Lokalmatadorin
Beatrix Neundlinger ist eine Musizierende, die auch im Integrationshaus für Harmonie sorgt. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).
Zumindest einmal pro Woche versucht sie einem 21-jährigen Mann aus Afghanistan, der im Integrationshaus in der Engerthstraße wohnt, die deutsche Sprache näherzubringen. Was damit gesagt werden soll: Beatrix Neundlinger tritt nicht nur als Mitbegründerin der sozialen Einrichtung und Vorsitzende des 15-köpfigen Vorstands auf, sie packt auch an, wenn Not am Mann bzw. an der Frau ist.
Ältere Semester sowie Kulturinteressierte kennen die Neundlinger als Sängerin, Flötistin und Saxofonistin legendärer Bands aus Wien. Zu Beginn sang sie bei den Milestones, die mit dem Lied «Falter im Wind» beim Eurovision Song Contest 1972 in Edinburgh einen beachtlichen fünften Platz erreichten, später bei den Schmetterlingen, die ab 1976 das politische Lied in die hiesige Musiklandschaft nachhaltig einführten. Sie kennen sie vielleicht auch als Frau an der Seite ihres Musikerkollegen Willi Resetarits und Mutter gemeinsamer Kinder. Uns interessieren die weniger bekannten Seiten einer ungebrochen aktiven Frau, die heuer ihren 70. Geburtstag feiern wird.
«Ich war eine von vier Töchtern», erzählt die Zeitzeugin im Büro des Integrationshauses. Die Drittälteste oder Zweitjüngste von einem Wiener und einer Berlinerin – alles eine Frage der Perspektive. Ihre Eltern hatten sich im Jahr 1942 in Görings Reichsluftfahrtministerium in Berlin kennengelernt. Der Vater kämpfte als hochdekorierter Flieger auch um das eigene Überleben, die Mutter wollte nach dem Krieg nicht viel über ihre Tätigkeit in einer der Schaltzentralen der NS-Diktatur erzählen.
«Ich war das Wiedersehenskind», sagt die Dritte im Bunde dann. Ihre beiden älteren Schwestern kamen noch in Berlin zur Welt, sie schon in Wien. Wenige Monate nachdem ihr Vater aus der englischen Kriegsgefangenschaft in Dänemark heimgekehrt war, machte sie sich auf den Weg. In ihrer Erinnerung spielt auch die Großmutter eine wesentliche Rolle: Die Oma, Jahrgang 1882 und lange in Berlin als Opernsängerin tätig, war nach dem Krieg mit der Tochter und ihrer Familie nach Wien übersiedelt. Man konnte eine Dienstwohnung des österreichischen Bundesheers am Arsenal beziehen. «Das Arsenal war für uns Kinder eine wunderbare Gstättn, auf der wir ganz viele Mutproben bestanden haben.»
Von der Kunst und der Politik wurde sie erst nach der Matura berührt: «Ich war zunächst ziemlich ratlos, was ich machen sollte, und habe dann mehrere Semester an der Technischen Hochschule studiert.» Aus nachvollziehbarem Kalkül: «Weil ich in der Schule in Mathematik brilliert hatte.» An der Uni lernte sie interessante junge Menschen kennen, die sich unterm Strich lieber der Musik hingaben als sich in die höhere Mathematik zu vertiefen. So beginnt die künstlerische Karriere der Beatrix Neundlinger auf akademischem Boden, am Karlsplatz.
Ihre Ausbildung zur Supervisorin, die noch gar nicht so lange zurückliegt, hat ihr in mancher Hinsicht die Augen geöffnet: «Heute weiß ich, dass ich lange den Platz an der Sonne gesucht habe, immer als gute Teamplayerin, aber nie als treibende Kraft für meine eigenen Belange.» Öfters im Leben habe sie sich gefügt: «Ich war das brave, angepasste Mädchen, das Konflikten lieber aus dem Weg ging.» Die Ausbildung hat ihr diesbezüglich geholfen: «Dort habe ich auch gelernt, Konflikte nicht verletzend anzusprechen.»
Ihre Entscheidung, von der Wissenschaft in die «nicht zukunftsträchtige Kunst» zu wechseln, bereut sie heute keine Sekunde: «Also gut, wäre ich damals Programmiererin geworden, hätte ich heute vielleicht eine gesicherte Pension, aber ich hätte dann viele tolle Menschen nicht kennenlernen dürfen.» Dass noch immer viele Kulturschaffende in der mit Millionen subventionierten Kulturstadt Wien wie eh und je prekär leben und arbeiten, sei hier nur am Rande erwähnt.
Den Weg von den Schmetterlingen zu ihrem sozialen Engagement erklärt Neundlinger so: «Wir wurden damals oft zu Benefiz-Veranstaltungen eingeladen. Da war es für mich klar, dass ich mich auch für die vorgebrachten Anliegen engagieren möchte.»
Ihr weiterer Lebenslauf verrät, dass sie in jedem Jahrzehnt Nachhaltiges mitbegründet hat – und sich damit Schritt für Schritt mehr emanzipieren konnte: Ab 1985 wirkt sie regelmäßig beim Schmetterlinge-Kindertheater mit; 1995 ist sie bei der Eröffnung vom Integrationshaus dabei; 2004 ruft sie die Musikgruppe «9dlinger und die geringfügig Beschäftigten» ins Leben; 2015 startet sie ihr jüngstes Musikprojekt: Zelinzki.
Seit dem Jahr 2002 ist Beatrix Neundlinger beruflich in der Erwachsenenbildung tätig. Als Coach und Supervisorin hat sie unter anderem an einem Theaterworkshop für junge Roma mitgewirkt, Kreativtrainings für Langzeitarbeitslose gestaltet und an der Ausbildung zum Integrationscoach mitgearbeitet.
Das Musikgeschäft sei hingegen schwierig geworden. Die Sängerin weiß: «Das inhaltliche Lied interessiert nicht mehr so.» Dennoch will sie weitertun: «Musik macht mir Spaß. Ich bin allerdings froh, dass ich nicht mehr als Berufsmusikerin arbeiten muss. Das ständige Ringen um Aufmerksamkeit macht müde.»
Mehr unter: www.9linger.at.