«Der Kriminalpolizist in mir»
Hofer-Filiale in der Kaiserstraße
Ich bin in Baku aufgewachsen, der Hauptstadt von Aserbaidschan. Meine Familie gehörte dort der armenischen Minderheit an. Wir emigrierten dann nach Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, wo ich ein Jus-Fernstudium absolvierte. Dadurch konnte ich mich bei der Polizei melden. Ich wurde Kriminalpolizist. Als der aserbaidschanisch-armenische Krieg um die Enklave Berg-Karabach begann, wurde das Leben in Armenien schwierig. Die Ökonomie brach zusammen. Ich wanderte zum zweiten Mal aus – diesmal in die russische Stadt Tambov, etwa 450 Kilometer südlich von Moskau.
Mein vierter Lebensmittelpunkt heißt Wien – und es wird wohl mein letzter sein. Nach Wien zog es mich, weil hier schon seit 22 Jahren meine Tochter als Allgemeinmedizinerin tätig ist. 2005, als ich in Wien ankam, wusste ich nichts vom Augustin. Ein Landsmann gab mir den Tipp: Bevor du in dieser fremden Stadt blöd herumsitzt und vor Langeweile stirbst, tu’s wie ich und verkaufe den Augustin! Ich meldete mich und kam auf eine Warteliste. Dann wurde mir eine Hofer-Filiale in der Kaiserstraße empfohlen. Dort kennen mich inzwischen alle Stammkunden. «Wie geht’s?», höre ich dutzende Male am Tag. Gut, sage ich, obwohl das ein bisschen gelogen ist, wenn der Augustin-Verkauf gemeint ist. Ich hab jedoch ein gutes Verhältnis zur Filialleiterin. Das hängt damit zusammen, dass ich die Ladendiebe einfange. Fünf Jahre sitze ich nun schon vor dem Hofer, und in dieser Zeit hab‘ ich acht Ladendiebe geschnappt. Die Chefin revanchiert sich, indem sie mir Lebensmittel zusteckt, immer wenn ich Erfolg habe. Es steckt halt immer noch der Kriminalpolizist in mir drin, obwohl ich schon längst Pensionist bin mit meinen 79 Jahren. (Anmerkung: Wir fragen Razmik, ob er denke, dass den Augustin-Leser_innen diese Hilfspolizeitätigkeit, die sich ja gegen arme Schlucker richte, sehr sympathisch sei). Man irrt sich, wenn man glaubt, dass es die Ärmsten der Armen sind, die in den Geschäften russischen Wodka stehlen. Die Armen stehlen nicht. Ich hab einmal einen Jungen erwischt, der war sofort bereit, der Chefin 100 Euro Strafe zu zahlen. Also kann der nicht arm gewesen sein.
Der russische Staat gibt mir 400 Euro Pension – es wäre also schon toll, wenn ich einiges dazuverdienen könnte. Aber soll ich einen besseren Verkaufsplatz suchen? Die Rumänen haben inzwischen ja die Stadt aufgeteilt. Vielleicht verdiene ich mit meinen Märchen etwas. Ja, ich schreibe – in russischer Sprache – Märchen für Kinder und Erwachsene. Die Idee ist mir damals in Tambov gekommen, als mich mein Enkelkind dauernd aufforderte, Märchen zu erzählen. Ich musste mir pausenlos Geschichten ausdenken. Aber ich war gut darin, und ich beschloss, das niederzuschreiben, was mir so spontan eingefallen war. Ich habe meine Märchen auch der Augustin-Redaktion angeboten. Ich hoffe, ihr könnt gelegentlich ein paar lesen; Frau Elisabeth Namdar war so hilfreich und hat sie alle ins Deutsche übertragen. Ich wünsche dem Augustin viele Einnahmen, damit er gut läuft – und meine Märchen publizieren kann.