Vermögensbildung auf ZypernDichter Innenteil

Auf zu neuen Ufern (Foto: Mario Lang)

Herr Groll auf Reisen, 403. Folge

An einem nebligen Herbsttag wanderten Herr Groll und der Dozent auf der Donau-Uferpromenade bei Greifenstein. Der Schiffsverkehr war schwach, ob wohl Herr Groll meinte, dass bereits wieder dreißig bis vierzig Kabinenschiffe auf der Donau unterwegs seien. In den besten Zeiten, vor rund zehn Jahren, hätten aber über 160 Kabinenschiffe die Donau befahren, erwiderte der Dozent. «Woher haben Sie diese Zahl?», fragte Groll. «Von Ihnen», antwortete der Dozent. «Dann wird sie wohl stimmen.»

 

Das Gespräch der beiden wandte sich daraufhin einem von Grolls Lieblingsorten zu, der Stadt Larnaca auf Zypern. Ob Groll von den «Pandora Papers» gehört habe? Steuerschwindel in Milliardenhöhe. Und immer wieder die üblichen Täter – Großkonzerne, Milliardäre, reiche Erben, die, ohne je einen Finger krumm gemacht zu haben, in Saus und Braus leben. Er kenne nur die Profiteure der «Panama Papers», erwiderte Groll. Es gebe eben immer wieder Menschen, die glauben, Regeln gelten nur für die anderen. «Auch die Kurz-Truppe meinte, ihr Plafond liege einige tausend Kilometer über dem Himmel.»

 

«So ist es. Und weil ich Abstand zum österreichischen Karneval der Defraudanten brauche, gehe ich nach Zypern. Ein Freund vermietet in Larnaca barrierefreie Appartements. Fünfter Stock, mit Lift, berollbares Bad, große Küche, freier Blick auf die Vorberge der Stavrovouni-Spitze mit dem Kloster obenauf.» «Und was werden Sie in Zypern machen?»

«Was man auf der Insel eben so tut. Man genießt das Meer, isst Schaffleisch, Gemüse und Fisch, lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, liest englische Zeitungen und verfolgt anfliegende Flugzeuge, die in einer kühnen Kurve über der Bucht von Larnaca zum Landeanflug auf den Airport ansetzen.»

 

«Das ist alles? So ruhig und aufgeräumt kenne ich Sie ja gar nicht!»

«Ach ja, das habe ich noch vergessen: Man lässt sein Geld für sich arbeiten.» Der Dozent blieb stehen. «Sie und Geld?» «Ich habe mir ganze 105 Euro erspart, und ich werde sie klug diversifiziert anlegen. Ich habe nicht vor, mit meinem sauer Ersparten short zu fallen.» Der Dozent warf Groll einen verwunderten Blick zu. «Wer seine persönliche Vermögensbildung ernst nimmt, muss sich die Sprache der Börsianer zu eigen machen», erläuterte Groll. «Short fallen heißt Verluste zu machen.»

 

«Und wie werden Sie das Vorhaben anlegen?» «In Briefkastenfirmen. Ich habe vor, fünf Briefkästen zu eröffnen und je 20 Euro anzulegen. Ich habe Thomas Schmid im Traum am Strand von Larnaca gesehen. Er wird sich doch wohl etwas erspart haben während seiner verdienstvollen Tätigkeit für das Vaterland. Und Zypern ist nicht nur gut fürs Gemüt, als Geldanlage und Alterssitz eignet sich die Insel ebenso gut. Und jetzt, wo die Russen weniger werden, ist Platz für clevere Österreicher. Ich bin einer von ihnen.»

 

«Das klingt, als würden Sie in Kryptowährungen investieren. Wissen Sie denn überhaupt, wie Bitcoins funktionieren? Geschweige denn, wie sie produziert werden?» «Ich weiß nur, dass die Herstellung von Bitcoins energiefressend ist, eine Bitcoinfabrik verbraucht so viel Strom wie drei Flugzeugträger. Ich werde die 20 Euro einige hundert Male zwischen den Briefkastenfirmen hin und her schicken. Und dann schaue ich nach, ob sie sich vermehrt haben.» «Viel Glück!» «Danke, ich kann es brauchen.»

 

«Und was werden Sie mit einem allfälligen Gewinn machen?» «Keine Angst!» erwiderte Herr Groll. «Ich habe nicht vor, die Millionen zu verprassen. Mein bescheidener Traum ist eine Villa mit sechs Schlafzimmern, fünf Badezimmern, einer Garage für sechs Autos, einem Tennisplatz, einem Pool und einem Personalwohnhaus für zehn Asylwerber, die den Laden schupfen, wenn ich da bin. Und auch, wenn ich nicht da bin.»

 

«Sie sind ein Rassist!» «Ich nehme mir nur ein Beispiel an den Neureichen aus der Ukraine, Russland, Georgien und Ungarn – sie besitzen Villen in Pervolia am Strand, keine zwanzig Kilometer außerhalb von Larnaca und fünf Kilometer vom Flughafen entfernt. Ich trainiere dort gern, es gibt einen kilometerlangen asphaltierten Weg vor den Gärten der Millionäre oberhalb des Meers. Und überall sehe ich Dienstleistungsproletarier aus Asien, Afrika oder Osteuropa am Werk.»

 

«Ausbeutung!», rief der Dozent. «Unsinn! Räumen Sie zuerst in ihrer eigenen Klasse auf, dann können wir weiterreden. Vielleicht vermiete ich Ihnen ein Appartement. Ich mache Ihnen auch einen guten Preis.»

Schweigend gingen die beiden weiter. In der Ferne zeichnete sich die Silhouette eines Kabinenschiffes ab.

 

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