Vier Gesichter der Krisetun & lassen

Ständig neue Zahlen über das ökonomische Debakel der Coronakrise. Doch wie geht es den Menschen, die ihr Einkommen verloren haben? Was berührt sie?  Half ihnen ein Härtefonds?

Text: Uwe Mauch, Fotos: Mario Lang (v.l.n.r.)

38 Milliarden Euro hier, zehn Milliarden Euro dort, koste es, was es wolle!, hatte die türkis-grüne Regierung nach dem Shutdown versprochen. Hier kommen jene zu Wort, die von all den Corona-Notverordnungen hart getroffen wurden und für die bis heute kein Rettungsschirm aufgegangen ist. Denn gerade sie haben etwas dazu zu sagen.

Beatrix Baumgartner, Physiotherapeutin

Sie wollte in diesem Frühjahr bis zum Mutterschutz (acht Wochen vor der Geburt ihres ersten Kindes) noch ihrer Arbeit nachgehen. Sie hatte Grund zur Hoffnung: «Meine Arbeit bereitet mir große Freude, ich konnte mir in den vergangenen zwanzig Jahren einen guten Namen machen. Deshalb hätte ich mich in Ruhe ein wenig zurückziehen können.»
Jetzt ist alles anders. Beatrix Baumgartner konnte zwei Monate lang keinen Menschen in ihrer Praxis in Währing begrüßen, geschweige denn behandeln. Es gab für die Physiotherapeutin kein dezidiertes Berufsverbot. Doch als werdende Mutter nahm sie die Empfehlung ihres Berufsverbands, möglichst nur in Notfällen zu arbeiten, sehr ernst.
Es blieb ihr auch nichts anderes übrig: «Binnen eines einzigen Wochenendes kamen bei mir reihenweise Absagen an, und ich musste alle Termine bei laufenden Fixkosten wie etwa Versicherungen aus dem Kalender streichen.»
Aus zahlreichen Gesprächen mit Kolleg_innen weiß Beatrix Baumgartner, dass bisher kaum jemand ein Euro aus einem Härtefonds erreicht hat: «Viele haben all die Formulare ausgefüllt. Sie wurden dann irgendwann benachrichtigt, dass sie zu viel oder zu wenig verdient hätten oder sonst ein Grund für die Absage vorliege.» Sie selbst hat für den zweiten Fonds gar nicht mehr eingereicht, weil sie sich nicht verhöhnen lassen wollte.
Die Ignoranz der Politik kann die Physotherapeutin schwer nachvollziehen: «Wir sind immer für unsere Patient_innen da. Jetzt wäre es an der Zeit, dass der Staat etwas für uns tut. Noch dazu, wo auch wir Steuerzahler_innen noch lange damit beschäftigt sein werden, all die Schulden zurückzuzahlen.»
Seit wenigen Tagen arbeitet Beatrix Baumgartner wieder – mit wenigen Patient_innen. «Für mehr reicht der Sauerstoff unter meiner Maske nicht aus.» Aus finanziellen Gründen, fügt sie hinzu, müsse sie «die Gesundheit meines Kindes riskieren, weil der Staat den freiberuflichen Schwangeren keinen frühen Mutterschutz zugestanden hat».

Linda Damianik, Alleinerzieherin

Sie wollte in diesem Frühjahr neu durchstarten und ihrer Armut entfliehen. Sie hatte Grund zur Hoffnung: «Nach der Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin war ich gerade dabei, mein eigenes Ein-Personen-Unternehmen zu gründen.»
Jetzt ist alles anders. Linda Damianik hat über mehrere Wochen das Homeschooling für ihre Tochter und ihren Sohn organisiert, was mit nur einem Laptop sehr kompliziert war. Gleichzeitig musste sie ihre Fixkosten weiter minimieren: «Ich kaufe nur mehr Angebote beim Diskonter. Dennoch geht uns nach der Monatsmitte das Geld aus.»
Die Alleinerzieherin hat Erfahrung mit dem Prekariat: «Seit 15 Jahren habe ich keinen Urlaub mehr gemacht. Noch nie konnte ich meine Kinder in ein Restaurant einladen.» Zu Monatsbeginn bangt sie regelmäßig: «Sind die Alimente auf meinem Konto verbucht?» Sie muss an sich selbst mitansehen, wie sie das alles chronisch krank macht.
Heute sagt die Mieterin einer Gemeindebauwohnung in Ottakring: «Diese Krise ist für uns eine finanzielle Katastrophe.» Nicht nur für sie: «In meinem Freundes- und Bekanntenkreis geht es vielen genauso beschissen. Ich kenne niemanden, der Geld aus einem Härtefonds bekommen hat. Das Schauspiel dieser Regierung ist unwürdig, skandalös. Man sollte diese Verursacher_innen zur Rechenschaft ziehen, nicht uns als die Leidtragenden.»

Roxana Radulescu, 24-Stunden-Betreuerin

Sie wollte Anfang März nach Wien zurückkehren und hier ihrer Arbeit nachgehen. Sie hatte Grund zur Hoffnung: «Ich habe endlich eine Agentur gefunden, die fair zu mir ist. Auch die Familie, für die ich arbeite, ist sehr nett.»
Jetzt ist alles anders. Roxana Radulescu kam neun Wochen später als geplant – mit dem ersten Sonderzug aus Temeswar nach Wien-Schwechat. Nach dem Schnelltest und einer Nacht in einem Flughafenhotel ließ man sie endlich nach Hietzing, wo sie ihre slowakische Kollegin ablösen konnte. «Sie war total fertig. Sie durfte neun Wochen lang selten bis nie das Haus verlassen.»
Die rumänische 24-Stunden-Betreuerin, Mutter von drei Kindern, erzählt dann von ihrem Mann, der als gut ausgebildete Fachkraft in Rumänien mehr verdient als viele Landsleute, jedoch weniger als sie in Österreich. Sie beklagt, dass das fix eingeplante Einkommen der vergangenen Wochen auf ihrem Konto fehlt: «Meine Familie möchte auch essen. Und wir müssen auch Rechnungen bezahlen. Bei uns in Rumänien hat man kein Erspartes.»
Die «Bravo»-Rufe für die Arbeit ihrer Kolleg_innen sieht Frau Radulescu ambivalent: «Wir machen seit vielen Jahren eine Arbeit, die niemand machen will. Als Lohn dafür bekommen wir vierzig, maximal achtzig Euro pro Tag.»
Sie kennt keine einzige Kollegin, die von einem Härtefonds finanzielle Anerkennung bekommen hätte. «Im Gegenteil, man hat vielen von uns die Familienbeihilfe gekürzt.» In Wahrheit sei das zum Davonlaufen! Vor 22 Jahren sperrte die Firma der gelernten Buchhalterin zu, und ihre damals kleine Tochter erkrankte schwer. «Wir haben für die OP sehr viel Geld bezahlt.» Geld, das sie im Ausland verdienen muss.

Philipp Petrac, Architekturstudent

Er wollte in diesem Semester sein Architekturstudium an der Technischen Universität Wien erfolgreich beenden. Er hatte Grund zur Hoffnung: «Ich habe nebenbei immer gearbeitet. Deswegen hat es etwas länger gedauert. Aber in diesem Semester hätte ich meine letzte Lehrveranstaltung besuchen wollen.»
Jetzt ist alles anders. Philipp Petrac hat durch die Krise doppelt verloren: Die Lehrveranstaltung wurde nicht abgehalten, er kann sie womöglich erst in einem Jahr besuchen. Zudem hat er Mitte März seinen Nebenjob verloren und seither sein Erspartes für ein Auslandssemester aufgebraucht: «Das reicht nur mehr bis zum Monatsende.»
Dass er dennoch die volle Studiengebühr für eine nicht erbrachte Leistung seiner Universität bezahlen muss, kann der Student nicht verstehen: «Das geht nicht nur mir so. Nicht alle, die studieren, wissen ein reiches Elternhaus hinter sich.» Seit Februar haben fast 80.000 geringfügig Beschäftigte so wie er ihren Job verloren. Härtefonds oder Kurzarbeit gibt es für sie nicht. «Da tut jeder Euro an zusätzlichen Ausgaben weh.»
Zores hat der Architekturstudent auch mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, einer Wiener Gastronomiekette, für die er im Museumsquartier zwei Mal pro Woche kellneriert hat: «Von meiner Kündigung habe ich erst von einer Kollegin erfahren. Als ich drei Wochen später das Kündigungsschreiben in der Post fand, las ich, dass ich einer einvernehmlichen Vertragslösung zugestimmt hätte.»
Ein Gewerkschafter riet ihm, sich dagegen zu wehren. Was er tat, was ihn aber auch seinen Job im MQ kostete, wie ihn die Geschäftsleitung postwendend wissen ließ. Nebenbei hat er entdeckt, dass man ihm eventuell zwei Jahre lang weniger bezahlt hat, als ihm laut Kollektivvertrag zusteht.
Seine Jobsuche ist schwierig: «Es gibt kaum offene Stellen. Ich bin grundsätzlich ein optimistisch denkender Mensch, aber im Moment ist es schon schwierig.»