Vampire und Blutsaugervorstadt

Von existenzieller Bedrohung zur popkulturellen Ikone

Der Vampirismus ist eng mit Volkskulturen im ehemaligen Habsburgerreich verbunden. Markus Schauta liefert eine historische Einführung zu diesem Mythos.

Foto: Matt Osborn

Wien, 1725. In der barocken Hauptstadt regiert Kaiser Karl VI., letzter männlicher Spross des Hauses Habsburg. Am Balkan führt der Kaiser Krieg. Mit Erfolg: Sieben Jahre ist es her, dass er im Frieden von Passarowitz den Türken Slawonien, Nordserbien, das Banat von Temeswar und die Kleine Walachei abgerungen hat. Doch der Frieden ist ein unruhiger. Und bald schon wird klar, dass der halbmondförmige Streifen eroberten Landes auch Heimat einer Seuche ist, die die Gelehrten der Monarchie für die nächsten 30 Jahre beschäftigen soll.

In den Sommertagen des Jahres 1725 langt ein Schreiben am Wiener Hof ein. Absender ist ein kaiserlicher Militärbeamter, der für den Grenzdistrikt Gradisca in Slawonien verantwortlich ist. Er berichtet von einer unbekannten Seuche, die ein Dorf namens Kisolova heimgesucht habe. Innerhalb von acht Tagen sind neun Menschen, alte und junge, nach kurzer Krankheit verstorben. Schuld an ihrem raschen Tod seien, so schreibt der Beamte, blutsaugende Tote, «so sie vampyri nennen»*.

Ein slawonischer Vampir. Die Bewohner_innen des slawonischen Dorfes Kisolova im besetzten Nord-Bosnien sind Wehrbauern und -bäuerinnen. Ihr Auftrag: Das Grenzland so lange gegen möglich einfallende Osmanen zu verteidigen, bis reguläre Truppen eintreffen. Im Gegenzug sind sie von Leibeigenschaft und Abgaben befreit. In seinem Brief beschreibt der kaiserliche Beamte, wie er das Dorf gemeinsam mit einem Popen aufsucht, um sich Klarheit über die Todesfälle zu verschaffen. Vor Ort erwarten ihn ein geöffnetes Grab und die bald drei Monate alte Leiche des Peter Plogojewitz (serbisch: Petar Plagojević oder Blagojević). Dieser, so die feste Überzeugung der Dorfbewohner_innen, sei schuld an den Todesfällen, indem er den Menschen ihr Blut ausgesaugt habe. Von der Leiche ging kein Verwesungsgestank aus, die Haut war rosig, Nägel und Haare nachgewachsen. Für die Grenzer das untrügliche Zeichen, dass es sich um einen Vampir handle. Weder durch gutes Zureden noch durch Drohungen können der Beamte und der Geistliche die Exekution der Leiche verhindern. Ein Mann schlägt dem Toten einen zugespitzten Holzpfahl ins Herz, daraufhin quillt Blut aus Nase, Ohren und Mund. Anschließend verbrennen die Dorfbewohner_innen die Leiche am Scheiterhaufen. In seinem Brief entschuldigt sich der Beamte, dass er dieses Treiben nicht habe verhindern können. Aber der «vor Forcht ausser sich selbst gesetzte Pöfel» wäre davon nicht abzubringen gewesen. Der Fall wird dokumentiert. Und zu den Akten gelegt.

Tod an der Morava.

Nordserbien, 1731. In den letzten Herbsttagen des Jahres sterben im Dorf Medwegya innerhalb von sechs Wochen dreizehn Menschen. Das Dorf liegt am Fluss Morava, die dort lebenden Heyducken sind Teil einer Milizkompanie, die die Reichsgrenze gegen die Türken verteidigen. Das für die Region zuständige Militärkommando entsendet den kaiserlichen Seuchenarzt Glaser. Am 12. Dezember trifft er im Dorf ein. Glaser geht von Haus zu Haus und untersucht die Bewohner_innen, kann aber, bis auf Fieber, Brust- und Seitenstechen, die er auf ein Unmaß im Essen und Trinken zurückführt, keine Seuche diagnostizieren. Hingegen versichern ihm die Befragten, dass die Leute sterben, weil «die Vambyres, oder Bluthseiger, verhanden seynd». Das Sterben werde kein Ende finden, bis man die Vampire aus ihren Gräbern geholt und exekutiert habe, so die einhellige Meinung der Hajduken. Der Arzt will der Sache auf den Grund gehen. Er lässt Gräber öffnen. Glaser ist erstaunt, als er die Leichen in einem Zustand der Unverwestheit findet, die Leiber aufgequollen mit frischem Blut im Mund, «welches mir selbst suspect vorkommet», wie er eingesteht. In seinem Schreiben unterstützt Glaser den Wunsch der Dorfbewohner_innen, die Toten zu pfählen. Damit die Untertanen ihren Willen haben und nicht das Dorf aufgeben, wie er argumentiert. Zwischen den Zeilen hängt aber der Zweifel des gelehrten Arztes, der nicht zuordnen kann, was er in der feuchten Erde des Friedhofs in Medwegya vorgefunden hat.

Die serbische Krankheit. Das Oberkommando in Belgrad ist beunruhigt und ordnet eine «chyrurgische Visitation» an. Am 7. Jänner 1732 erreicht Regimentsfeldscher Johann Flückinger das Dorf Medwegya. Seine Nachforschungen ergeben, dass vor fünf Jahren ein Mann namens Arnont Paule sich beim Sturz von einem Heuwagen das Genick brach. Dieser habe zu Lebzeiten erzählt, er sei im Osmanischen Reich von einem Vampir angefallen worden. Etwa einen Monat nach dessen Tod berichteten Dorfbewohner_innen, von Paule im Schlaf geplagt zu werden. Bald darauf seien diese Menschen gestorben. Die Heyducken öffneten daraufhin Paules Grab und fanden die Leiche unverwest. Daraus sahen sie, «daß er ein würklicher Vampir seye» und schlugen «nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durchs Herz», so Flückinger in seinem Bericht. Die vier Toten, die Paule nach Meinung der Dorfbewohner_innen zu verantworten hatte, gruben sie ebenso aus, pfählten und verbrannten sie, um zu verhindern, dass auch sie als Vampire wiederkehrten. Arnont Paule sei daher der erste Vampir im Dorf Medwegya gewesen. Nach den 17 Toten der vergangenen drei Monate und den unverwesten Leichen sind die Dorfbewohner_innen überzeugt, «daß sich wiederumben einige Vampyrs allhier befinden». Noch am selben Nachmittag lässt der Arzt 16 Gräber öffnen und obduziert die Leichen. Zehn davon, so wird der Regimentsfeldscher später aussagen, haben sich in ihren Särgen «im Vampirstande» befunden. Mit nachgewachsenen Finger- und Zehennägeln, Kleider und Leichentücher durchnässt von frischem Blut, das aus Ohren, Nasen, Mündern und Geschlechtsteilen floss. Hinweise auf Krankheiten habe auch er nicht gefunden. «Nach geschehener Visitation seynd denen Vampyren die Köpf durch die dasigen Zigeuners herunter geschlagen, und sambt denen Cörpern verbrent, die Aschen davon in den Fluß Morova geworfen», beendet der Arzt seinen Bericht

Die Nachricht von der Vampirseuche gelangt über Belgrad und Wien bis in die Zeitungsredaktionen in Paris und London und an die sächsischen und thüringischen Universitäten, wo sie Diskussionen unter den Gelehrten auslöst. In einer medizinischen Wochenschrift von 1732 wird «Vampyrismus» als Krankheit beschrieben.

Das Ende des Vampirs. Wien, 1755. Kaiser Karl VI. ruht seit 15 Jahren in einem Sarkophag in der Kapuzinergruft. Seine Tochter Maria Theresia leitet jetzt die Geschicke der Monarchie. Im Jänner erreicht die Nachricht den Wiener Hof, wonach eine Vampirin in Mähren gepfählt und verbrannt wurde. Auch in dieser Gegend ist die Vampirtradition verwurzelt. Bereits 1731 wurden neun Vampire bei Olmütz am Scheiterhaufen verbrannt, darunter sieben Kinder. Die aufgeklärte Monarchin will dem Treiben ein Ende setzen und beauftragt ihren Leibarzt Gerard van Swieten Licht in die Sache zu bringen. In seinem Vampirismus-Pamphlet kommt er zu dem Schluss, dass das Phänomen auf natürliche Ursachen wie Gärungsprozesse und Luftmangel, der die Verwesung verhindere, zurückzuführen sei. Das Sterben sei eine Folge von Seuchen, die später als Milzbrand oder Tollwut identifiziert werden. Er schreibt, «dass der ganze Lärm von nichts andern herkömme, als von einer eitlen Furcht, von einer aberglaubischen Leichtglaubigkeit, von einer dunklen und bewegten Phantasey, Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke». Ein Erlass Maria Theresias verbietet schließlich die traditionellen Abwehrmaßnahmen gegen Vampire: das Köpfen, Pfählen und Verbrennen von Leichen. Zehn Jahre später wird Vampirismus nicht mehr als Krankheit diskutiert, sondern ist in den Enzyklopädien in die Rubrik «Geschichte des Aberglaubens» verbannt.

Das Nachleben. Während der Vampir sich aus der Alltagswelt der Menschen zurückzog, hielt er mit Beginn des 19. Jahrhunderts Einzug in die Welt von Literatur und Film. Von John Polidoris The Vampyre (1819) und Alexej Tolstois Die Familie des Wurdalak (1839) über Bram Stokers Dracula (1897) und den von Friedrich Wilhelm Murnau inszenierten Film Nosferatu (1922) bis zu diversen Hollywood-Produktionen. Die Faszination für die Kreatur aus dem Grab hat sich bis heute gehalten.

* Die Zitate stammen aus dem Buch Mortuus non mordet. Kommentierte Dokumentation zum Vampirismus 1689–1791 von Klaus Hamberger

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