Blessing

Die Welt gehört von den Sorgen befreit

U4 Hietzing

Der Mensch, der mein Leben am meisten geformt hat, ist meine Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin. Ich hatte als Kind vor allem Angst, ich hatte wirklich wenig Selbstbewusstsein. Sie hat mir beigebracht, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Sie hat gesagt: Schau nicht auf den Boden, schau den Leuten ins Gesicht. Heute liebe ich es, unter Menschen zu sein. Sie ist 2008 gestorben. Ich war nicht dabei. Sie war über neunzig Jahre alt.

Ich heiße Blessing Chukwukere, bin 38 Jahre alt, wohne schon seit fast zwölf Jahren in Österreich und bin seit neun Jahren Augustinverkäufer in Hietzing. Wien ist nicht gerade berühmt in Nigeria, insofern bin ich eher zufällig hier gelandet. Aber ich bin absichtlich geblieben. Es ist schön hier und ruhig.

Aufgewachsen bin ich in Onitsha, einer kleinen Stadt in Anambra State, im Osten von Nigeria. Ich fahre heuer zum ersten Mal in all dieser Zeit wieder zu meiner Familie. Das ist möglich, weil ich im März die Papiere für einen unbefristeten Aufenthalt bekommen habe. Wieso das so lange gedauert hat, weiß ich nicht. Das ist halt Österreich.

Das Warten auf die Aufenthaltspapiere ist eine Zeit der großen Angst: Du weißt nicht, was morgen kommt. Du schläfst schlecht. Immer wenn du Polizeisirenen hörst, denkst du: Vielleicht kommen sie und holen mich. Ich bete für alle, dass sie nie in dieser Situation sein müssen.

Jetzt, wo ich die Papiere habe, möchte ich mein PhD-Studium machen und vielleicht Universitätsprofessor werden – für Internationale Beziehungen; oder meinetwegen Außenminister! Ich habe den Bachelor in Diplomatic Studies und den Master in International Relations gemacht. Ich hatte schon ein Angebot für ein Referendariat an der Universität, aber das konnte ich nicht annehmen, weil ich kein gültiges Bleiberecht hatte und damit keine Arbeitsbewilligung.

Seit 2005 bin ich im Fußballteam Schwarz-Weiß Augustin. Da kannst du mitmachen, egal ob du sehr gut spielen kannst oder gar nicht – du kannst wöchentlich trainieren kommen, triffst Leute, tauschst dich aus; das genieße ich. Ein anderer wichtiger Anlaufpunkt ist meine Kirche. Ich bin sehr religiös, von Kindheit an. Ich bin davon überzeugt, dass Jesus bald zurückkommt und die Gerechten mit zu Gott nimmt. Er wird uns von den Schmerzen und Sorgen dieser Welt befreien. An Ungerechtigkeiten gibt es ja genug: In der Politikwissenschaft spricht man von «ungleicher Ressourcenverteilung». Nimm nur mein Beispiel, ich bin seit zwölf Jahren hier und durfte all diese Zeit nicht arbeiten, nicht reisen, meine Familie nicht sehen; das ist nicht der Wille Gottes. Jesus war ein Asylsuchender in Ägypten, Abraham genauso, und sie waren uns willkommen. Als Menschen aus Italien, Spanien, Großbritannien zur Missionierung nach Afrika gekommen sind, hat jemand sie nach einem Visum gefragt? Nach einer Arbeitsbewilligung? Nein, man hat sie willkommen geheißen. Da könnte sich Europa durchaus noch was abschauen.

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