Zina

Von 7 Uhr morgens bis 18 Uhr abends

Reumannplatz

Ich bin 55 Jahre alt und seit 15 Jahren in Wien. Bevor ich zum Augustin gekommen bin, habe ich zwei Jahre lang gebettelt. Ich weiß gar nicht mehr, seit wann genau ich den Augustin verkaufe, aber seit mehreren Jahren. Ich habe gesehen, dass meine Kolleg_innen auf der Straße Augustin-Ausweise tragen, da habe ich nachgefragt und bin zum Augustin gekommen.
«Hallo, neuer Augustin!» – So verkaufe ich im 10. Bezirk, am Reumannplatz. Immer von 7 Uhr morgens bis 18 Uhr abends und dann treffe ich meine Familie wieder. Ich habe keine Stammkund_innen, die Leute kommen und gehen. Im Winter mache ich nachmittags eine Pause und gehe nach Hause, um mich aufzuwärmen. Manchmal nehme ich ein heißes Bad. Dann gehe ich wieder verkaufen.
Ich kenne sonst niemanden persönlich, der Augustin verkauft, aber ich würde gerne meinen Mann dabei haben. Ich komme aus Rumänien. Ich habe sechs Kinder: vier Mädchen und zwei Buben. Fünf Kinder wohnen mit mir und meinem Mann hier und meine Tochter mit ihren Kindern in Rumänien.
Wenn ich nicht Augustin verkaufe, kaufe ich ein oder koche. Ich mache normalerweise einen oder zwei Monate Pause und fahre nach Rumänien. Ich besuche meine Tochter, wenn ich Sehnsucht habe. Mit Corona ist es schwieriger, jetzt bin ich seit einem Monat nicht mehr gefahren. Ich vermisse besonders die Kinder. Meine Tochter ist alleinerziehend. Ich versorge sie und bringe Essen. Ich arbeite hier auch für sie. Die Familie ist sehr wichtig für mich.
Ich wünsche mir ein Haus für meine Tochter. Denn wenn wir alle nach Hause fahren, sind wir neun Leute in einem kleinen Haus mit nur einem Zimmer ohne Bad. Als ich an Weihnachten in Rumänien war, habe ich meiner Tochter Holz gekauft zum Heizen. Jetzt hat sie genügend bis zum Frühjahr.
Rumänien vermisse ich nicht. Ich lebe hier so wie jede andere Person, und hier ist es besser. Ich habe was zu essen und kann ein bisschen Geld verdienen. Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich an gar nichts. Wieso soll ich mir Sorgen machen? Ich bin kein Mensch, der Pläne macht. Ich vertraue auf Gott, dass er mein tägliches Brot gibt. Es heißt schließlich nicht «das Brot von morgen». Also denke ich nicht an morgen. Wenn ich heute zu essen habe, ist alles gut.

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