Grenzschutz als Infektionsabwehr. Fremde Epidemien – epidemische Fremde. Die einzige unbewachte Grenzeist dieser Tage die zum Nazijargon. Chronik einer «Blitzfaschisierung» in Zeiten von Corona.
Text: Richard Schuberth
Nie hat Seuchenschutz besser funktioniert als heute. Einigermaßen effektiv dämmt Identifikation und Isolation von Erregern deren Ausbreitung ein. Noch besser aber funktioniert die Isolation, Kriminalisierung und Verächtlichmachung von Humanität. Mit Entsetzen mussten die nach rechts eiernden politischen Systeme 2015 anhand der Hilfsbereitschaft breiter Bevölkerungsschichten erkennen, dass der Rassismus, mit dem sie ihren Populismus rechtfertigen, leider noch nicht die erwünschten epidemischen Ausmaße angenommen hatte. Selbst in Teilen der bürgerlichen Landbevölkerung grassierten Infektionsherde einer naiven Menschlichkeit, die nicht einmal den Unterschied kennen wollte zwischen solchen und solchen Fremden. Dem musste mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Politik und Meinungsbildung entgegengewirkt werden. Europäische Menschenrechtskonvention und Asylrecht waren als Ramsch der Nachkriegszeit zu entsorgen.
Eines der effektivsten Unheilmittel gegen Mitmenschlichkeit ist die Entmenschlichung ihrer Objekte. Vielfach analysiert wurde das Ertränken von Einzelschicksalen in den Naturkatastrophenmetaphern der «Asylantenflut» und des «Flüchtlingstsunamis». Je dichter Europa die Außengrenzen macht, desto leichtfertiger fallen seine internen Schamgrenzen.
Zombiemetaphorik.
Die Ausbreitung des Coronavirus aber verhalf dem extremsten Beispiel faschistischer Metaphorik zur Rückkehr: der Verwandlung des Hilfesuchenden und der politisch Verfolgten in einen Virus. Dem liegt ein Narrativ zugrunde, auf das wir schon durch diverse Zombiefilme eingestimmt wurden: Nur sentimentale Doofies fallen mit ihrer antiquierten Pflicht zur humanitären Hilfeleistung auf die menschliche Schale der Hilfesuchenden herein, während politischer Seuchenschutz zur Rettung des Abendlandes seine menschlichen Regungen niederringen muss.
Noch strauchelten die Medien, wer als Erster diese letzte Grenze zum Nazijargon überschreiten sollte. Freiwillig meldete sich ein Drecksblatt, das sich aus vorauseilender Dankbarkeit nach dem Land benennt, das es nie wegen Verhetzung belangen würde. Die Österreich-Ausgabe vom 2. März titelte mit «Virus, Terror: Warum der neue Asyl-Sturm so gefährlich ist». Aus dem Artikel selbst erfährt man nicht mehr als aus der Schlagzeile: Er kolportiert das Telefonat eines deutschen «Geheimdienst-Insiders» mit der Redaktion, dessen Identität schwerer festzustellen sein dürfte als ein SARS-CoV-2, ansonsten er kein Geheimdienst-Insider und natürlich nicht frei erfunden wäre.
Die rassistischen Sekundärinfektionen ließen sich schon in den letzten Monaten anhand der Verwechslung von asiatisch aussehenden Menschen mit ABC-Waffen diagnostizieren, exemplarisch bei dem Mann, der jüngst in einer Wiener U-Bahn beim Anblick einer Österreicherin, deren Eltern aus Korea stammen, laut «Virus, Virus» rief.
Zwanghafte Angst.
So harmlos die meisten Corona-Infektionen auch verlaufen, die mediale Aufputschung schafft eine paranoide Bewusstseinslähmung, welche die Grenzen zwischen fremden Viren, von fremden Viren befallenen Fremden und Fremden selbst verschwimmen lässt.
2004 bestätigte eine kanadische Studie, was schon unzählige Untersuchungen zuvor konstatiert hatten: die Korrelation von zwanghafter Angst vor Infektion und Fremdenfeindlichkeit, ein Zusammenhang, über den rechte Politiker wie der ehemalige Ministerpräsident Polens Jarosław Kaczyński sogar noch besser Bescheid wissen, der behauptete, wegen der arabischen Flüchtlinge sei die «Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien» ausgebrochen, weil «alle Arten von Parasiten und Bakterien, die in den Organismen dieser Menschen harmlos sind, hier gefährlich werden können». Der Grad der Barbarisierung einer Gesellschaft zeigt sich weniger im vermehrten Auftreten solch kranker Fantasien als in der allgemeinen Gewöhnung daran.
Dystopie.
Nicht weit entfernt sind wir also von der Dystopie eines Europa, dessen Linksliberale sich mit dem autoritären Management ihrer ganz komfortablen Lebenswelten abgefunden haben und mit eingezogenem Schwanz an ihren Leckerlis kauen (wie etwas grünerer Kapitalismus oder die unerwartete Beibehaltung einiger emanzipatorischer Errungenschaften for citizens only). Wären da nicht die Wucherpreise für die Ohrstöpsel, die notwendig sind, um das weit entfernte Maschinengewehrknattern nicht hören zu müssen, das der Wind manchmal bis Wien trägt, dort von der Südgrenze her, wo unser Tag zu deren Nacht wird und unser Fegefeuer an deren Hölle schmarotzt, wo die Gewehre knattern, Flammenwerfer speien, die Dekontaminationskommandos zugange und die unliebsamen Zeugen unserer moralischen Infektionen selbst schuld sind, wenn sie wie Motten verglühen, da sie die Warnschilder vor der Death Zone missachtet hatten. Dass die Dystopie längst Wirklichkeit ist, verrät die Diktion von bad cop und stupid cop: wenn Karl Nehammer für den Grenzschutz «Intensität» und «Robustheit» einfordert, während ihm Werner Kogler als dressiertes Anständigkeitswauwau «Menschlichkeit u n d Ordnung» hinterherwinseln darf.
Ehrenrettung des Genres Zombiefilm: Dieser war nie so faschistoid wie die Realität, denn seine Infizierten kommen selten von anderswo, sondern aus der Mitte der eigenen Gesellschaft. Zombies wie du und ich.