ganz anständig. Schon in der U-Bahn glaubst du, die Leute sehen es dir an und wissen, wo du gerade hinfährst. Du selbst glaubst, du siehst es den anderen an, wo sie gerade hinfahren und dass sie gleich mit dir selbst bei der nächsten Station aussteigen werden. Du siehst den anderen am besten nicht in die Augen, es könnte ihnen genauso unangenehm sein wie dir selbst.

Schon interessant. So also funktioniert soziale Stigmatisierung. Du selbst verstehst dich als aufgeklärt und sozial engagiert. Setzt dich ein gegen den Abbau des Wohlfahrtsstaates und für soziale Umverteilung. Die viel bemühte soziale Hängematte, die schon lange ein löchriges Netz geworden ist, hältst du für populistischen, rechtskonservativen Zynismus. Du weißt, du hast jedes Recht auf diese Unterstützung eine Versicherungsleistung, für die du die letzten Jahre auch Beitragszahlungen geleistet hast. Und dennoch irgendwie fühlt sich das Ganze seltsam an und drückt auf den Magen.

Du hast ein abgeschlossenes Studium. Dass die befristete Anstellung auslief, kam alles andere als überraschend. Und der neue Job ist eh schon so gut wie in der Tasche. Du hast nicht wirklich Grund, dir Sorgen zu machen, und siehst dich als kurzzeit-arbeitsloser Akademiker bei den Privilegierten unter den üblichen KundInnen des AMS.

Das Gefühl bleibt.

Du glaubst, du kannst dir zumindest ansatzweise vorstellen, was Arbeitslosigkeit bedeutet, wenn sie unerwartet daherkommt und keine Aussicht auf ein rasches Ende besteht. Gut, ein paar gratulieren dir sogar es sind die Prekariats-Profis. Sie wissen, dass es im Zeitalter der prekarisierten Arbeitsverhältnisse schon lange ein Privileg ist, Arbeitslosengeld zu kassieren. Für sie ist es eine Art Verlängerung des Stipendiums auf reduziertem Niveau.

Aber es gibt auch die anderen. Bei ihnen glaubt man schnell, ein hämisches Grinsen oder einen abschätzigen Blick auf ihren Gesichtern zu entdecken. Ja ja, wer weiß wahrscheinlich alles nur Einbildung , aber eines ist gewiss: So schnell hat noch kein Party-Smalltalk geendet. Wenn auf die Standard-Frage Und, was machst du? die Antwort kommt Ich bin arbeitslos, dann ist das ein wahrer Kommunikationskiller. Man lernt: In Zukunft braucht es ein besseres Wording für die aktuelle Kurz-Bio.

Der erste Besuch bei meinen neuen FreundInnen vom AMS, deren Job ab nun meine Karriere sein sollte, ist kurz. Nach fünf Minuten hat man mich mit einem mehrseitigen Formular wieder nach Hause geschickt. Morgen darf ich ausgefüllt damit wieder vorbeikommen. Den Antrag am selben Tag einreichen? das geht nicht. Die Frage wird mit einem ehrlich erstaunten Blick quittiert.

Man geht hier einfach davon aus, dass du Zeit hast. Jede Menge Zeit. Zumindest das merkt man sofort. Nach dem Krankenstand wieder gesund melden? Bitte persönlich vorbeikommen. Aus dem Urlaub wieder zurückmelden? Bitte persönlich vorbeikommen. Und natürlich: neuen Job gefunden? Persönlich vorbeikommen. Termine werden nicht vereinbart, sie werden vergeben. Du hast einfach Zeit zu haben, wird einem unmissverständlich beschieden. Der Blick in den eigenen Terminkalender wird erst gar nicht abgewartet. Ihr nächster Termin ist am 30. Juli. Sprachs, und schon stand er da, auf der schicken Terminkarte. Was solltest du auch anderes vorhaben? Außer einem Vorstellungstermin oder einem schon vereinbarten Termin bei Arzt oder Ärztin gibt es für Arbeitslose, ich meine Arbeitssuchende, einfach keinen legitimen Grund, nicht für das AMS Zeit zu haben. Ich spreche da durchaus aus eigner Erfahrung: der Hinweis auf eine seit langem geplante Studienexkursion ins Ausland wird zwar mit Interesse entgegengenommen, er führt auch zur gewünschten Verschiebung des Termins. Umgehend aber auch gleich zur weniger gewünschten Streichung des Tagsatzes für die entsprechenden zwei Wochen. Man lernt: Urlaub heißt in der Welt des AMS eindeutig etwas anderes als bisher gewohnt. Er ist zwar möglich, aber noch lange nicht bezahlt. Und als Ausbildungsmaßnahme will man eine Reise schon gar nicht gelten lassen Uni hin oder her.

Wer im Ausland ist, ist eben für den Arbeitsmarkt nicht verfügbar. Kann ja gut sein, dass genau in diesen zwei Wochen das Job-Offer schlechthin hereinkommt. Und dann? Na ja, und dann, möchte man antworten, könnte man davon immer noch per Mobiltelefon oder E-Mail erfahren und sich rechtzeitig bewerben. Irgendwie kommt einem das alles nicht mehr ganz so zeitgemäß vor. Der ganze Fetisch um den Aufenthalt im Ausland ist nicht wirklich nachvollziehbar. Wer schließlich im Land verreist, hat kein Problem. Ich kann mich also ruhigen Gewissens und ohne es zu melden, in den Zug setzen und in Salzburg für eine Stelle vorsprechen. Aber wehe, wehe, ich fahre mit demselben Zug nur zwei Stationen weiter und steige erst in München aus! Freier Verkehr der Arbeitskräfte im Gemeinsamen Markt hin oder her ob ich für diesen Tag dann mein Taschengeld bekomme oder nicht, darüber muss erst eine Kommission beraten und entscheiden. Man lernt: Der nächste Grenzübertritt muss besser geplant und besser verheimlicht werden.

Bis zu meinem ersten Besuch beim AMS war es nur eine vage Ahnung, eine Vermutung, aus Vorurteilen gespeist: Sie werden nicht viel für dich tun können. Eine Vermutung allerdings, die sich bei meinem zweiten Besuch verhärtet und schließlich beim dritten zur absoluten Gewissheit wird. In der Hand das ausgefüllte, seitenlange Formular, das meine bisherige Ausbildung und den beruflichen Werdegang der letzten Jahre dokumentiert, sitzen wir gemeinsam vor dem Computer und starren auf den Bildschirm. Ernsthaft angestrengt bemühen wir uns, meine bisherige Karriere in das standardisierte Formular zu pressen. Einen Wissenschaftlichen Mitarbeiter will das Drop-down-Menü nur leider nicht zur Auswahl anbieten. Nach langem Suchen nähern wir uns mit dem Wissenschaftlichen Assistenten an meine bisherige berufliche Tätigkeit an. Wessen Assistent ich die letzten drei Jahre gewesen sein soll, bleibt aber dahingestellt. Was solls: Zumindest meine Betreuerin wirkt zufrieden. Man ahnt: Wer nicht so schöne, klare Berufe wie Schlosser, Tischlerin oder Sekretär angeben kann, hat ein Problem, sich in diesem Formular wiederzufinden. Mehr stutzig macht mich aber, als mich mein freundliches Gegenüber schließlich fragt, ob wir sie sagte tatsächlich wir (!) ob wir auch eine Stelle als Lektor suchen. Ich bejahe. Wie viele österreichische Universitäten tatsächlich ihre externen LektorInnen über das AMS rekrutieren, würde mich aber tatsächlich einmal interessieren. Ich nehme mir vor, diesbezüglich bei nächster Gelegenheit bei der Studienprogrammleitung nachzufragen.

Was für ein Wissenschafter sind Sie?

Die absolute Gewissheit über die Hilflosigkeit des AMS gegenüber arbeitslosen AkademikerInnen bringt aber schließlich mein dritter Besuch. Ich bin mittlerweile seit zwei Monaten stolzer Arbeitslosengeld-Bezieher. Den Weg zum Kontrollmeldetermin, wie das monatliche Blind Date in der Beratungszone des AMS amtlich heißt, trete ich längst souverän an. Als ich ins Zimmer gebeten werde, blickt mein heutiges Gegenüber konzentriert auf den Bildschirm und ist in meine Akte und die Stellenangebote vertieft. Nach zwei Monaten und drei mehrseitigen Formularen will sie es heute aber noch einmal genau wissen: Herr Magister, fragt sie mich, was für ein Wissenschafter sind Sie denn eigentlich? Mediziner vielleicht? Da hätt ich ein paar Angebote. Nicht ganz, Politikwissenschafter. Aber danke fürs Suchen!

Mein schließlich vierter Besuch am Hietzinger Kai 139 sollte auch mein vorerst letzter werden. Nach drei Monaten habe ich es in die obere Liga geschafft und bekomme einen Termin bei meinem persönlichen Betreuer diktiert. Hier, im dritten Stock, so hat es den Anschein, finden die tatsächlichen Beratungsgespräche statt, die dann vielleicht auch länger als fünf Minuten dauern. In meinem Fall ist das allerdings nicht so. Unser Gespräch beginnt mit dem Hinweis meinerseits, dass ich eine fixe Jobzusage habe. Man glaubt ehrliche Freude im Gesicht meines persönlichen Betreuers zu entdecken. Er lächelt und gratuliert. So ganz sicher bin ich mir aber nicht, ob er sich wirklich mit mir freut oder eher über die Arbeitslosenstatistik, in der ich seit heute nicht mehr aufscheine. Während wir die Formalitäten klären, überlege ich, ob AMS-MitarbeiterInnen eigentlich Erfolgsboni bekommen und ob das eine gute oder eine saublöde Idee wäre. Vielleicht nicht ganz so üppige wie BankmangerInnen, sie richten ja auch nicht ganz so viel Schaden an. Beim Hinausgehen wünscht mir mein Freund beim AMS noch einen schönen Sommer und verabschiedet mich mit einem freundlichen Auf Wiedersehen. Ich überlege mir aber, meine Urlaubspost nächsten Sommer wieder aus der Ferne zu verschicken.

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