Veteranen der ergriffenen ChancenArtistin

Musikarbeiter unterwegs … zwischen Rück- und Ausblick

Hitze, Sommer, gute ­Musik. Wie die von Kreisky und Family 5, die durch die Tage hilft. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)

«Can’t Take It No More, Sugar, ’Cause My Heart Hurts So Bad.» Dieser Songtitel – Blues, was sonst? – findet sich auf Seite 923 von Paul Austers herzzerfetzendem, großartigem Roman 4321. Ja, so ist es. Mein Freund Mike Glück, eine treibende Kraft des Kulturvereins Röda in Steyr/OÖ, Musiker bei Dharma Bums Insane, Hirschmugl & Glück, großartiger Bandkollege bei Youngdozer und 7 Sioux, ist im August verstorben. Neue hiesige Musik sagt dazu nichts, ich höre Cohens You Want It Darker und Neil Young, weil Mike «den Meister» so sehr schätzte. Zu ­Comes A Time, Song und Album, lässt es sich vortrefflich weinen. Zum Volksstimmefest schleppe ich mich vielleicht trotzdem. Das Musikprogramm ist inhaltlich und künstlerisch toll – Aivery, Dives, Gürtel Squad, Squalloscope, Tankris und viele andere. Da kann ein Lächeln gelingen.

Lass mich (nicht) in Ruh.

Zugegeben, das kosmische Bullshit Bingo bemüht sich um Befindlichkeitsaufhellung. Ein Gespräch mit Janie J Jones aka Peter Hein, Sänger von Family 5 und Fehlfarben, seit Längerem in Wien ansässig, weckt Lebensgeister. Zumal es mit dem oft als bester deutscher Sänger und Texter genannten Janie über ein neues Album der 1981 gegründeten Family 5 zu reden gibt, wenigstens so stark wie das 2016er-Werk Was zählt seiner reaktivierten Band mit Gitarrist Xao Scheffcheque und vier weiteren Kollegen. Ein richtiges Leben in Flaschen oder Ein richtiges Leben in Vlaschen – Band/Künstler und Label hatten andere Schreibweisen im Sinn – bringt 14 Lieder. Vom eröffnenden Lass mich in Ruh über Zukunft, Stirb jung und eine Version von Kraftwerks Autobahn, die einen die Elektro-Titanen etwas entspannter hören lässt, bis hin zu Geh doch nach drueben und D Day. Im Wissen um die Arbeitsweise – die Texte entstehen unmittelbar vor dem Einsingen, wobei diesmal zwei Refrains und ein, zwei Strophenzeilen vorab in ein Mobiltelefon (welcher selbstachtende Rocktexter braucht noch Servietten und Kugelschreiber?) getippt wurden – begeistern Dichte und Stimmigkeit der Songs (Soulpunk? Psychedelic? Rock? Family 5!) umso mehr. Reif und frisch, ernsthaft, ohne Verbitterung oder haltlose Wutpos(s)en. Humor und literarischer Anspruch der Texte schließen einander nicht aus. Nicht nur bei einem Wort wie «Ökolude» frage ich mich, wann endlich die hiesigen Musik-Texter_innen ein bisschen breiter damit beginnen, sich jenseits der mikroemotionalen Nabelschauen in Beziehung zur Welt um sie herum zu setzen. Über Musik ohne (Kunst-)Geschichtsbewusstsein rede ich da noch gar nicht. Family 5 hilft!

Hören wir doch mehr (auf) Kreisky!

Da schießt mir blitzartig eine hiesige Band ein, die wirklich alles hat, was (mich) glücklich macht. Die Fab Four, eigentlich Five, Wenzl/Offenhuber/Tischberger/Mitter/Brossmann vulgo Kreisky, seit 2005 around, haben ihre letzte Großtat Blitz schon Mitte März 2018 veröffentlicht. In Negation der üblichen Haltbarkeitsdauer zeitgenössischer Popmusik (worked up in years, gone in a second) machen deren 10 Songs nach über fünf Monaten immer noch Sinn, wenn nicht sogar mehr. Musikalische und textliche Intelligenz, die im Gespräch mit Sänger, Tastenmann und Texter Franz Adrian Wenzl ebenso zum Ausdruck kommt. Offene Reflexion persönlicher – nicht mehr ganz junge Männer mit Familien und Berufen – und künstlerischer Position führte zu einer Musik, die sich dadurch vier Jahre nach dem letzten Album verändert hat und weitergewachsen, aber unverkennbar Kreisky geblieben ist. Dem «ausgecheckten» letzten Album folgte mit Blitz eine unmittelbarere Arbeitsweise. Lieder

schreiben, diese unmittelbar aufnehmen, durchhören – was braucht’s noch? Das aufnehmen, fertig. Ebenso und parallel die Textarbeit. Öfter einmal etwas sein lassen, was Franz früher weiter gewälzt und überarbeitet hätte – es ist schon genug gesagt/gesungen. Von «erschlankten» Kreisky zu schreiben wäre dennoch ein (großer) Blödsinn, weil Lieder wie Ein braves Pferd, Veteranen der vertanen Chance oder Ein Depp des 20. Jahrhunderts mehr als genug Kreisky-«Fett» als Geschmacksträger haben. Am auffälligsten die Veränderung der Position(en) des Sängers/Texters, er queruliert nicht mehr so durchdringend herum wie früher. Wie auch nicht, wenn destruktives (ohne künstlerische, entlarvende Ebene) Dauergewüte tatsächliche Regierungsgewalt hat, wovon es sich für eine Band wie Kreisky abzuheben gilt. So hat Blitz neue Einträge in das so erweiterte Vokabular dieser erstaunlichen Band. «Verlassen das sinkende Schiff/Aber Freunde nehmen wir mit/Freunde nehmen wir mit/Und Freunde von Freunden/und Freunde von Freunden/Freunde von Freunden/von Freunden von Freunden», Sudoku. (Für Werner, Huckey und Mike).

 

Family 5: Ein richtiges ­Leben in Flaschen / Vlaschen (Tapete Records)

Kreisky: Blitz (Wohnzimmer)

www.kreisky.net

Volksstimmefest, 1. und 2. 9. 2018, Jesuitenwiese

www.volksstimmefest.at