ROSE

Einmal nach Afrika

Mariahilferstraße

Seit 2014 verkaufe ich den Augustin jeden Tag auf der Mariahilfer Straße, vor den Schaufenstern. Der Augustin hat mir wirklich geholfen. Wenn du ihn verkaufst, erhältst du dein «tägliches Brot». Viele Afrikaner_innen bekommen keine Papiere. Ich habe meine Dokumente 2016 erhalten. Seit dieser Zeit geht es mir besser. Ich bete am Morgen, dass die Leute, die mich sehen, mir gut gesinnt sind und die Zeitung kaufen. Und dann singe ich. Wenn die Leute meine Stimme hören, machen sie kehrt und kommen zurück.
Ich habe keine Angst vor Corona. Aber es ist nicht einfach. Im Lockdown ist jeder zuhause, und niemand will dir Geld geben. Während Corona haben wir eine Erlaubnis zum Zeitungsverkauf bekommen. Ich lege die Zeitungen vor mich, und die Leute können das Geld in einen Becher werfen und die Zeitungen nehmen. In der Coronazeit grüßen wir uns mit dem Ellbogen. Manchmal siehst du auch Leute, die schlecht gelaunt oder aggressiv sind. Das nächste Mal, wenn sie kommen, sage ich: Bruder, was ist passiert? Wenn ich schwach bin, tanze ich, um gute Energie zu haben. Ich habe Musik auf meinem Handy und setze meine Kopfhörer auf.
Ich gehe in eine afrikanische Kirche. Dort tanzen und singen die Leute – anders als in Österreich. Ich habe viele österreichische Freund_innen, wie eine Frau, die mich jeden Sonntag in die Kirche begleitet. Dass ich nach Österreich gekommen bin, habe ich nicht bereut. In Afrika gibt es Taschendiebe. Wenn du hier deine Geldbörse verlierst, wird dir das jemand sagen. Aber sonst ist Afrika sehr gut. Jeder ist freundlich. Alle teilen ihr Essen. Wir haben keine Angst, wir sind aufgeschlossen. Aber wenn du nach Österreich kommst, sind viele verschlossen. Eine Österreicherin, die ich kenne, will mit mir nach Afrika kommen, viele Orte besuchen, das Essen und die Sonne genießen.
Alle meine Kinder sollen einmal nach Afrika kommen. Ich habe zwei Töchter, zwei Söhne und einen Enkel. Sie leben alle hier in Wien. Mein Enkel kommt jedes Wochenende zu mir. Nächstes Jahr möchte ich nach Nigeria reisen und meine Mutter besuchen. Sie ist 110 Jahre alt. Ich bin das letzte von ihren Kindern. Jeden Monat sende ich ihr Geld und bezahle eine Person, die sich um sie kümmert. In Afrika ist es wichtig, dass die Familie sich kümmert. Manchmal mache ich einen Videoanruf und zeige, wie ich Zeitungen auf der Straße verkaufe. Wenn du zuhause im Bett liegst, wird das Geld nicht kommen. Du musst für dich selbst kämpfen. Mein größter Wunsch im Moment ist: meine Mutter sehen! 

Ein Porträt von Rose war am 24. 12. um 21.35 Uhr im AUGUSTIN TV auf Okto zu sehen (danach im Okto Archiv) und am 15. 1. um 15 Uhr auf Radio Augustin zu hören.

Protokoll: Sylvia Galosi
Foto: Mario Lang

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