Warum die Sozialdemokratie den Hype der Arena-Bewegunng nicht kapierte
Das Wien Museum möge verschont bleiben vom Damoklesschwert in Form von Standortbegehrlichkeiten einer Investorengruppe, die den Karlsplatz als Premium-Lage vortrefflich fände. Es möge die Adresse Karlsplatz behaupten und hierselbst noch viele Projekte realisieren können, die mensch in einer bestplatzierten Hochkultureinrichtung nicht ohne weiteres vermutet. Projekte wie die laufende Ausstellung über die Wiener Hausbesetzungen. Im Zentrum steht der «heiße Sommer» 1976. Bis 12. August ist noch Zeit, in ihn einzutauchen, sei es nostalgisch gestimmt, sei es, um Resignationen aufzulösen: Selbst in Wien findet zuweilen Revolution statt. Ein Gespräch mit dem Kurator der Ausstellung Werner Michael Schwarz.Woher kam die Idee für diese Ausstellung? Sie ist doch eher untypisch für ein Museum wie dieses. Und zeitgleich läuft im Erdgeschoss eine Klimt-Ausstellung.
Da gab es einmal die umfassende, großartige Schenkung von mehreren tausend Fotos von Peter Hirsch, der vor Ort in der Arena präsent war und die Aufnahmen machte. Wenig eigenes Material aus unserem Haus lag auch vor, das konnten wir gut integrieren. Und das Thema «Wem gehört die Stadt? Was ist Kultur?» wollten wir sowieso erweitern. In Richtung intellektueller und künstlerischer Peripherie.
Welchen Zeitraum umfasst die Ausstellung? Es geht ja nicht nur um die berühmten, zu Unrecht vergessenen Hausbesetzungen.
Der Schwerpunkt liegt auf den 70er Jahren. Beginnend bei den Aktivitäten in Simmering, dann im Spittelberg-Viertel, wo sich Architekten, Intellektuelle und Jugendliche gegen eine Nobelsanierung wehrten, über die Arena und das Amerlinghaus, das zum ersten selbstverwalteten Kulturzentrum der Stadt wurde, bis zum Ernst-Kirchweger-Haus und zur Pankahyttn. Also dokumentieren wir die Zeit zwischen 1975 und 1990.
Wie verliefen die Recherchen für eine derart textreiche Dokumentation, wie sie in der Ausstellung zu sehen ist?
Neben der reichhaltigen Fotosammlung von Peter Hirsch, dem Chronisten der Arena-Bewegung, erhielten wir auch private Leihgaben. Mit meiner Kollegin Martina Nußbaumer führten wir viele Zeitzeugengespräche, durchforsteten das «Archiv der sozialen Bewegungen», die Wienbibliothek, wo sich inzwischen der Nachlass von Dieter Schrage befindet, die Medienwerkstatt, das Stadt- und Landesarchiv, das Video-Archiv des WUK. Der ORF stellte uns Material zur Verfügung, Privatpersonen brachten uns eigene Filme, die sie vor Ort gedreht hatten. Also ein sehr buntes, vielfältiges Material stand uns zur Verfügung.
Am Eingang zur Ausstellung heißt es. «Die Aktion des Besetzens zielt immer auf zweierlei: auf einen Ort und auf übergeordnete Ziele. Gebäude werden besetzt, weil sie erhaltenswürdig, aber durch öffentliche Planung oder private Spekulation bedroht sind, oder um Wohnmöglichkeiten zu beanspruchen. Sie werden als Potential für einen Freiraum gesehen, in dem alternative Formen individuellen und kollektiven Lebens möglich sind. Ein Schlüsselbegriff lautet Autonomie.» Sind diese Ziele in den 70er und 80er Jahren zum Teil erreicht worden?
Teilweise. Die Besetzungen waren auf jeden Fall anstoßgebend für die Vielfalt in Bezug auf Kleinräumigkeit in der Stadt. Die Arena war so etwas wie ein Epizentrum für manche Veränderungen. Die politischen Visionen für eine große gesellschaftliche Veränderung haben sich wahrscheinlich nicht realisiert.
Wie reagierte die Politik der Wiener Stadtverwaltung auf die Hausbesetzerbewegungen? Ihre Verhandlungstaktik wechselte ja von Zusagen bis zu polizeilichen Verordnungen für gewaltsame Räumungen.
Die SPÖ hat nie sofort «zugeschlagen», sie verfolgte so etwas wie eine «gebremste Strategie». Da gab es alle Varianten vom Totlaufenlassen, Aushungern und Aussitzen, leeren Versprechungen bis zum Diffamieren, Vernadern (z. B. durch Artikel in der parteieigenen Zeitung, der «AZ»). Wenn sich die Bewegungen verdichteten und die Stadtregierung Angst vor einer Massenwirksamkeit der Besetzungen hatte, dann gab es fast panikartige Zugeständnisse. Zweifellos spielten auch die Jugendkrawalle in Zürich («Züri brennt!») zu dieser Zeit eine Rolle. So ist es zu verstehen, dass es 1981 z. B. zur Schlüsselübergabe an das WUK bzw. das FZ (Frauenzentrum im WUK) kam. In direktem Zusammenhang damit stand sicher auch eine Volksabstimmung im Jahr 1981. Jugendlichen sollten Häuser aus dem Besitz der Gemeinde zur Selbstsanierung überlassen werden. Man wollte pro Bezirk je zwei Häuser zur Verfügung stellen, in denen die Bewohner neue Lebens- und Arbeitsformen erproben konnten. Letztlich kam es aber nur zu der Realisierung der alternativen Hausgemeinschaften in der Spalowskygasse und der Rosa Lila Villa. Wir konnten eigentlich aus all dem Archivmaterial, das wir durchsahen, ein tiefes Unverständnis der SPÖ für diese Bewegungen erkennen. Denn deren Zielvorstellung für ein modernes Wien war eben eine helle, grüne Stadt. Und da wollen jetzt junge Menschen in fast abbruchreife, alte Gebäude einziehen! In «Elendsquartiere» statt in neu erbaute Zentren an der Peripherie. Aber die SPÖ war auch innerhalb der Partei nicht einhelliger Meinung. Das zeigte sich u. a. bei der brutalen Räumung der Aegidigasse, wo Bulldozer in das Haus fuhren, obwohl es noch besetzt war. Politiker wie Fröhlich-Sandner, Lanc oder Dallinger hatten da das richtige «Gspür», dass es sich nicht um Revoluzzer, sondern um eine wichtige Bewegung unter den Jugendlichen handelte.
Das «Happening der 100 Tage» im Sommer 1976 in der Arena bedeutete u. a. auch eine kulturelle Zäsur. Das hatte deutlich sichtbare Auswirkungen.
Sehr viele und nachhaltige. Die Medienlandschaft ganz allgemein wurde vielfältiger und breiter. Im Bereich Film, Video wurde experimentiert. Das WUK besitzt ein eigenes Video-Archiv mit beachtlichen Arbeiten. Die Möglichkeiten eines alternativen Fernsehens wurden erprobt. Sechs Jahre lang gab es die «Arena Stadtzeitung», frech und politisch fordernd. Sie war ja die erste wirkliche Stadtzeitung. Dann kam auch der «Falter» dazu, der damals als Kollektiv anfing. Das Amerlinghaus und das Rotstilzchen (als selbst verwaltetes Lokal) boten Raum für politische Treffen. Diese Orte waren Schnittpunkte, Knotenpunkte. Da gab es viele Impulse für diverse Initiativen: von der Anti-Atom-Bewegung über die Kritische Medizin, die Kritische Psychiatrie, die alternativen Schulprojekte, die Frauenhäuser bis zu Homosexuelleninitiativen und zur Graffiti-Szene.
Welchen Stellenwert hatten die künstlerischen Aktivitäten während dieser Zeit der Widerstands- und Protestkultur? Gab es ein Woodstock auch in Wien?
Die Arena war viel politischer als Woodstock. Es gab jedes Wochenende durchgehende Veranstaltungen mit tausenden Besuchern, Lesungen, Musik, Theater. Und vor allem eine breite Solidarisierung in der Bevölkerung. Auch viel private Unterstützung. Udo Proksch soll sogar vom Dehmel Torten geschickt haben! Die Zustimmung reichte bis ins bürgerliche Lager. Der damalige Kulturredakteur der «Krone», Erich Melchert, berichtete euphorisch über die Aktivitäten in der Arena, die Jugendredaktion des ORF formulierte fast einen Aufruf zur Widerständigkeit der Besetzer_innen. Man richtete ein eigenes Spendenkonto ein. Und es wurde eingezahlt!
Und die Sympathien der verschiedenen Bevölkerungskreise für die anderen Hausbesetzungsbewegungen?
In den 80er Jahren war die Szene aufgesplitterter, politisch auch vielleicht härter, provokanter. Breite Empörung gab es allerdings bei der wirklich brutalen Räumung der Aegidigasse, die systematische Verprügelung der Bewohner durch die Polizei wurde von sehr vielen als unmenschlich angesehen.
Die Besetzungsaktivitäten der 70er und 80er Jahre waren stark geprägt von sozialen Bewegungen, die mit den Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen, also mit 1968, zu tun hatten. Und heute, wer ist heute der «Gegner»?
Das ist nicht so eindeutig. Zweifellos nicht mehr in erster Linie die Stadt, der Staat. Eher der Markt und die internationalen Investoren.
Könnte die Occupy-Bewegung in Städten weltweit ich meine Besetzungen nicht nur von Häusern, sondern von öffentlichen Plätzen eine neue Form von basisdemokratischen Aktionen werden? Gibt es dafür Anzeichen auch in Wien?
Ja, es gibt unterschiedliche Gruppen, die sich mischen, abwechseln. Es gibt Kurzbesetzungen in verschiedenen Gegenden der Stadt. Diese jungen Leute sehe ich als Stadtgeher, als Stadtbeobachter, als Stadtpfleger.
Kann man sagen, dass sich in Wien heute Gegenkultur, Subkultur und Öffentlichkeit miteinander arrangiert haben? WUK, Arena und Amerlinghaus werden von der Stadt gefördert.
Diese Häuser leisten eine wichtige Arbeit. Sie stellen Räume zur Verfügung für Leute, die ihre Pläne und Ideen verwirklichen wollen. Und das abseits der profitorientierten Interessen. Und sie beherbergen auch viele Gruppen unterschiedlichster Migranten und Migrantinnen. Ich meine, die öffentlichen Behörden könnten eigentlich viel davon lernen!
Die Fragen stellte Barbara Huemer.