Vagabunden, frei wie Hundetun & lassen

Werner Steinermann, Augustiner, starb am 11. April

In der letzten Hälfte der neunziger Jahre, also in der Kinderzeit des Augustin, existierte in Wien ein Häufchen literarisierender Clochards, die es vorher nicht gab und die es in Zukunft vielleicht nie wieder geben wird. Sie hießen Hömal, Luvi, Strawinsky, Hari Harmlos, Walter Pichler, Smoky oder Werner Steinermann.

Foto: Mario Lang

Drei der Genannten sind tot. Der letzte, der starb, war Werner. Nach langem, schwerem Leiden schloss er am 11. April seine Augen für immer. Liebe Leserin, lieber Leser, gestatten Sie uns anlässlich seines Abgangs einen Blick auf diese liebenswert räudige Clique von Männern zu werfen, die in Wien das noch junge Augustin-Projekt repräsentierten.

Manche von ihnen schrieben schon, bevor es den Augustin gab und dessen Literaturteil, in dem sich immer Platz fand für die «authentischen» Texte dieser sprachgewandten Stadt- und Landstreicher. Die Etikettierung «authentisch» diente dem zuständigen Redakteur als Vorwand, wenig Arbeit in die Lektorierung der Textangebote zu investieren – was ja als überheblicher Eingriff in «authentische» Darstellungsweisen sowieso verpönt war. Die Urgesteins-Autoren des Augustin genossen also die maximale Freiheit der Publikation, und das «Kulturmanagement» des frühen Augustin sorgte dafür, dass sie durch ihre gemeinsamen Lesungen, die in Wiener Beiseln stattfanden, auch als Gruppe wahrnehmbar waren. In diesen Lesungen traten sie immer sehr selbstbewusst auf.

Werner Steinermann war vielleicht der am wenigsten Schrille dieser losen Straßendichtergruppe; den ganzen Tisch zu unterhalten, überließ er lieber anderen (Smoky, Harmlos und Strawinsky beherrschten diese Kunst genial). Werner fiel aber dadurch auf, dass ihm die Welt der deutschen Klassik und der antiken griechischen Philosophie nicht verschlossen war. Der in einem Kinderheim aufgewachsene Werner Steinermann hatte, wie alle anderen, schlechte Bildungsvoraussetzungen; warum er dennoch so viel las, von Goethe bis Platon, konnte er selber nicht erklären.

Die Zyniker von heute, die eigentlich Kyniker heißen (in denen das griechische Wort für Hund steckt) sind die Vagabunden und die Herumtreiber, schrieb er im Augustin. Er und seinesgleichen lebten frei wie Hunde. Den «Normalos» wollte Werner Steinermann in seinem «Wir Stadtstreicher und Zyniker» betitelten Text vor Augen führen, dass Herumlungern keineswegs eine sinnlose Tätigkeit sei. Man glaube kaum, wie viele Weisheiten durch herumliegende Sandler an einem Tage zu Tage gefördert würden. Werner Steinermann war einer der ersten unter den Augustiner_innen, die dem Müßiggang positive Seiten abgewinnen und sich der grassierenden Leistungsnorm mit guten Argumenten verweigern konnten.

Andere Literaten der ersten Stunde sind noch sehr lebendig. Doch entweder ist ihre poetische Energie verschwunden, oder sie schreiben nach wie vor – jetzt aber als Vereinzelte. Die Clique ist nicht rekonstruierbar. Ihr Monopol auf die Funktion des Aushängeschilds des Augustin ist gebrochen. Die Straßenzeitung widerspiegelt, wohin sich die Stadt entwickelt. Sie wird Babylon. Werner Steinermann hätte diese Metapher sehr gefallen.

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