Verhasste HandelsgesellschaftArtistin

Richards Schuberths Piratenkomödie ?Wartet nur, bis Captain Flint kommt!?

Nach „Freitag in Sarajevo“ hat Richard Schuberth eine weitere Komödie zum Thema Gott und Welt vorgelegt, diesmal in Form einer Piratenburleske, bei der die Lesenden (später die ZuschauerInnen) lange Zeit nicht checken, ob die Handlung in einer – sagen wir – Pötzleinsdorfer Bobo-Wohnung oder in einem anarchistischen Sektor des Ozeans spielt. Ein angehängtes, aber ungewohnt eigen-artiges Glossar und ein angehängter Essay machen Schuberths Buch zu einem aufregenden Dreiteiler.Zum Thema Trilogie fällt mir Paul Austers New-York-Trilogie ein. Die besteht aber aus drei Brüdern der literarischen Form, drei Romanen. Spannend wird die Trilogie in der Literatur, wenn die Teile verschiedenen literarischen Genres zuzuordnen sind, wie etwa bei Albert Camus. „Les trois Absurdes“ – mit diesem Ausdruck bezeichnete Camus in seinem Tagebuch am 21. Februar 1941 seine Trilogie, die er an diesem Tag mit der Beendigung von „Le mythe de Sisyphe“ fertig gestellt hatte. Zu diesem Dreiling gehören ein Theaterstück um den römischen Kaiser Caligula, der Roman „L’étranger“ (Der Fremde) und der Essay über den Sisyphos-Mythos.

Auch Richard Schuberth hat mein Trilogie-Faible bedient. Sein neuestes Buch vereint die Piratenkomödie „Wartet nur, bis Captain Flint kommt!“, ein ausgiebiges Glossar zum Stück, das sowohl durch den Umfang als auch durch den enzyklopädischen Witz und durch manche unergooglebare Infos zu einem Werk-Teil mit Eigenwert wird, und schließlich den Essay „Oscar Wilde und der Sozialismus“ (der allerdings schon 2001 im „Konkret“ erschienen ist).

Les trois absurdes? Im Falle Schuberths sicher nicht im Camus’schen philosophischen Sinn. Oscar Wildes Plädoyer für den Sturz des Kapitalismus („Der größte Nutzen, den die Einführung des Sozialismus brächte, liegt ohne Zweifel darin, dass der Sozialismus uns von der schmutzigen Notwendigkeit, für andere zu leben, befreit“) und Schuberths Erinnerung an diese weithin ignorierte Seite von Wildes Denken sind nur aus der Sicht der Zufriedenen absurd. Absurd ist das Piratenstück im umgangssprachlichen Sinn: Schuberths groteskes Spiel mit zwei Figurenensembles, die sich in unterschiedlichen Räumen der Fiktion und der Zeit bewegen und einander realistisch nie begegnen könnten, die aber in einem chaotischen Handlungsprozess derart aufeinander treffen, dass man beim Lesen bald nicht mehr weiß, was die fiktive Realität und was die fiktive Fiktion ist, und dazu das Feuerwerk an Pointen in den Dialogen des Stücks – das hat Schmäh. Es ist der selbstironische Schmäh eines Autors, der sein (und mein?) Milieu durch den Kakao zieht: die urbane, linksliberale, ausländerfreundliche Kulturkonsumentenszene. „Ich habe beim Schreiben noch nie so viel Spaß gehabt wie beim ,Captain Flint'“, verriet uns Richard Schuberth, und der schreibt ja so einiges, z. B. die kolossale Serie über Karl Kraus in diesem Blatt.

Die Theatergroteske, welche Elfriede Jelinek im Klappentext als „ein nautisches Irrenhaus der Wahrhaftigkeit, das auch eines der Warenhaftigkeit ist“, bezeichnet, spielt in einer noblen Wohnung am Wiener Stadtrand, wo vier Vertreter dieser eben definierten Szene sich selbst feiern. Dorothee, die Gastgeberin, ist Filmemacherin; Lucy, ein ewig junges Sonnengemüt, ist Ethnologiestudentin; Carl ein ausgebrannter Literat. Und da wäre noch Axel, der Benjamin der Runde, er ist Museumskurator.

Der Abwurf der Obdachlosen über Nagasaki

Ihr „Diskurs“ streift unter anderem die Kunstaktion des allerhippsten Künstlers Benno Balthazar. Umstritten in der Runde ist seine letzte Aktion, der Abwurf von Amerikanern über Nagasaki. In der letzten Phase, die die „antiamerikanische“ genannt werde, gehe ihr Balthazar entschieden zu weit, meint Dorothée. Carl widerspricht: „Das waren tote Obdachlose aus Detroit. Somit fiel der sozialkritische Aspekt gleich mit vom Himmel. Und niemand ist zu Schaden gekommen.“ Es gebe eine Grenze, erwidert Dorothée. Die Performance sei pietätlos gewesen. Die Kunst dürfe alles, meint aber Carl. Pietätlos sei dagegen, wenn Ungläubige Koransuren auf die Körper aserbeidschanischer Mannequins malen …

Diese illustre Abendgesellschaft überhört die Radiodurchsage, dass drei gefährliche Schizophrene aus einer nahe liegenden psychiatrischen Anstalt ausgebrochen seien. Der Anführer der Bande, eine einbeinige Frau, glaubt, der berüchtigte Piratenkapitän Flint zu sein, seine „Adjutanten“ halten sich für Oscar Wilde und den osmanischen Seeräuber Jimmy Fish.

Ausgerechnet in Dorothees Wohnung dringen die drei Irren ein und halten die vier Freunde mit Gewalt fest. Captain Flint ist nur von einem Plan beseelt: Er will Anker lichten und Kurs auf Tortuga nehmen, um sich mit seiner alten Piratenflotte zu vereinigen und den Kampf gegen die verhasste Südsüdwestliche Handelsgesellschaft aufzunehmen. Dass Dorothées Designerwohnung ein Schiff sein könnte, scheint am Anfang absurd, wird im Laufe der Handlung jedoch immer plausibler …

Körperliche wie philosophische Verführungen

Um die Frage, welche Welt die reale ist, die gemütliche, abgeschottete der vier „Schöner Wohnen“-Linken oder die wildere, radikalere der „Piraten“ – darum entbrennt ein Kampf, vor allem zwischen Dorothée und Captain Flint, mit stark erotischem Timbre…

Flint verkörpert Tatkraft und Unbestechlichkeit, Oscar Wilde kritischen Witz und Geschmackssicherheit, Jimmy Fish Loyalität und Geradlinigkeit – kein Wunder, dass die „Gefangenen“ bald dem Stockholm-Syndrom erliegen und auch die Piraten zunehmend weich werden. Nach einer ausgelassenen Bordparty („Äquatortaufe“) kommt es zur zarten erotischen Annäherung zwischen den Kontrahenten, zu körperlichen wie philosophischen Verführungen. Nur Dorothée gelingt es, Oberwasser zu behalten: Sie macht Flint seine weibliche Identität schmackhaft und alarmiert die Polizei. Die Handlung treibt mit 80 Knoten pro Stunde dem dramatischen Fanal entgegen.

Die Lektüre des umfangreichen Glossars bereitet einen an dieser Buchstelle unerwarteten Zusatzgenuss. Hier erläutert der Autor, woher er seine Figuren nimmt. Der Hauptperson Flint standen die historischen Piratinnen Anne Bonny und Mary Read sowie die Filmfiguren Anne Providence aus „Anne of the Indies“ und Jamie Durrisdeer aus „The Master of Ballantrae“ PatInnen. Dem Glossar fehlt bei so manchen Stichwörtern die enzyklopädische Sachlichkeit, wodurch es zum vergnüglichsten Glossar der mir bekannten Literatur wird. Unter dem Stichwort „Djelem Djelem“ wird zunächst erklärt, dass es sich um den Titel der offiziellen Roma-Hymne handelt. Und dann: „Heute dient sie zugleich als Hymne der osteuropa- und balkangeilen Multi-Kulti-Szene, mit der diese durch besonders verkrampfte Gesichtszüge und hochgeworfene Arme ihre Imitationen eingebildeten ,zigeunerischen‘ Lebensgefühls zelebriert.“

Richard Schuberth, als Promotor des alljährlichen „Balkan Fever“-Festivals sowohl Generator als auch Nutznießer der Balkangeilheit, hat sich hier selbst verarscht. Das tut er auch an anderen Stellen, an dieser aber gründlich.

Info:

Richard Schuberth: Wartet nur, bis Captain Flint kommt! Eine Piratenburleske. Literaturedition Niederösterreich