«Vegane Kuchen auch to go»vorstadt

Lokalmatadorin

Barbara Soukup erforscht on the road Finessen der Wiener Sprachlandschaft.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Wiens Mistkübel sind ein wichtiger Part ihrer Sprachlandschaftsforschung, verrät Barbara Soukup auf ihrem Weg zur Arbeit. Unverzüglich zückt sie ihr Mobiltelefon und fotografiert die Aufforderung der Magistratsabteilung 48: «Alte Masken g’hörn ’kübelt.»
Warum das für die Sprachforscherin von Bedeutung ist? «Weil hier mit Sprache auf eine gesellschaftliche Entwicklung reagiert wird. Niemand hätte diesen Satz vor der Corona-Zeit aufgeschrieben, geschweige denn verstanden.»

Buchstäblich.

Lässt sich Barbara Soukup dann mit dem 43er zu ihrem Institut im alten Universitätsgebäude an der Ringstraße chauffieren, sind ihre Augen weiterhin wachsam. Ihr entgeht kein Schriftzug, nicht einmal ein Buchstabe.
«Wenn man», erklärt die ausgebildete Ang­listin und Soziolinguistin, «so wie ich die Sprachlandschaft einer Stadt durchforsten möchte, kommt man schnell drauf, dass eine Unzahl von Dingen im öffentlichen Raum beschriftet ist.»
Dinge, die da unter anderem wären: «Verkehrsschilder und Werbeplakate, Geschäftsportale und Auslagen, Kanaldeckel, Hydranten, Alarmanlagen, Kaugummiautomaten, Straßenlaternen und, wie gesagt, Mistkübel. Selbst auf den Schrauben, mit denen der Mistkübel an der Stange eines Verkehrszeichens befestigt ist, steht was drauf: Kürzel für Herkunft und Machart.»
Gemeinsam mit ihren Studierenden geht Barbara Soukup der Frage nach, wie sich unsere Sprache im öffentlichen Raum verändert und ob das Englische – wie von manchen mit beinahe religiöser Hingabe befürchtet – das Deutsche verdrängen wird.
Um diese Fragen beantworten zu können, wurden rund 17.000 schriftliche Belege auf Wiens Straßen fotografiert, katalogisiert, ausgewertet. Das Feld ihrer Recherche begrenzt die Forscherin so: «Abschnittsweise die Innere Stadt, Josefstadt, Währing, Döbling und parallel Ottakring und Floridsdorf. Insgesamt haben wir 4,8 Kilometer Straße durchkämmt.»

Sprichwörtlich.

Ihre besondere Beziehung zur Mutter- und auch zu fremden Sprachen kommt nicht von ungefähr: Barbara Soukup wurde hörbar in Linz sozialisiert. Ihre Mutter unterrichtete dort an einer AHS Deutsch und Englisch, ihr Vater konnte sich als Maschinenbau­­­inge­nieur bei der VÖEST nicht nur auf Oberösterreichisch unterhalten.
Die Varianz der Sprechenden fiel ihr schon im Alter von drei Jahren auf: «Da soll ich mich bei meinen Eltern beschwert haben, dass sie mit mir in der Hochsprache, untereinander aber im Dialekt geredet haben.»
Mit Begeisterung hat sie später bei Sprach- und Studienaufenthalten in den USA und in Frankreich Unterschiede des geschriebenen und des gesprochenen Wortes registriert. Als Anglistin hat Barbara Soukup ihre Diplom­arbeit über die Eigenheiten des Südstaaten-Englisch verfasst, als Soziolinguistin hat sie in ihrer
Doktorarbeit die Feinheiten im österreichischen Deutsch beleuchtet.

Wortschatz.

«In Wien findet man auf einem Meter Straße durchschnittlich vier Dinge, die einen Schriftzug tragen», kehrt sie dann zu ihrem aktuellen Forschungsgegenstand zurück. «Deswegen haben wir zum Beispiel in der Innenstadt fünf Tage für 200 Meter benötigt.»
Im zweiten Bezirk stieß die Sprachlandschaftsforscherin eher zufällig auf «Vegane Kuchen auch to go». Sie bewertet diese Kreation als «Sprachmelange aus Englischem und Deutschem».
Die Sorge der Sprachpurist_innen, wonach wir von der englischen Sprache überflutet werden, teilt sie nicht: «Sprache ändert sich laufend und unweigerlich, weil wir sie an unsere Lebensumstände anpassen. Derzeit fließt halt einiges an Englisch ein. Vor 200 Jahren war es Französisch, und in Zukunft wird es wieder etwas anderes sein.»
Auch wird das Straßenbild von Wien keineswegs vom Englischen dominiert: «Nur etwa zehn Prozent sind Englisch, 40 Prozent sind Deutsch, nur zwei Prozent andere Sprachen. Der Rest sind Artefakte, die keiner Sprache eindeutig zuordenbar sind: Ziffern und Kürzel wie zum Beispiel bei den Schrauben, aber auch Aufschriften, die sich auf Namen oder URLs beschränken. Nur weniger als ein Prozent kommt übrigens aus dem österreichischen Dialekt.»
Legendär bleibt für Barbara Soukup die Aufschrift auf einem Zeitungsständer einer Trafik im ersten Bezirk: «Don’t let your Hunzi brunzi on my papers!» So ein Fund, meint sie, sei die Belohnung für mindestens dreißig eintönig beschriftete Schrauben.
Auf die Frage, ob Wien als Stadt ein Alleinstellungsmerkmal im öffentlichen Raum besitzt, verweist die Sprachforscherin mit einem Augenzwinkern auf die eingangs erwähnten Mistkübel: «Gibt es eine andere Metropole, in der der Müll derart kreativ beschriftet wird?»

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