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Was sind die Stärken und was sind die Schwächen, fragt man sich, wenn man etwas verbessern will. Im besten Fall wird man dann die Schwächen korrigieren und die Stärken optimieren. Das gilt auch für den Sozialstaat.
Wir können eine Reihe von Fehlentwicklungen und Problemstellen des österreichischen Wohlfahrtsstaates identifizieren, um die herum auch die höchsten Armutsrisken auftreten. Reformstrategien für sozialen Ausgleich lassen sich aus diesen sozialstaatlichen Fehlsteuerungen wie ein gewendetes Negativ ableiten. Was sind nun die Fehlentwicklungen im hiesigen Sozialstaatsmodell?
1. Die Annahme eines männlichen Ernährerhaushalts
2. Die Annahme eines Normalarbeitsverhältnisses
3. Die Vorstellung einer kulturell homogenen Bevölkerung und
4. Für einen ausgebauten Sozialstaat überraschend hohe «soziale Vererbung».
In den letzten Jahren hat sich einiges geändert:
1. Viele Frauen sind Familienerhalterinnen und es gibt vielfältigste Formen des Zusammenlebens.
2. Unterbrochene Erwerbsbiographien und unsichere McJobs nehmen zu.
3. Viele Menschen sind nach Österreich zugewandert, und
4. Bildung ist im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft entscheidender geworden.Auf all diese vier Entwicklungen wurde sozialpolitisch nicht rechtzeitig reagiert:
1. Das Festhalten am «männlichen Ernährerhaushalt» führt zum hohen Armutsrisiko von
Alleinerzieherinnen und zur Mindestpension für ein Drittel aller Frauen.
2. Die Fixierung auf die klassische Erwerbsarbeit übersieht die steigende Zahl der «Working Poor» und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse.
3. Die jahrelange Konzentration auf die Herkunft schafft soziale Ausgrenzung und mangelnde Aufstiegschancen von MigrantInnen.
4. Ein sozial selektierendes Bildungssystem mit Tendenz zu homogenen Gruppen blockiert sozialen Aufstieg. Als fünfter Punkt könnte noch der Dschungel des föderalen Systems mit seinen neunmal unterschiedlichsten Regelungen, die in vielen Fällen sachlich nicht begründbar sind, angeführt werden. Und eine Verwaltungs- und Vollzugspraxis, die nicht den Bürger, sondern den Untertanen sieht. Vieles atmet da den obrigkeitsstaatlichen Wohlfahrtsstaat; «Vater Staat», der seinen minderjährigen Kindern (milde) Gaben zuteilt.
Die neuen sozialen Risken («new social risks») liegen quer zu den klassischen Risken sozialstaatlicher Sicherungssysteme: neue Selbständige, prekäre Beschäftigung, Lebensrisiko Pflege, Behinderungen und Migration. Um die Fehlentwicklungen zu korrigieren, bedarf es eines Modernisierungsprogramm des Sozialstaats auf der Basis einer
1. eigenständigen Existenzsicherung für Frauen wie Neuverteilung von Erwerbs-. und Care-Tätigkeiten
2. erwerbsunabhängiger Grundsicherungselemente
3. «equal rights», also gleichen Rechte mit sozialen Aufstiegschancen ohne Ansehen der Herkunft, und
4. ein Bildungssystem, das in gemischten Gruppen individuell fördert und Bildungsabschlüsse unabhängig vom sozialen Status der Eltern ermöglicht.
Neue soziale Herausforderungen brauchen eben auch neue soziale Antworten. Für den Sozialstaat heißt das: Schwächen korrigieren, Stärken ausbauen.
Buchtipp: Es reicht. Für alle. Wege aus der Armut, Deuticke, 2010.