Anna

Zuhause kann überall sein

Karlsplatz beim Musikverein

In welcher Stadt ich lebe, ist nicht das Wichtigste: Zuhause ist für mich dort, wo meine Familie ist. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt und seit sieben Jahren Augustinverkäuferin am Karlsplatz beim Musikverein. Wie ich dazu gekommen bin? Ich war schon seit zwei Jahren in Wien und hatte keine Arbeitserlaubnis – das war noch vor der Arbeitsmarktöffnung für die Slowakei. Es hieß mehr oder weniger: keine Wohnung, keine Arbeit und keine Arbeit, keine Wohnung. Dann habe ich Leute gesehen, die die Zeitung verkaufen, und als dann neue Verkäufer_innen aufgenommen wurden, war ich auch dabei. Ich bin in Fülek (Fi?akovo) aufgewachsen, das ist eine kleine Stadt an der ungarischen Grenze, vierhundert Kilometer von Wien entfernt. Slowakisch ist also meine Staatsbürgerschaft und Ungarisch meine erste Sprache. Deutsch hatte ich schon in der Schule und habe es hier noch verbessert: Leute in Wien haben mich dabei unterstützt, ich habe beim Verkaufen oder in der Straßenbahn gefragt, was ist der Unterschied zwischen «Entschuldigung» und «Verzeihung»?, und so weiter, und so hab ich das gelernt.

Ich habe einen Sohn, den Christian, der ist in der Rudolfstiftung geboren. Heuer wird er acht, er lebt bei den Eltern meines Mannes und geht dort in die Schule, aber wenn hier alles geregelt ist, will ich ihn herholen. Und dann haben wir noch die drei Kinder aus der ersten Ehe meines Mannes – na, das sind nicht meine Kinder, aber sie gehören auch zu unserer großen Familie.

Was ich in Wien ändern würde? Ich weiß es nicht. Mein Mann, der Miki, würde dafür sorgen, dass Straßenmusik erlaubt ist – weil das eine Kunst ist wie jede andere, wieso wird sie also von der Polizei bestraft? Das ist nicht dasselbe wie betteln, wobei ich auch dafür Verständnis habe. Wenn man keine andere Chance hat und keine Arbeit finden kann, muss man ja trotzdem von irgendwas leben. Ich hab vielleicht Glück, weil ich Arbeit habe, aber das war auch nicht immer so. Unangenehm ist hier eigentlich nur die Polizei. Auch bei denen gibt es welche, die freundlich sind und richtig intelligent, aber manche sind eine Katastrophe. Wenn sie merken, dass du Ausländerin bist, sagen erst einmal neunzig Prozent «du». Oder kommen grußlos auf dich zu und sagen nur «Ausweiskontrolle!». Einmal haben sie mir auch meinen Hund, den Buddy, weggenommen – für fünf Tage. Das war was! Den Buddy hab ich immer dabei, außer das Wetter ist ganz schlecht. Manchmal gehe ich mit ihm spazieren, dann sagen die Leute: «Schau, der Hund vom Karlsplatz!» Den kennen sie alle.

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