Peter

Der Kolporteur mit den meisten Taschen

Vorgartenstraße

Ich bin bekannt dafür, immer mit mehreren Taschen unterwegs zu sein. Sie schränken mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit ein, und ich finde es auch nicht anstrengend, damit herumzulaufen. Andere Leute gehen ins Fitnesscenter, dagegen betrachte ich das Taschentragen als Gratis-Training.

Foto: Mario Lang

In meinen Taschen befinden sich natürlich AUGUSTIN-Hefte und alles Mögliche, das man im Alltag so braucht, wie Ausweise, Medikamente, die ich täglich einnehmen muss, oder ein billiges Handy. Meines hat 30 Euro gekostet. Ich verstehe nicht, warum Menschen hunderte Euros für Smartphones ausgeben, die müssen zu viel Geld haben. Und ja, stimmt schon, die Taschen können dazu verleiten, Sachen mitzunehmen, die man nicht unbedingt braucht. Mir wird öfters der Ratschlag gegeben, weniger herumzutragen.

Durch meinen Vater, er war selber Verkäufer, bin ich zum AUGUSTIN gekommen. Das ist schon sehr lange her, damals hat es noch den Schilling gegeben. Mein Vater lebt nicht mehr, und ich bin nicht gut auf ihn zu sprechen, denn er hat mich geschlagen – das darf man ruhig wissen.

Hingegen mochte ich meine Mutter sehr. Sie ist jung gestorben, sie wurde nur 34 Jahre alt. Durch einen epileptischen Anfall ist sie erstickt. Ich musste das mitansehen, als Zwölfjähriger. Nach ihrem Tod bin ich noch ein Jahr bei meinem Vater geblieben, bis das Jugendamt dafür gesorgt hat, dass ich in ein Heim komme. Dort ist es nicht viel besser gewesen, denn ich hatte viele komische Betreuer.

Das ist alles Vergangenheit, ich zähle mich jetzt zur AUGUSTIN-Familie. In der Vorgartenstraße habe ich einen neuen Verkaufsplatz gefunden, nachdem mir am Karlsplatz zu viel los geworden ist. Manchmal verkaufe ich auch am Matzleinsdorfer Platz. Wenn mir beim Verkaufen Menschen über den Weg laufen, die auf mich reich wirken, erlaube ich mir manchmal Späßchen. Zu einem Mann im Smoking sagte ich, mir würde ein Cent zum Kaffee fehlen, ob er mir diesen nicht schenken möchte. Der meinte wirklich ‹Nein!› Dann habe ich weiter auf ihn eingeredet, wie viel ihm noch auf die Million fehlen würde und so weiter. Wenn ich einmal in Fahrt gekommen bin, bin ich nur schwer zu stoppen.

Jetzt freue ich mich schon sehr auf den Frühling, weil ich das Zeitungverkaufen in der Kälte kaum aushalte. Davon abgesehen kann ich mich wieder um die Pflanzen im Hof der AUGUSTIN-Zentrale kümmern.

Protokoll: Reinhold Schachner

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