Vertreibung in der Buckligen WeltArtistin

Bibliotick

Die waren dann fort, sind weggegangen oder wurden vertrieben, heißt es vage, wenn die Rede auf den Verbleib jüdischer Mitbürger_innen nach 1938 kommt.

Von dem/der einen oder anderen hat man gehört, dass er oder sie nach Amerika, nach Israel oder in ein anderes Land ging, von den meisten aber hat man gar nichts mehr gehört, umgekommen im KZ, das weiß man oder kann es mit ziemlicher Sicherheit vermuten. Lorenz Glatz wurde ein paar Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Damals und noch viele Jahrzehnte lang wurde über die Zeit zwischen 1938 und 1945 ungern gesprochen, noch weniger gern über die beiden zur Zeit des «Anschlusses» in seinem niederösterreichischen Heimatort Wiesmath lebenden jüdischen Familien.

Irgendwann begann sich Lorenz Glatz zu fragen, was mit den verschwundenen Jüdinnen und Juden Wiesmaths geschehen war. 2005 brachte ihm die Recherche in der Datenbank des Holocaust Museum im Washington D. C. einen Namen – Alice Carmel, geborene Reininger, die als Kind den kleinen Ort in der Buckligen Welt verlassen musste und irgendwo in den USA lebte. Vorerst war es jedoch unmöglich, Frau Carmel zu kontaktieren. Zwei Jahre später erfährt Glatz durch Zufall von einer weiteren ehemaligen Wiesmatherin, einer Tochter der vertriebenen Familie Jaul. Über das Wählerverzeichnis der Auslandsösterreicher_innen kann er mit ihr in Kontakt treten und besucht sie in Israel. Schließlich kann Lorenz Glatz alle vier in den 2000er-Jahren noch lebenden jüdischen Vertriebenen seines (und deren) Ursprungsortes ausmachen und besucht sie gemeinsam mit seiner Ehefrau ­Hedwig auf mehreren Reisen in die Vereinigten Staaten und in Israel. In Reisen zu den verlorenen Nachbarn schildert Glatz diese Begegnungen, die Geschichten der Familien (mitunter verwirrend, ob der vielen Namen und Schicksale), Eindrücke von Land und Leuten und setzt ein klares Statement ­wider das Vergessen.

Lorenz Glatz: Reisen zu verlorenen Nachbarn. Die Juden von Wiesmath

Löcker, 2017

188 Seiten, 19,80 Euro

Lesung und Gespräch:

22. März, 19 Uhr

Bezirksmuseum Josefstadt

8., Schmidgasse 18

www.bezirksmuseum.at