«Vindobonazismen»vorstadt

Lokalmatadorin

Christiane Pabst hat als Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs viel zu sagen.

Text: Uwe Mauch, Foto: Mario Lang

Die Melange, das Gurkerl, der Paradeiser: Christiane Pabst hat eine Hetz mit diesen «Vindobonazismen». (Achtung, kein Fachterminus der Sprachforschung, viel mehr eine spontane Wortschöpfung der Sprachforscherin!)
Diese Freude hat auch mit ihrem Beruf zu tun: Pabst ist Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs und als solche bestinformiert, wenn es um die Feinheiten und Grauzonen der Standardsprache und des Dialekts geht.
In der aktuellen Ausgabe sind etliche Begriffe, die für Wiener Ohren vertraut klingen, verzeichnet und näher erläutert. Die Germanistin erklärt dazu: «Das Österreichische Wörterbuch ist die höchste sprachliche Instanz für die Schreibenden und Lesenden in Österreich.» Sie sagt das in Richtung all jener, die lieber im deutschen Duden nachschlagen. Sie wünscht sich auch deshalb «etwas mehr Sprachselbstbewusstsein» von ihren Landsleuten.

Sprachfamilie.

Für sie selbst haben das Reden, das Zuhören, das Lesen, das Schreiben schon als Kind eine große Rolle gespielt: «Ich bin in einer Großfamilie im niederösterreichischen Wilhelmsburg aufgewachsen. Jeder und jede in meinem privaten Umkreis trug eine sprachliche Besonderheit in sich.»
Ihr Großvater: «Ein Basisdialektsprecher, weil er aus Wilhelmsburg fast nie rausgekommen ist.»
Ihre Großmutter: «Eine Frau, die im Dialekt ebenso zu Hause war wie in der Standardsprache, weil sie als Kindermädchen bei einer jüdischen Familie in Wien gearbeitet hat.»
Ihre Mutter: «Ein absoluter Rechtschreib-
freak.»
Ihr Vater: «Als gelernter Techniker auch sprachpilosophisch unterwegs.»
Überall gab es Bücher: «Meine Großmutter und meine Mutter lasen mir täglich vor.» Der Großvater hat ihr viel erzählt und vorgesungen, der Vater hat mit ihr gerne über die Sprache reflektiert. «Das war ein sehr geborgenes Sprachnest, in das ich geboren wurde. Ich war aber auch ein sensibles Kind und habe alles ständig hinterfragt.»
Gerne erinnert sie sich auch an all die leidenschaftlichen Lehrenden während der Schulzeit, die ihren Bildungshunger stillen konnten, um dann kurz inne zu halten: «Langsam werde ich alt, engegen meiner Annahmen.» Sie lächelt. «Das ist alles furchtbar sentimental.»

Sprachreichtum.

Dass sich in der Sprache auch die Finessen einer Kultur manifestieren, wurde ihr im Germanistikstudium bewusst. Ihre Augen leuchten, wenn sie die Herkunft einer Wiener Lieblingsbeschäftigung (Schmäh führen), erläutert: «Da hat sich die Bedeutung verschoben. Ursprünglich kommt das vom Schmähen.»
Derzeit ist Christiane Pabst mit der 44. Ausgabe des Österreichischen Wörterbuchs beschäftigt, die der Österreichische Bundesverlag in zwei Jahren veröffentlichen will. In ihrem Team arbeiten auch zwanzig Konsulent_innen mit, alle angesehene Fachleute.
Zu den bisher rund 93.500 Stichwörtern sollen 2500 weitere hinzukommen. Auf der Liste der neuen Anwendungsbeispiele steht übrigen auch der «Spitz von Izmir» ganz oben. Für die Chefredakteurin fast ein Muss: «Er ist ein Stück österreichische Fußball-, ja sogar Zeitgeschichte.»
Der «Spitz von Izmir» beschreibt ein Tor, das der von Pabst wegen seines Schmähs geschätzte Fußballer Herbert Prohaska mit der Spitze seines Fußes in einem Länderspiel in der Türkei erzielt hat. Er hat mit «den» (Achtung, Prohaska-Dativ!) Schuss «seinen» (detto!) Land die Tür zur Endrunde der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien geöffnet.

Sprachstörung.

In der Genderdebatte bezieht Christiane Pabst eine durchaus streitbare Position. Als «Germanistin und Frau» merkt sie an: «Für mich ist das Binnen-I nur ein Deckmantel. Würden wir in einer Welt leben, in der Mann und Frau endlich gleich gestellt wären, könnten wir uns diese seltsame Verhunzung der Sprache sparen.»
Dieser Einwurf kommt von einer Frau, die in ihrem Leben öfters Grenzen überschritten hat, auch geografische: So entdeckte sie während ihres Postdoc-Studiums im brasilianischen Belo Horizonte die deutschsprachige Sprachinsel Núcleo Joāo Pinheiro. Danach lehrte und forschte sie, unweit der Grenze zum Burgenland, in der westungarischen Stadt Szombathely an der Hochschule Dániel Berzsenyi. Weiters arbeitete sie am Deutsch-Russischen Wörterbuch mit, das vom Linguisten Dimitrij Dobrovolskij publiziert wurde.
Grenzen interessieren Christiane Pabst auch in der Sprache. Etwa, wenn sie die Frage stellt: «Wie viele Regeln braucht sie?» Oder: «Wo wird Sprache zur Gewalttat?» Buchstäbliche Perlen präsentiert sie in kurzen Videos, alle Folgen können gratis im Internet auf der Seite des Wörterbuchverlags angesehen werden: www.oebv.at/blaetterbar