Gerri

«Nix gefallen lassen»

Lokale am Gürtel

Seit 20 Jahren bin ich beim AUGUSTIN. Ich bin zufällig da gelandet. Ich habe Schulden gehabt, dann war ich auf der Straße und dann habe ich gedacht, na gut, schau ich mir den Blödsinn an.

Inzwischen habe ich eine Gemeindewohnung, aber die brauche ich eh nur zum Schlafen, sonst bin ich immer unterwegs. Immer barfuß. Nur im Winter nicht, da ist es zu kalt. Viele sagen zu mir, das tät’ ich in der Stadt nicht, das ist dreckig, was ist, wenn die Hunde hinmachen? Aber ich sag’, na ja, für was gibt’s Wasser? Verletzen tu ich mich auch nicht, du musst die Augen am Boden haben. Manche Leute schauen mich deppert an, aber mir ist das wurscht. Die Leute, die mich kennen, finden das eh super.

Ich gehe immer durch die Lokale am Gürtel und verkaufe dort. In den 20 Jahren hat sich einiges verändert, ein paar Lokale weniger, weil sie zum Beispiel abgerissen worden sind. Dann habe ich wieder ein paar dazugekriegt, da habe ich gar nicht fragen müssen, ob ich dort verkaufen darf, weil mich eh alle kennen. Egal ob ich am Gürtel bin oder in der ­U-Bahn fahre, mich kennen fast alle. Mein neues Motto ist: Wer den Gerri nicht kennt, kennt Wien nicht. Die Leute erkennen mich auch an meinem Outfit. Ich rede auch mit den Leuten. Wenn man durch Lokale geht, dann muss man schon mit Menschen umgehen können. Manche wollen hauptsächlich reden. Wenn ich das merke, dann unterhalte ich mich.

Am Wochenende mache ich schon so meine 16 Stunden. Aber ich bin gerne in der Nacht unterwegs, da sind auch kaum andere Verkäufer und Verkäuferinnen unterwegs. Mit den ganzen Lokalbesitzern bin ich per du. Die wissen, dass ich direkt bin, und das passt. Geld schnorren tu ich nicht.

Ich bin ein Zuagraster, bin aus der Nähe von St. Pölten, aus einem kleinen Dorf, das kennt keiner. 16 Häuser und zwei Wirten. Als ich nach Wien gekommen bin, bin ich Punk geworden. Aber die Punk-Szene gibt’s nicht mehr so. Früher waren die Punks hart. Wir haben uns nix gepfiffen. Keine Angst vor den Bullen. Sicher bin ich auch mal ein, zwei Tage in den Knast gegangen, wir haben uns nix gefallen lassen.

Von der Einstellung her war ich immer schon so. Ich hasse zum Beispiel die 12-Stunden-Arbeit. Es geht nicht um mich, sondern um die Leute, die wo arbeiten müssen. Es wird nicht so sein, dass das freiwillig ist, sondern da wird es heißen: Arbeitest du 12 Stunden? Und wenn du nicht willst, wird’s irgendwann heißen: Auf Wiederschauen. Schön langsam machen die das, so dass es keiner mitkriegt. Du hast dann kein Familienleben mehr.

Das Wichtigste im Leben ist für mich, dass es mir gut geht und mich die Leute in Ruhe lassen. Ich hab kein Problem. Wenn jemand deppert redet, red’ ich schon zurück, aber das ist eh normal.

Protokoll: Ruth Weismann

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