Versteckte Busprivatisierungtun & lassen

Wiener Wirtschaft

954 Millionen Fahrgäste pro Jahr, 8700 ­Mitarbeiter_innen, 70 Millionen Euro an ­Investitionen in den Netzausbau. Stolz präsentieren die Wiener Linien diese Ziffern. Was sie nicht dazusagen: Kontinuierlich werden Buslinien privatisiert. «Mehr Privat, weniger Staat» – Wolfgang Schüssels Kampfparole wird von der Gemeinde Wien realisiert, ­berichtet Clemens Staudinger.

 

Illu: Much

Vorgegebener Hintergrund für die Privatisierung von Buslinien im Wiener Gemeindegebiet sind Personalkosten. 2016 beanstandete der Rechnungshof, dass die Kosten für lohnabhängige Mitarbeiter_innen um 43 Prozent höher seien als bei privaten Betreiber_innen. Wer nun denkt, es wäre für die Buschauffeur_innen und Service-Mitarbeiter_innen günstig, dass der Rechnungshof den geringeren Verdienst bei privaten Busbetreiber_innen kritisiert, muss sich einen anderen Rechnungshof suchen. Mitarbeiter_innen privater Linien arbeiten unter schlechteren Kollektivvertragskonditionen als jene der Wiener Linien, letzten Endes der Gemeinde Wien.

Vor zehn Jahren betrieben die ­Wiener Linien 70 Prozent der im Netz vorgesehenen Busstrecken selbst, heute sind es 59 Prozent. Insbesondere Stadtrandlinien wurden an Unternehmen wie Dr. Richard ausgelagert. Heute sind es drei Firmen, die 40 Prozent der Linien an der Peripherie bedienen. Für die Verrechnung der eingenommenen Fahrttarife werden die sogenannten «Platzkilometer» herangezogen. Das sind die Anzahl der Passagier_innenplätze im jeweiligen Bus mal Anzahl der Kilometer, die die Linie misst.

Mit dem Latein am Ende.

Werden Infrastruktureinrichtungen, die im Eigentum der öffentlichen Hand sind, also im Eigentum der Steuerzahler_innen und Bewohner_innen eines Landes oder einer Kommune, «privatisiert», schadet es nicht, den Begriff «privatisieren» aus dem Lateinischen in all seinen Bedeutungen ins Deutsche zu übersetzen: Nicht nur die Überführung von staatlichem Eigentum in nichtstaatliches, an natürliche oder juristische Personen gebundener Besitz ist gemeint, vielmehr ist zu beachten, dass das Verb «privare» auch «berauben» bedeutet. So viel zur Sprache, die manchmal entlarvend ist.

Aufgabe der Wiener Linien ist es, kostengünstige, effiziente und ökologisch sinnvolle öffentliche Transportmöglichkeiten bereitzustellen. Aufgabe eines Vorstandes oder der Geschäftsführung eines privaten Transportunternehmens ist es, durch den Transport von Menschen Gewinn zu erzielen. Zwei völlig unterschiedliche Ansprüche, mit völlig unterschiedlichen Auswirkungen auf Fahrgäste und Mitarbeiter_innen.

Was dies bedeutet, zeigt die Dimension des Wiener Busstrecken-Netzes: 127 Buslinien fahren in einem Netz von 846 Kilometern pro Jahr 201 Millionen Passagiere zu ihren Zielen.

Die ÖVP ist bestrebt, Privatisierungen offensiv betreiben zu können: Über den Umweg einer Gesetzeskonstruktion soll erreicht werden, dass künftig mehr private Firmen ins Geschäft kommen. Mittels der Gesetzesänderung sollen Kommunen gezwungen werden, für die Vergabe von Konzessionen für Verkehrslinien öffentliche Ausschreibungen zu veranstalten. Die Aktion betrifft nicht nur Verkehrsagenden der Kommunen, auch die ÖBB sind im Fadenkreuz der Privatwirtschaftler_innen. O-Ton des befassten ÖVP-Verkehrssprechers Andreas ­Ottenschläger: «Während die SPÖ weiterhin gerne alles direkt an die Staatsbahn vergeben würde, tritt die ÖVP, da wo es Sinn macht, für mehr Wettbewerb ein.»

Privaträtin?

Wer der zuständigen Wiener Stadträtin Ulli Sima zuhört, glaubt eine Kämpferin für öffentlichen Verkehr in öffentlicher Hand gefunden zu haben. Sima zum Vorhaben der ÖVP, es künftig gesetzlich zu unterbinden, dass Kommunen stadteigene Betriebe direkt mit der Organisation und dem Betrieb von Linien des öffentlichen Verkehrs betrauen: «Was passiert, wenn sich neoliberaler Privatisierungswahn durchsetzt, weiß man seit Jahrzehnten aus Ländern wie Großbritannien: Die Qualität sinkt auf allen Ebenen, die Preise steigen, es wird nicht mehr ausreichend in die Infrastruktur investiert, Arbeitsplätze gehen verloren, es kommt zu Sozialdumping bei den Mitarbeitern.» Völlig recht hat die Frau Stadträtin, es bleibt nur die Frage, weshalb bei der versteckten Busprivatisierung in Wien, in ihrem Ressort, all diese Umstände nicht gelten sollten.